Die 18-jährige Irina Sakota aus Baar kann sich glücklich schätzen. «Wir wollen einen Job!», titelte der Beobachter Anfang März und beschrieb ausführlich die ausgetrocknete Situation auf dem Lehrstellenmarkt. Irina arbeitet hingegen bereits am dritten Lehrplatz seit Ausbildungsbeginn. Der Beobachter hat weder den Mund zu voll genommen, noch hat die Auszubildende einen hohen Lehrstellenverschleiss. «Schuld» ist vielmehr eine zündende Idee, die in verschiedenen Branchen erfolgreich Schule macht.

Irina Sakota ist im dritten Jahr ihrer Informatiklehre bei der Kleinfirma AP Schweiz Informatik in Rotkreuz ZG tätig. Ihren Lehrvertrag hat sie aber nicht von ihrem derzeitigen Lehrmeister bekommen, sondern vom Zuger Berufsbildungs-Verbund (ZBV). Klingt kompliziert, ist aber in der Praxis relativ einfach.

108 Lehrlinge und Lehrtöchter sind zurzeit beim ZBV unter Vertrag. Während der Lehrzeit absolvieren sie Praxiseinsätze bei jeweils drei verschiedenen Unternehmen. Die meisten Jugendlichen, die beim Zuger Verbund unterschrieben haben, machen eine Informatik- oder eine KV-Lehre. Gerade in diesen Bereichen ist es wegen der grossen Nachfrage am schwierigsten, eine Lehrstelle zu ergattern.

Wie Abteilungswechsel in Grossbetrieb


Die Betriebe begründen den Ausbildungsverzicht oft mit mangelnder Grösse. «Viele kleine Firmen können wegen der zunehmenden Spezialisierung keine umfassende Ausbildung anbieten», erklärt ZBV-Leiter Beat Gauderon. Ein Beispiel: «Ein Treuhandbüro kann keine Handels- und Marketingkenntnisse vermitteln. Wenn die Auszubildenden aber bei verschiedenen Unternehmen tätig sind, ist das so, wie wenn sie in einem Grossbetrieb von Abteilung zu Abteilung wechseln.»

Die Erfolgsstory des ZBV zeigt, wie mit geringem Aufwand neue Lehrstellen geschaffen werden können. Auch der Bund hat den Braten gerochen: Neu gegründeten Ausbildungsverbünden gewährt er eine Anschubfinanzierung. «Für kleine und mittelgrosse Unternehmen sind Verbünde optimal», sagt Belinda Walther vom Bundesamt für Berufsbildung und Technologie. «Sie ermöglichen ihnen, sich vermehrt an der Ausbildung ihres Berufsnachwuchses zu beteiligen.»

Das ist auch dringend nötig: Nur gerade 30 Prozent der Schweizer Betriebe, die laut einer Studie der Universität Bern dazu in der Lage wären, bilden derzeit junge Berufsleute aus. Mit der Begründung, die Lehrlingsausbildung übersteige ihre finanziellen und personellen Möglichkeiten, zieht sich die Mehrheit der Firmen aus der Verantwortung.

Diese Argumente werden mit der Verbundlösung vollends entkräftet. Noch ist die gute Idee allerdings nicht ausreichend etabliert. «Das Modell ist zu wenig bekannt», meint Christine Davatz, Vizedirektorin des Schweizerischen Gewerbeverbands. Sie setzt auf Aufklärungsarbeit: «Wenn man den Betrieben erklärt, was ihnen die Mitgliedschaft in einem Ausbildungsverbund bringt, könnte man viele zum Mitmachen motivieren.»

Administration besorgt der Verbund


Die Firmen, die beim Zuger Berufsbildungs-Verbund dabei sind, bezahlen eine nach Lehrjahr abgestufte Pauschale pro geleisteten Arbeitstag. Der Lehrlingslohn ist in der Pauschale inbegriffen. Der Verbund wählt die Lehrlinge und Lehrtöchter aus und betreut sie während der Ausbildung. Regelmässig treffen sich die Jugendlichen zu Gesprächsrunden, wo sie ihre Erfahrungen austauschen. Der Lehrbetrieb kann sich auf die Vermittlung der Fachkenntnisse konzentrieren.

Irina Sakota lernte im ersten Lehrjahr eine Hardware- und Netzwerkfirma in Unterägeri ZG kennen. Danach war sie bei einem Informatikunternehmen in Zug tätig. Keine Frage: Wer den Lehrbetrieb während der Ausbildung zweimal wechselt, muss viel Flexibilität an den Tag legen. Irina sagt, der Einblick in verschiedene Firmen habe ihr viel gebracht: «Mein Selbstvertrauen ist gestiegen, weil ich mich dreimal vorstellen und mich immer wieder einarbeiten musste.»

Für Heinz Rauber, Geschäftsleiter der AP Schweiz Informatik, lohnt sich die Mitgliedschaft beim ZBV ebenfalls: «Unsere Firma ist zu klein, um einen Lehrling vier Jahre lang zu betreuen», erklärt er. «Bis vor kurzem fehlten uns die personellen Ressourcen.» Die vom Verbund vorgesehene Einsatzdauer sei für eine Software-Firma allerdings zu kurz bemessen: «Im Software-Bereich braucht es sechs bis neun Monate, bis jemand ‹fliegen› kann.» Irina wird jedenfalls nicht gleich weiterflattern, sondern auch das vierte Lehrjahr bei der AP Schweiz Informatik verbringen.

Auch in anderen Regionen wurden in den letzten Jahren Ausbildungsverbünde gegründet, etwa in Schaffhausen, Winterthur und Luzern. Manche davon entstanden, weil grosse Unternehmen ihre Ausbildungsabteilungen auslagern wollten. So haben die SBB zusammen mit Privatbahnen das Ausbildungsprojekt «Login» auf die Beine gestellt.

Hoher Nutzen – trotz kurzem Einsatz


Die wenigsten Organisationen sind so gross wie jene in Zug. In Basel gründete der Gewerbeverband einen Ausbildungsverbund, um neue Lehrstellen im kaufmännischen Bereich zu schaffen. «Die Zahl der KV-Lehrstellen ist um 20 Prozent zurückgegangen», so Reto Baumgartner, Leiter des Berufsbildungsressorts beim Gewerbeverband Basel-Stadt. «In dieser Situation wollten wir Verantwortung übernehmen.» Bis im nächsten Sommer will der Gewerbeverband sieben bis zehn Ausbildungsplätze anbieten. «Heutzutage zählt jede neu geschaffene Lehrstelle», sagt Baumgartner.

Für den Verlust von Ausbildungsplätzen im KV-Bereich wird oft die Reform der kaufmännischen Ausbildung verantwortlich gemacht. Manche Lehrmeister befürchten, dass die Ausbildung aufwändiger wird. Reto Baumgartner betont jedoch: «Die Reform ist nur zu einem Teil für das Problem verantwortlich. Wenn Banken und Dienstleistungsbetriebe Stellen abbauen, hat das eben auch nachteilige Folgen für das Lehrstellenangebot.»

Der Leiter des Basler Ausbildungsverbunds ist überzeugt, dass die Stifte den beteiligten Betrieben trotz der kurzen Einsatzdauer viel bringen. «Die Lehrlinge, die wir vermitteln, sind schon nach kurzer Zeit produktiv», erklärt er, «vor allem im zweiten und im dritten Lehrjahr.» Die Einarbeitungszeit halte sich in Grenzen, weil KV-Lehrlinge schulisch relativ stark seien.

Dies bestätigt Dominik Schmid, Inhaber einer Schreinerei in Basel. Dank dem Ausbildungsverbund kann er jetzt nicht nur Schreinerlehrlinge, sondern auch eine kaufmännische Lehrtochter beschäftigen. Der Lehrbetrieb kommt auf seine Kosten: «Unsere Lehrtochter», so Schmid, «erledigt die Büroarbeiten grösstenteils selbstständig.» Weil er mit dem Ausbildungsverbund gute Erfahrungen gemacht hat, bietet Dominik Schmid auch im nächsten Sommer wieder einen Praxiseinsatz an.

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