Krippenmann und Güselfrau
Berufswünsche gehen nicht immer Hand in Hand mit denen der Eltern. Was zu tun ist, wenn der Sohn oder die Tochter einen ausgefallenen Traumjob hat.
Veröffentlicht am 7. November 2005 - 16:18 Uhr
Es sollten mehr Männer den Mut haben, diesen Beruf zu ergreifen. Gerade allein erziehende Mütter schätzen es, dass ihr Kind durch meine Betreuung auch eine männliche Bezugsperson hat.» Jvo Hüttenmoser ist 23-jährig und Leiter einer Kinderkrippe.
Nach der Sekundarschule hatte er verschiedene Angebote für eine Lehrstelle. Koch hätte er werden können, Elektroniker oder Hochbauzeichner. «Die Jobs schienen mir auch alle interessant», sagt er, «aber ich konnte mir bei keinem vorstellen, ihn drei Jahre lang zu machen.» So entschied er sich für ein zehntes Schuljahr. Ein Schnuppertag in der Kinderkrippe wurde zum Schlüsselerlebnis – für Hüttenmoser war danach klar, dass er mit Kindern arbeiten wollte. Seine Eltern hätten ihn von Anfang an in seinem Entscheid unterstützt. Zwar sei sein Vater überrascht gewesen, «aber er spürte, dass das für mich die richtige Wahl war».
Richtig gehandelt: «Eltern sollten ihre Kinder unbedingt in jedem Berufswunsch unterstützen, den sie äussern», sagt Urs Stampfli, Leiter der Zürcher Zentralstelle für Berufsberatung – «egal, wie ausgefallen die Wahl auch sein mag» (siehe Nebenartikel «Karriereeinstieg: So reagieren Eltern richtig»). Gerade dann, wenn dieser Wunsch eher ungewöhnlich sei, zeige das Kind Eigenständigkeit, Charakter und Stärke: «Es ist immer ein Zeichen dafür, dass ein junger Mensch sich verantwortungsvoll mit seiner Zukunft auseinander setzt.» Das ist nicht die Regel, und Stampfli erfährt immer wieder, «wie viele Jugendliche bezüglich ihrer Zukunft völlig orientierungslos sind».
Immer braun im Sommer
Am Kindergartenseminar war Jvo Hüttenmoser einer von drei Männern – unter 500 Schülerinnen. Allerdings merkte er schon bald, dass der Kindergarten nicht seine Welt ist. «Dort ist alles sehr verschult und streng reglementiert. In der Krippe hat man mehr Freiheiten und kann besser auf die Kinder eingehen.» Seit zwei Jahren arbeitet Hüttenmoser in der Kinderkrippe Kronkodil in Langnau ZH, die er heute leitet. Inzwischen kann er sich nicht mehr vorstellen, etwas anderes zu machen, als mit Kindern zu arbeiten, zumal auch die Begleiterscheinungen nicht zu verachten sind: «Du bist im Sommer immer braun, weil du so viel draussen bist, kannst mit den Kindern grillen, fährst mit ihnen in den Zoo – es gibt keinen besseren Job.»
Auch Helene Schmid traf eine ausgefallene und für ihre Eltern überraschende Wahl, als sie sich bei Entsorgung + Recycling Zürich als Laderin von Kehrichtfahrzeugen bewarb. «Nach der Diplommittelschule und diversen Praktika war ich mir über meinen weiteren Berufsweg nicht mehr sicher.» Eine Freundin habe sie dann auf die Idee gebracht, sich bei der Müllabfuhr zu bewerben. «Natürlich hätte es auch andere Möglichkeiten gegeben, aber in einem Einkaufszentrum an der Kasse zu stehen – das wäre nichts für mich.» Nach einem Probetag auf dem Kehrichtwagen war die 24-Jährige überzeugt, die Arbeit packen zu können.
«Junge Menschen müssen selbst erfahren, ob ein Beruf zu ihnen passt», weiss Urs Stampfli aus der Praxis der Berufsberatung. Es sei wichtig, Angebote wie Schnupperlehren oder Probetage zu nutzen, gerade dann, wenn der Wunschberuf nicht den traditionellen Geschlechterrollen oder den allgemeinen Vorstellungen entspreche. «Eltern können das Erlebte mit ihren Kindern besprechen und gemeinsam diskutieren, welche Herausforderungen junge Menschen erwarten, die einen untypischen Beruf wählen.»
Ihre Eltern seien zu Beginn leicht besorgt gewesen um ihre Gesundheit, sagt Helene Schmid. Als sie ihnen aber verdeutlicht habe, dass sie die Stelle nur zur Überbrückung nutzen wolle, habe das Vater und Mutter beruhigt. «Inzwischen finden sie, dass es gut für mich ist, diese Erfahrung zu machen.»
Hart für Frauen wie für Männer
Die Entscheidung für einen Job ist heute nur noch selten eine Entscheidung fürs ganze Leben. «Viele Menschen wechseln im Lauf ihres Lebens mehrmals den Beruf», sagt Urs Stampfli. Auch das sollten Eltern bedenken. «Wenn es am Ende doch nicht der Traumberuf war, wird sich bestimmt ein neuer Weg ergeben.»
Bei Helene Schmid zeichnet sich genau das bereits ab. Sie will sich beruflich neu orientieren – in welche Richtung, ist noch offen. Als Laderin auf dem Kehrichtwagen will sie nur noch so lange arbeiten, bis sie klarer sieht. «Es ist ein harter Job, aber er ist für einen Mann genauso hart wie für eine Frau.»
So reagieren Eltern richtig
- Offenheit: Nehmen Sie Ihr Kind mit seiner Wahl ernst – auch wenn es ganz andere Vorstellungen hat von seiner beruflichen Zukunft als Sie. Versuchen Sie, sich von Ihren eigenen Vorurteilen bezüglich Geschlechterrollen und -berufen, die aus Ihrer Sicht «weniger wert» sind, zu befreien. Wichtig ist, dass Ihr Kind sich wohl fühlt und motiviert zur Arbeit geht.
- Lebensplanung: Ein Ausbildungsplatz oder eine erste Anstellung sind immer nur Einstiege in die Berufswelt. Wahrscheinlich wird Ihr Kind sich im Lauf seines Lebens noch mehrmals neu orientieren. Bemerkungen wie «damit verbaust du dir dein ganzes Leben» sind fehl am Platz.
- Praxistest: Ermuntern Sie Ihr Kind, an Informationsveranstaltungen und Schnuppertagen teilzunehmen. Der Berufswunsch Ihres Kindes sollte diesem Praxistest standhalten.
- Elterninformationen: Bestimmt bietet die Schule Ihres Kindes Veranstaltungen speziell für Eltern an. Nutzen Sie diese, denn hier erfahren Sie, was die Schule tut, damit Ihr Kind die passende Lehrstelle findet. Tauschen Sie sich auch mit anderen Eltern aus.
- Absagen: Wer eine Lehrstelle oder eine erste Anstellung sucht, bekommt auch Absagen. Machen Sie Ihrem Kind Mut, es trotz diesen Rückschlägen weiterhin zu versuchen. Bekommt der Sohn oder die Tochter allerdings ungewöhnlich viele Absagen, sollten Sie gemeinsam mit Ihrem Kind dessen Berufswunsch noch einmal überdenken. Vielleicht lohnt es sich auch, Informationen über Brückenangebote einzuholen. Beachten Sie, dass die Anmeldung für eine solche Zwischenlösung frühzeitig erfolgen muss.