«Es funktionierte tipptopp. Einige Wochen vor der Zwischenprüfung fragte eine Kollegin, ob ich Ritalin probieren wolle. Sie kommt leicht an das Mittel ran, ihre Mutter ist Ärztin. Ich war ziemlich gestresst, weil ich viel zu spät mit dem Lernen begonnen hatte, und konnte es kaum erwarten, die erste Pille einzuwerfen. Ich tat das ohne Bedenken, Ritalin wird ja massenweise auch an Kids verschrieben. In den ersten Minuten merkte ich nichts. Dann aber fegte es wie ein Energiestrahl durch mich hindurch. Zwei, drei Stunden konnte ich total konzentriert arbeiten. Es war ein Turbolernen. Nach drei Wochen hatte ich den Stoff intus.»

Partnerinhalte
 
 
 
 

Mit diesen Erfahrungen steht die 21-jährige Architekturstudentin aus Zürich nicht allein. «Viele gesunde, junge Menschen probieren Mittel wie etwa Ritalin aus», sagt Lutz Jäncke, Professor für Neuropsychologie an der Universität Zürich, «allein in Zürich dürften es einige tausend sein.» Bei seiner jährlichen Einführungsvorlesung über Aufputschmittel und deren Wirkung ist er über Rückmeldungen aus dem Zuhörerkreis jeweils überrascht: «Der Umgang mit allen möglichen Mitteln ist ausgesprochen unverkrampft und fast ein wenig selbstverständlich», sagt Jäncke.

Die Absatzzahlen haben sich verachtfacht

Bisher ist unerforscht, wie weit verbreitet hierzulande an Mittel-, Berufsschulen und Universitäten der Konsum von Substanzen zur Steigerung der Aufmerksamkeit ist. Untersuchungen in den USA zeigen, dass zwischen 7 und 25 Prozent der Studierenden ihre geistige Leistung mit Hilfe von Medikamenten wie Ritalin zu steigern versuchen. Eigentlich wird das Medikament bei einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) verschrieben. Doch auch bei Gesunden stimuliert es die Gehirnzellen, die für Gedächtnis, Aufmerksamkeitskontrolle und Selbstdisziplin zuständig sind.

Davon machen immer mehr Menschen Gebrauch: In der Schweiz haben sich die Absatzzahlen von Ritalin innert zehn Jahren verachtfacht. Und eine jüngst vom «Tages-Anzeiger» in Auftrag gegebene Erhebung bei den drei grössten Krankenkassen zeigt, dass bei unter 20-Jährigen der Bezug von Mitteln zur Behandlung von ADHS seit 2005 um 19 Prozent gestiegen ist. 1,2 Prozent aller Schweizer Kinder und Jugendlichen haben 2008 Ritalin verschrieben bekommen. Diese Zahlen beziehen sich laut Lutz Jäncke nicht nur auf Kinder und Jugendliche mit ADHS: «Ein bedeutender Teil wird von gesunden Menschen konsumiert, die sich mit dem Mittel dopen.»

«Ich fand es nie seltsam, als Gesunde so ein Mittel zu nehmen. Warum auch? Wenn es wirkt, wirkt es. Man muss nur rausfinden, wie viel man verträgt. Ich begann mit 30 Milligramm morgens, nach zwei Stunden nahm ich die nächste Tablette. Ich warf bis zu vier Stück am Tag ein und lernte wie ein Ass.»

Dass Medikamente zur mentalen Leistungssteigerung immer beliebter werden, zeigt auch eine aktuelle Online-Studie der Fachzeitschrift «Nature». Befragt wurden 1400 Leser in 60 Ländern zum Thema, wie verbreitet die Einnahme von Medikamenten zur Steigerung der geistigen Leistung unter Wissenschaftern sei. 20 Prozent gaben an, zur Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit schon einmal Medikamente eingenommen zu haben. Davon taten es 25 Prozent durchschnittlich einmal in der Woche, weitere 25 Prozent gar täglich. 80 Prozent der Befragten äusserten die Meinung, gesunde Erwachsene sollten selbst entscheiden können, ob sie sich dopen oder nicht. Und obwohl 86 Prozent ein Verbot von Hirndoping bei Kindern unter 16 Jahren bejahte, räumten 33 Prozent von ihnen ein, die eigenen Kinder bei Bedarf mit synthetischer Nachhilfe zu unterstützen.

«Ich finde, dass jeder Mensch selbst entscheiden darf, ob er sich dopt oder nicht. Es sagt mir ja auch niemand mehr, was ich anziehen soll oder was ich essen muss. Es ist auch nicht unfair den Kolleginnen und Kollegen gegenüber, denn es gelten ja für alle die gleichen Bedingungen. Wenn man will, kommt man an die Mittel ran. Einer meiner Bekannten hat es sich von seinem Arzt verschreiben lassen. Er hat sich vorher übers Internet genau informiert, welche Symptome man haben muss, um Ritalin verschrieben zu bekommen – und schon hatte er das Rezept. Und ausserdem gibt es ja in Hülle und Fülle Internetapotheken, wo man solche Mittel anonym bestellen kann.»

Bisher äusserten sich Forscher zu Gehirndoping mit skeptischem Unterton. Umso überraschender war ein Text, der Ende letzten Jahres ebenfalls in «Nature» erschien. Darin eröffneten sechs Neurologen der Weltspitze die Diskussion über die unkomplizierte Freigabe von Hirndoping-Medikamenten. Einhellig vertraten sie die Meinung, eine kognitive Verbesserung sei aus Sicht des Einzelnen und der Gesellschaft zu begrüssen. «Zu einer angemessenen gesellschaftlichen Reaktion wird es gehören, solche Verbesserungen bei gleichzeitigem Risikomanagement frei zugänglich zu machen», so die Autoren.

Eine Goldgrube für die Pharmaindustrie

Das dürfte Balsam für die Ohren der Pharmabranche sein. Medikamente, die nicht nur bei Hyperaktivität und zur Bekämpfung von Alzheimer wirken, sondern auch die Hirnfunktionen Gesunder verbessern, gelten als Goldgrube, bedienen sie doch einen breiten Markt: die unaufhaltsam ergrauenden geburtenstarken Jahrgänge ebenso wie die junge Generation, die um gute Noten und begehrte Jobs kämpft. Laut einer Studie von Novartis (dem Hersteller von Ritalin) bereitet die Pharmaindustrie gegenwärtig die Einführung von 600 neuen Medikamenten zur Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten vor.

«Ohne Ritalin hätte ich nie so viel in meinen Kopf drücken können. Klar: Ich habe vielleicht den einfachsten Weg gewählt. Aber das Leben ist anstrengend, und das Hirn darf doch schliesslich auch mal faul sein.» 

Quelle: Jupiterimages