Finger weg von «lukrativen Nebenjobs»!
Viele Firmen ködern neue Mitarbeiter mit «lukrativen Nebenjobs». Doch die vollmundigen Versprechen entpuppen sich oft als reine Geschäftemacherei – wie das Beispiel der WNB Finanzanlagen AG zeigt.
Veröffentlicht am 10. August 2000 - 00:00 Uhr
Jeden Monat ködert die WNB gegen 500 Personen mit fantastischen Lohnprognosen für ihre Grundseminare», sagt Carlo Froidevaux. Er war bis vor kurzem im mittleren Kader bei der WNB tätig. Die in Reinach BL domizilierte Firma vermittelt im Strukturvertrieb via Agenten fondsgebundene Lebensversicherungen der «Pax» und der «Fortuna». Der Beobachter berichtete schon mehrmals über die WNB. Immer negativ.
Auch nach den neusten Recherchen gibt es nichts Positives zu schreiben. Noch immer werden Einsteiger nach einer 390 Franken teuren «Schnellbleiche» wenig ausgebildet auf Kunden losgelassen, gewährt die WNB keine Einsicht in die Firma und bleibt deren Chef Dietmar Noelle auf heikle Fragen des Beobachters stumm. Doch beim Beobachter häufen sich die Anfragen: «Soll ich bei der WNB als Finanzberater einsteigen? Ist die Firma seriös?»
«Ich war bisher überzeugt von der WNB», sagt Benjamin Künti. Inzwischen ist er es nicht mehr. «Die Firma hat mich unter Druck gesetzt», sagt der ehemalige WNB-Kadermann. Er hätte sich schriftlich verpflichten sollen, die Zahl der Kundenbesuche massiv zu erhöhen. Das war ihm zu viel. Als er Bedenkzeit verlangte, folgte die Kündigung.
Das deckt sich mit der Erfahrung von Carlo Froidevaux, der zwei Jahre für die WNB arbeitete und finanzielle Unregelmässigkeiten kritisierte: «Von da an wurde ich gemobbt und durfte nicht mehr an öffentlichen Treffen der WNB teilnehmen.» Aus dem klärenden Gespräch mit WNB-Chef Noelle wurde bis heute nichts. Da Froidevaux nicht länger schweigen und seine Integrität aufs Spiel setzen wollte, kehrte er der WNB den Rücken.
Erwin Kolly, einst erfolgreicher WNB-Berater, empfand seinen Lohn zusehends als «Schweigegeld» und bekam psychische Probleme. Zum Verhängnis wurde ihm der Kontakt zu einem abgesprungenen WNB-Kollegen. «Ich wurde überwacht, bedroht und zu einem Verhör nach Reinach zitiert», sagt Kolly. Als er sich weigerte, erhielt er die Kündigung – obwohl er ärztlich krankgeschrieben war.
Für die ehemaligen WNB-Berater ist der Fall klar: Der Druck auf die Agenten erfolgt mit System. «Ziel ist, mit unrealistischen Einkommensprognosen möglichst viele neue Agentinnen und Agenten anzuwerben, die mit all ihren Freunden und Bekannten Geschäfte abschliessen», sagt Carlo Froidevaux.
Ist dieses Reservoir an Adressen erschöpft, bleiben die Folgegeschäfte meist aus. Froidevaux schätzt, dass nach drei Monaten nur noch jeder fünfte Einsteiger dabei ist.
Wie wenig bei der WNB das Wohl ihrer mehrheitlich zweitberuflich tätigen Beraterinnen und Berater im Vordergrund steht, zeigen die neuen Agenturverträge. Sie haben höchst unvorteilhafte Klauseln. So kann die WNB etwa jederzeit durch eine «einseitige schriftliche Erklärung» das Provisions- und das Karrieresystem ändern. «Mit den neuen Verträgen ist es noch schwieriger aufzusteigen», so Froidevaux.
Das Traumsalär, mit dem Neueinsteiger gelockt werden, rückt damit in weite Ferne. Ihnen wird beim Einstellungsgespräch schon in der vierten von acht Karrierestufen ein fünfstelliges Einkommen in Aussicht gestellt. Ein internes Papier zeigt jedoch, dass WNB-Mitarbeiter in dieser Position im Durchschnitt lediglich 1400 Franken brutto verdienen. Sie setzen dafür meist ihre gesamte Freizeit ein.
Was Neueinsteiger kaum realisieren: Nur gerade jeder Sechste erreicht überhaupt die vierte Karrierestufe. Ab der fünften Stufe müssen Agenten hauptberuflich für die WNB tätig sein. «Ab dieser Stufe opfern Agenten monatlich allein rund 70 Stunden für unbezahlte Wiederholungs- und Motivationsmeetings», sagt Erwin Kolly. Die sechste Stufe erklimmen lediglich noch drei Prozent der Mitarbeiter. «Selbst in dieser Position verdienen einige netto zu wenig, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können», berichten ehemalige WNB-Agenten.
Der Grund: WNB-Beraterinnen und -Berater müssen von ihren Einkünften sämtliche Berufsunkosten wie Büro, Auto, Telefon und Repräsentationspflichten bezahlen. Aus dem eigenen Sack berappt werden müssen auch die Auslagen für den Besuch der zahlreichen internen Seminare. «Unter dem Strich legte ich manchen Monat Geld drauf», sagt etwa Jasmin Tröndle, eine frühere WNB-Beraterin, frustriert. Sie stieg aus, als sie mehrere tausend Franken im Minus war.
Provisionen erhalten die WNB-Agenten zuerst nur als zinsloses Darlehen – wobei die WNB aufgrund des Agenturvertrags bis zu 50 Prozent der Provision als Reserve für spätere Vertragskündigungen (Storno) zurückbehalten kann. Auf die volle Provision haben WNB-Berater erst Anspruch nach Ablauf der so genannten Stornohaftungszeit – das heisst, nachdem der Versicherungsnehmer seine dritte Jahresprämie bezahlt hat.
Agenten mit einer Stornoquote von über zehn Prozent erhalten als Strafe überhaupt keine Bevorschussung. Sie bekommen ihr Geld erst nach der Stornohaftungszeit. «Nachträglich die Abrechnung zu überprüfen ist aber fast unmöglich», klagen WNB-Agenten.
Dasselbe befürchten Berater, die der WNB den Rücken kehren. Da sie ihre Kunden nicht mehr betreuen können, weisen sie erfahrungsgemäss eine höhere Stornoquote auf. Sie können sich ihre Provisionsguthaben vielfach ans Bein streichen. Oder noch schlimmer: Sie müssen der WNB nach dem Ausscheiden zu viel bezogene Provisionen zurückzahlen. Ein Problem, das bei allen Strukturvertrieben existiert, die Versicherungsprodukte vermitteln.
Wer bei der WNB ausscheidet, vererbt seine Struktur seiner übergeordneten Hierarchie (Upline). Er verliert damit gleichzeitig den Anspruch auf die ausstehenden Provisionsguthaben. So genannte Dynamikprovisionen auf früher abgeschlossene Geschäfte erbt ebenfalls die Upline.
Für WNB-Leute in höheren Positionen sind Berater, die das Handtuch werfen, also ein lukratives Geschäft. Als etwa Carlo Froidevaux, Benjamin Künti oder Erwin Kolly ihren Job an den Nagel hängten, gaben sie gleichzeitig ihre Struktur mit 60 oder mehr Unteragenten ab. Wer eine funktionierende Mitarbeiterstruktur erbt, kommt dadurch in der Regel zu einem bedeutenden Zusatzeinkommen.
Was viele Agenten am Absprung hindert oder was ihnen den Ausstieg bei der WNB gehörig versauert, sind die plötzlich fälligen Kosten für besuchte Führungsseminare. Sie werden Neueinsteigern ab der dritten Stufe als Zückerchen gegen die sinkende Motivation angeboten.
Wer ein Führungsseminar besucht, legt sich finanzielle Fesseln an, denn er verpflichtet sich vertraglich, für die im Jahr vor dem Austritt besuchten Seminare je 3900 Franken zu bezahlen. Ob jemand selbst kündigt oder aufgrund seiner Passivität die Kündigung erhält, spielt dabei keine Rolle.
«Ich muss innert zehn Tagen über 4500 Franken zurückzahlen, sonst werde ich betrieben», schreibt eine verzweifelte ehemalige Agentin. Eine andere Agentin hat eine Betreibung über 7800 Franken am Hals. Auch Erwin Kolly wurde die Ausbildung zum Verhängnis. Er schuldet der WNB rund 16'000 Franken. Was ihn besonders nervt: Er erhielt für das Geld nur eine dürftige Fachausbildung.
Zu wenig ausgebildete Agenten können kaum kundengerecht beraten. Dilettantische Beratungen schädigen auch den Ruf der «Fortuna» und der «Pax». Das zeigen Reaktionen von Beobachter-Abonnenten. Sie nehmen die von der WNB vermittelten Produkte – an denen es nichts zu kritisieren gibt – als dubios wahr.
«Auch wir würden es begrüssen, wenn die WNB einen anderen Verkaufsansatz hätte», sagt Marco Baur, Leiter Vertrieb bei der «Fortuna». «Wir achten deshalb stark darauf, dass die WNB nicht mit der "Fortuna" gleichgesetzt wird.» Anders tönt es bei der «Pax»: «Die Beratung der WNB hat sich laufend verbessert», findet Peter Hohl, Leiter Departement Marketing und Vertrieb. «Heute stimmt die Qualität.»
Verständlich, dass sich die «Pax» und die «Fortuna» vorsichtig äussern. Die WNB-Truppe brachte der «Pax» bisher 40000 neue Kundinnen und Kunden. Die WNB erwirtschaftet inzwischen ein Drittel der gesamten «Pax»-Produktionssumme. Das sind rund 20 Millionen Franken an Jahresneuprämien. Bei der «Fortuna» steuern die WNB-Berater fünf bis sieben Prozent des gesamten Produktionsvolumens bei.
Auf dem Buckel der WNB-Berater machen also vor allem andere Geschäfte – nämlich die Produktelieferanten sowie das WNB-Kader auf der siebten und achten Stufe. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Verkaufsfront, die für den Umsatz verantwortlich sind, fällt wenig ab. Im schlimmsten Fall stehen sie nach der Ernüchterung bei der WNB vor einer zerbrochenen Ehe, einem kaputten Beziehungsnetz und mit Schulden da.
Wer in einer solchen Situation trotzdem weiter als «Finanzberater» tätig sein will, gerät nochmals mit der WNB in Clinch.
Sie droht mit einer Konventionalstrafe von 50'000 Franken, wenn jemand nach dem Austritt eine konkurrenzierende Tätigkeit aufnimmt.