Studium: Zuerst denken, dann studieren
Gute Vorbereitung erspart späteren Frust: Wer nicht als «ewiger Student» enden will, sollte genug Zeit in die Wahl des Studienfachs investieren.
Veröffentlicht am 10. August 2000 - 00:00 Uhr
Nach der Matur hatte Sara Wälti genug von der Schule: «Ich wollte zuerst berufliche Erfahrungen sammeln.» Das Zwischenjahr ist vorbei – jetzt gilts ernst für die 20-Jährige. Um das Studium im Wintersemester aufnehmen zu können, muss sie sich schleunigst für ein Fach einschreiben.
Zum Zeitdruck kommt die Frage nach der Fachrichtung. «Bis vor kurzem hatte ich keine Ahnung, was ich studieren soll», sagt Sara. Sie verbrachte schon Stunden in der Berufsberatung ihres Wohnorts, las Broschüren, schmökerte in Büchern und informierte sich ausgiebig über die verschiedenen Studienrichtungen.
Das Beratungsangebot ist top
«Lesen und sich informieren ist das A und O bei der Fachauswahl», sagt der Berner Studienberater Peter Graf. Die Berufs- und Studienberatung Bern bietet neben Informationsmaterial, Workshops und telefonischer Auskunft auch kostenlose persönliche Beratungen an. «Auf jeden Fall sollten sich angehende Studentinnen und Studenten zuerst selbstständig informieren», sagt Peter Graf. «Eine persönliche Berufsberatung ist erst dann angezeigt, wenn jemand wirklich keine Ahnung hat, was er wählen soll – oder wenn er sich nicht entscheiden kann.» Für das Gespräch stehen dem Berater diverse Hilfsmittel wie etwa Interessen- oder Persönlichkeitstests zur Verfügung. Auch die Zeugnisnoten geben wichtige Anhaltspunkte. Sara Wälti beispielsweise hätte gern Biologie studiert, doch ihre Bio-Noten waren nicht so toll.
«Natürlich sind Noten immer auch subjektiv und deshalb nur zum Teil repräsentativ», gibt Graf zu bedenken. «Doch für eine naturwissenschaftliche Fachrichtung muss man in den Fächern Mathematik, Physik und Chemie schon sehr gut sein, sonst ist man am falschen Ort.» Peter Graf rät auch davon ab, sein Hobby zum Beruf zu machen: «Ein Hobbysportler muss nicht unbedingt Sport studieren, er kann zum Beispiel auch Medizin belegen und sich dann auf Sportmedizin spezialisieren.» Zudem sei es gut, wenn man neben der Arbeit noch eine Freizeitbeschäftigung habe, die nichts mit dem Studium zu tun hat.
Die elf Schweizer Hochschulen bieten rund 450 verschiedene Hauptfachstudiengänge an. Maturandinnen und Maturanden, die noch dieses Jahr ihr Studium aufnehmen wollen, müssen sich bis 1. Juni einschreiben. Für Human-, Tier- und Zahnmedizin ist die Tür bereits zu: Anmeldeschluss war der 15. Februar.
Erstellt man aufgrund der statistischen Zahlen eine Rangliste der beliebtesten Fächer, so schwingen die Wirtschaftswissenschaften oben aus. Rund 2800 Maturandinnen und Maturanden haben 1998 ein Ökonomiestudium begonnen. An zweiter Stelle liegen die Sozialwissenschaften (2700 Neueingeschriebene). Darunter fallen neben Soziologie und Psychologie auch die Medienwissenschaften. Mit 2000 Studienanfängern liegt die Rechtswissenschaft an dritter Stelle.
Den Bildungsforscher Markus Diem erstaunt das nicht. Denn momentan herrsche bei den Maturanden der «rich and famous»-Trend vor: Was zählt, sind Ansehen und Geld. Diem: «In den achtziger Jahren studierte man noch, was einen interessierte. Heute sind ein sicherer Arbeitsplatz und ein guter Lohn wichtiger.» Nicht ohne Grund, denn der Arbeitsmarkt ist gesättigt, und unter den Studienabgängern herrscht ein grosser Konkurrenzkampf.
Wie die Eltern, so die Kinder
Berufsaussichten hin oder her: Bei vielen Maturanden läuft die Studienwahl auch heute noch unbewusst ab. «Die Familie ist der erste Ort, wo den Kindern Bilder und Werte der verschiedenen Berufe vermittelt werden», sagt Markus Diem. «Auffällig viele Kinder von Medizinern oder Juristen treten in die Fussstapfen ihrer Eltern.»
Das gilt auch für Luc Hänni. Er studiert Jus wie schon sein Vater. Hänni begründet sein Interesse an der Rechtswissenschaft jedoch anders: «Ich wollte eine gute und vielseitige Allgemeinbildung und zudem das Studentenleben mit den vielen Partys geniessen. Das ist bei einem Jus-Studium am besten möglich», sagt der 25-Jährige mit einem Augenzwinkern.
Weniger gradlinig verlief das bisherige Studium von Sven Guggenheim. Er ist einer der vielen Publizistikstudenten. Ihn zieht es aber nicht in den Journalismus, sondern in die Werbung. Der Basler kam über Umwege zur Medienwissenschaft. Zuerst hatte er an der Universität Basel zwei Semester Wirtschaft studiert, aber so richtig begeistert war er nicht. Eine Berufspsychologin riet ihm dann zur Publizistik- und Medienwissenschaft.
Der 24-Jährige zog nach Zürich, weil dort Publizistik im Hauptfach studiert werden kann. «Das war das Beste, was ich tun konnte», sagt Sven Guggenheim heute. Die zwei Semester Wirtschaft waren dennoch nicht umsonst: Heute studiert er Betriebswirtschaftslehre im Nebenfach, «um noch etwas Bodenständiges zu machen».
Maturanden sind schlecht informiert Solche Wechsel sind häufig. Rund ein Viertel aller Studierenden wechselt die Fachrichtung während der Ausbildung – erfahrungsgemäss nach etwa vier Semestern. Zählt man die Abbrecherquote von knapp 30 Prozent hinzu, so beginnen rund 50 Prozent der Studenten mit einem Fach, das sie später nicht abschliessen. In Deutschland ist die Abbrecherquote etwa gleich hoch, allerdings liegt die «Wechslerquote» lediglich bei zehn Prozent.
Bildungsforscher Markus Diem ortet die Gründe für die häufigen Wechsel in der mangelnden Information an den Maturitätsschulen. Das bestätigt auch Sven Guggenheim: «Ich hatte keine Ahnung und meldete mich einfach mal für Wirtschaft an, weil ich das cool fand.»
Ein paar Informationsnachmittage beim Studienberater reichen also nicht aus. Diem fordert gar Praxiserfahrungsmodule für die Kantonsschulen, wo auch ausseruniversitäre Ausbildungen vorgestellt werden sollten. Doch das ist Zukunftsmusik. Vorerst müssen sich die Gymnasiasten weiterhin selber helfen.
Wie weiter nach dem Studium?
Beim Stöbern in der Berufsberatung stiess Sara Wälti auch auf das Fach Nordische Philologie (Literaturen und Sprachen Skandinaviens). Saras erster Gedanke war: «Das würde mich interessieren.» Dann aber stellte sie sich die Frage: «Was mache ich nach dem Studium?»
Berater Peter Graf kann auf solche Fragen kein Patentrezept geben. Denn die Prognosen zur Arbeitsmarktsituation nach einem fünfjährigen Studium sind sehr unsicher. Doch das allein ist nicht ausschlaggebend. Graf: «Wichtiger ist, dass der Absolvent sich und sein Spezialwissen bei der Jobsuche gut verkaufen kann.» Sara Wälti hat sich schliesslich für Geografie entschieden. Doch bevor sie sich definitiv anmeldet, möchte sie ein paar Vorlesungen besuchen – um zu sehen, ob die angebotenen Themen sie auch wirklich interessieren. Ein schlaues Vorgehen, denn so muss sie nicht nach ein paar Monaten enttäuscht sagen: «Ich habe mir dieses Fach völlig anders vorgestellt.»