Die Schnupperlehre hat sich gewandelt: Bisher wurde sie zur Berufswahl eingesetzt, heute dient sie zunehmend als Bewerbungspraktikum. Firmen bieten Schnupperlehren vielfach nur potenziellen Lehrlingen an, die bereit sind, einen Eignungstest zu absolvieren. «Wer diesen nicht meistert, hat keine Aussicht auf eine Schnupperlehre», sagt Rene Anderhaub von der Deutschschweizer Berufsbildungsämter-Konferenz (DBK).

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Eignungstests gibt es vor allem in Berufen, wo die Zahl der offenen Lehrstellen im krassen Missverhältnis zu den Interessenten steht. Das trifft etwa auf die Bereiche Dekoration, Grafik und KV zu. Dekoschweiz, der Berufsverband für dreidimensionales Gestalten, führt beispielsweise seit mehr als zehn Jahren Eignungstests für Schnupperlehrlinge durch. Pro Jahr nehmen bis zu 300 Jugendliche teil, die sich später um die raren Lehrstellen bewerben. «Wir kontrollieren keine schulischen Kenntnisse. Wir stellen Aufgaben im Bereich Raumaufteilung oder Zeichnen», sagt Maia Dermond von Dekoschweiz.

Berufsberater kritisieren Tests

Die Zürcher Lehrmeistervereinigung Informatik (ZLI) testet seit drei Jahren Schnupperlehrlinge, die sich für die Berufe Informatiker und Geräteinformatiker interessieren. Auf jede freie Lehrstelle entfallen sechs Bewerberinnen. Getestet werden Mathematik, Deutsch, Englisch, kognitive Fähigkeiten, handwerklich-technische Begabung und Arbeitsstil. Die Kosten von 60 Franken zahlen in der Regel die Interessenten. Ein standardisierter, betriebsübergreifender Leistungstest erlaube einen fairen Vergleich, den die Schulnoten nicht liefern können, finden viele Personalverantwortliche. Die Berufsberater haben daran wenig Freude: «Die Prüfungen sind belastend. Die Jugendlichen können nicht mehr unbeschwert an den Beruf herangehen», meint Shirley Barns, Stellenleiterin der Berufsberatung Winterthur. Das finden auch die Berufsberater der Stadt Zürich.

Notwendiges Übel und gute Übung

Wo keine Tests durchgeführt werden – wie etwa beim Verband des grafischen Gewerbes, Swiss Graphic Designers –, verlangen die Betriebe meist eine schriftliche Bewerbung. «Die Jugendlichen sollen sich mit dem Beruf auseinander setzen und etwas Kreatives einsenden, das ihre 500-prozentige Motivation ausdrückt», fordert Suzanne Hochreutiner von Swiss Graphic Designers. Die Berufsberater betrachten schriftliche Bewerbungen für Schnupperlehrstellen als notwendiges Übel und empfehlen, den Mehraufwand als gute Übung für spätere Bewerbungen anzuschauen.

Eine Schnupperlehre ohne Bewerbung oder Prüfung gibt es heute grundsätzlich nur noch im Gewerbe. «Kein Handwerksmeister verlangt einen Test», meint Käti Gabathüel vom Berufsinformationszentrum (BIZ) in Wetzikon ZH. Die gleiche Erfahrung machte Rene Anderhaub von der DBK: «Wer einen Beruf wählt, bei dem er auch mal schmutzig oder nass wird, braucht sich keinen solchen Auswahlverfahren zu unterziehen.»

Die Berufswahl ist für die ganze Familie eine Belastung. Väter und Mütter, die sich an ihre eigene Berufswahl zurückerinnern, können oft nicht verstehen, dass es heute so schwierig sein soll, eine Schnupperlehre zu erhalten. Der Tochter oder dem Sohn wird fehlendes Engagement vorgeworfen. Dabei ist der Stress für diese schon gross genug. «Wie soll ich jemals eine Lehrstelle finden, wenn ich nirgends schnuppern kann?», fragen viele verzweifelt – und schreiben weiter Bewerbungen, um für einige Tage den Alltag ihres Wunschberufs kennen lernen zu können. Das ist auch für die künftigen Betriebe vorteilhaft, denn die Praxis zeigt: Verläuft die Schnupperlehre erfolgreich, werden Lehrverträge seltener aufgelöst.

UBS: Pro Lehrstelle 16 Bewerber

Kein Betrieb ist verpflichtet, Schnupperlehren anzubieten. In der Praxis sind es eher Grossfirmen, die Jugendlichen Einblick in den Berufsalltag gewähren. «Wir betrachten dies als Dienstleistung, nicht als Selektionsprozess», betont Kurt Rüttimann von ABB Schweiz. Von den 400 Interessenten für eine Schnupperlehre erhalten 250 Gelegenheit zum Schnuppern.

Andere Grossfirmen werden mit Bewerbungen dermassen überflutet, dass sie Alternativen finden mussten: Bei Kuoni in Zürich melden sich jährlich 800 Interessenten auf knapp ein Dutzend Lehrstellen. Anstatt Schnupperlehren führt Kuoni Informationsnachmittage durch. Das Gleiche macht die UBS: 1850 Interessierten wurde dieses Jahr eine Lehre bei der Grossbank per Videopräsentation näher gebracht. Das Verhältnis von Interessenten und Lehrstellen war sechzehn zu eins. «Für Schnupperlehren sind das einfach zu viele», meint Renate Ried von der UBS.