«Abends sitze ich nur noch deprimiert vor meiner Stereoanlage», steht in einem Eintrag des rege genutzten Internetforums quarterlifecrisis.de. Die Schreiberin, eine 27-jährige ehemalige Studentin, findet in der Arbeit nicht die gewünschte Befriedigung. Sie hat sich die Selbstständigkeit aufregender vorgestellt.

Hinter dem Modebegriff Quarterlife-Crisis verbirgt sich die Sinnkrise junger Leute nach Abschluss der Ausbildung. Zwei junge Amerikanerinnen haben den Begriff erfunden. Er ist Titel ihres Buchs, das in den USA für grosses Aufsehen sorgte.

«Eine Quarterlife-Crisis gibt es so wenig wie eine Midlife-Crisis», sagt hingegen Christoph Lauber, Leiter des Kriseninterventionszentrums der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Krisen könne man nicht auf Altersgruppen beschränken. Die Lebenssituation spiele eine entscheidende Rolle: «Krisen treten immer in Bezug auf ein einschneidendes Ereignis auf: in der Pubertät, mit dem Berufseinstieg oder bei Trennungen. Die Zeit nach der Ausbildung überfordert heute mehr junge Leute, da die Lebenswege nicht mehr so vorgezeichnet sind.»

Die Vielfalt an Lebensformen ermöglicht es, die eigene Zukunft individuell zu gestalten: Möchte ich im Ausland arbeiten? Wie stelle ich mir eine Partnerschaft vor? Kinder ja oder nein? «Durch den gesellschaftlichen Wandel haben sich die Werte verändert. Die Fülle an Optionen erschwert die Auswahl, und demzufolge müssen die jungen Erwachsenen mehr Entscheidungen fällen», sagt Psychiater Lauber. Die Angst, die falsche Wahl für das weitere Leben zu treffen, sei gross.

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Abschied vom gewohnten Umfeld
Die beruflichen Möglichkeiten sind zwar zahlreicher geworden, doch angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit haben junge Leute düstere Zukunftsaussichten. Andrea Weibel, Leiterin der Berufs- und Laufbahnberatung St. Gallen, ist mit ihren Problemen täglich konfrontiert: «Die Sorge, nach der Lehre keine Stelle zu bekommen, belastet die jungen Frauen und Männer stark. Sie geraten oft in eine Phase der Orientierungslosigkeit.» Zudem verlassen junge Erwachsene ihr gewohntes Umfeld; dies löst nicht selten Selbstzweifel aus.

So auch bei Nora Cista: Die 28-Jährige schloss vor zwei Jahren ihre Lehre als Grafikerin ab und steckte danach in einer Identitätskrise: «Ich wurde nur auf meinen Beruf reduziert, kam mir schubladisiert vor. Das hat mich gestört. Sich nach der Ausbildung in der Berufswelt zu beweisen, braucht massiven Durchhaltewillen.» Die Zürcherin sieht heute in einer Krise keine Gefahr mehr, sondern eine Chance.

Die Angst der Studienabgänger
Wenn eine Krise über mehrere Wochen oder Monate anhält, kann sie eine Depression auslösen. Dann sollten sich Betroffene professionelle Hilfe holen. «Bei depressivem Verhalten ist eine längerfristige Unterstützung nötig», sagt Eugen Teuwsen, Leiter der Psychologischen Beratungsstelle für Studierende beider Hochschulen Zürichs. Kurz vor dem Abschluss des Studiums würden nicht wenige der Absolventen in eine Krise geraten. «Den geschützten Rahmen der Hochschule zu verlassen ist für viele sehr schwer. Zudem plagen sie Ängste, zu versagen oder sich zu blamieren», sagt Teuwsen.

Die deutsche Psychologin Christiane Papastefanou befasst sich mit dem frühen Erwachsenenalter und betreut junge Leute in schwierigen Lebensphasen. Von einer Quarterlife-Crisis zu sprechen fände sie übertrieben, aber dass junge Erwachsene verstärkt unter Zukunftsangst und Perspektivlosigkeit leiden, sei richtig. Die gesellschaftliche Entwicklung habe dazu beigetragen. Demnach sind Krisen auch abhängig von der politischen und der sozialen Situation sowie der demografischen Veränderung einer Gesellschaft. Aber eine Krise ist auch immer eine Herausforderung. Oder wie für Nora Cista eine Gelegenheit, um nicht stehen zu bleiben: «Manchmal muss es einem schlecht gehen, damit man wieder etwas Neues anfängt», ist die Grafikerin heute überzeugt.

Weitere Infos

  • Beratung und moderierte Chats: www.das-beratungsnetz.de
  • Beratungsplattform zu aktuellen Lebensfragen für Jugendliche und junge Erwachsene: www.tschau.ch
  • Kriseninterventionszentrum Zürich, Beratung für Frauen und Männer ab 18 Jahren, siehe unter «Behandlung und Grundangebote»: www.pukzh.ch