Titelbetrug, Einschüchterung und Mobbing: Die Universität Zürich sorgt in akademischen Kreisen für Unruhe. Bereits warnt der Deutsche Hochschulverband (DHV) seine Mitglieder davor, einen Lehrauftrag in der Schweiz anzunehmen. «Eine Berufung in die Schweiz ist mit einem Risiko behaftet, und dieses ist in den letzten Jahren grösser geworden», sagt DHV-Geschäftsführer Michael Hartmer.

Aktiv wurde der DHV wegen des Falls der Theologin Ellen Stubbe. 1997 gab die Professorin für Praktische Theologie eine Lebensstelle in Hamburg auf und wechselte an die Uni Zürich – ein folgenschwerer Fehler. Wenig vertraut mit den Netzwerken und Männerfreundschaften an der Fakultät, stiess die stellvertretende Dekanin und einzige weibliche Professorin bei den Fakultätsangehörigen auf wenig Gegenliebe. Es kam zu internen Konflikten, die der später beigezogene Basler Rechtsprofessor Günter Stratenwerth als völlig normal für jede Universität bezeichnete. Ende 2000 beantragte der damalige Dekan, Ingolf U. Dalferth, beim Rektor ein Verfahren zur Überprüfung der Amtsfähigkeit der angefeindeten Theologin.

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Wie aus einem billigen Roman

Die Behandlung Stubbes durch die Unileitung habe jeglicher Rechtsstaatlichkeit gespottet, blickt der mittlerweile pensionierte Rechtsprofessor Hans Ulrich Walder zurück. Im Rahmen dieses «Feldzugs gegen die Professorin», wie er es ausdrückt, seien sechs Verfahren eingeleitet worden – das erste kurz nachdem die Theologin lebensgefährlich an Krebs erkrankt war. Die Frau sei zeitweise so schwach gewesen, dass sie sich kaum um eine Rechtsvertretung habe kümmern können.

Ende Januar 2003 folgte der Rausschmiss. Offiziell begründet wurde Stubbes «unverschuldete Kündigung» mit dem angeblich «zerrütteten Vertrauensverhältnis». Der Zürcher Bildungsdirektor Ernst Buschor beschuldigte die Theologin zudem, sie habe ihre Betreuungspflichten vernachlässigt – ein Vorwurf, der in den diversen Verfahren nie erhoben wurde.

Grund für die Kündigung der bei den Studenten beliebten Professorin sei ein anderer gewesen, sagen Insider. Stubbe habe Pech gehabt, dass man sie nur als Platzhalterin geholt habe. Seit längerem sei ein anderer Anwärter auf die Professur bereitgestanden. Bei Stubbes Antritt ist er allerdings noch nicht habilitiert gewesen.

Zum Verhängnis wurde der Theologin eine Auseinandersetzung mit ihrer Assistentin. Gegen Ende der dreijährigen Assistenzzeit präsentierte die Mitarbeiterin ihrer Chefin das Inhaltsverzeichnis ihrer Dissertation, das Stubbe als Abschrift entlarvte. Was folgte, könnte einem schlechten Roman entstammen. Der Assistentin gelang es, in den Besitz von vier persönlichen Briefen Stubbes an einen ihr sympathischen Mann zu gelangen; die Assistentin war inzwischen selber eine engere Beziehung mit dem Mann eingegangen.

Diese Briefe wurden widerrechtlich zu den Akten gelegt und gegen Stubbe verwendet – was der kantonale Datenschutzbeauftragte als unrechtmässig bezeichnete. «In der Zwischenzeit haben vermutlich alle diese Briefe gelesen. Ich wundere mich, dass sie noch nicht vergrössert am Anschlagbrett hängen», sagt Stubbe sarkastisch. Die Assistentin, die sich selber als Mobbingopfer darstellte, erhielt von der Theologischen Fakultät anschliessend ein Forschungsstipendium.

Am 12. März hat Ellen Stubbe die Kündigung beim Verwaltungsgericht Zürich als missbräuchlich angefochten. «Frau Stubbe wurde auf gravierende Weise wiederholt das rechtliche Gehör verweigert», begründet ihr Rechtsanwalt Daniel Vischer den Rekurs. Der Fall füllt mittlerweile mehrere Aktenordner. Die Querelen an der Universität kosteten den Kanton einige 100'000 Franken. Nun droht der Uni auch noch eine Klage wegen Rufschädigung. Stubbes akademischer Ruf ist durch die Kündigung schwer angeschlagen.

«Wie ein Schulbub behandelt»

«Alle Verfahrensregeln wurden in diesem Fall missachtet», kritisiert Hans Ulrich Walder. So sei ihm etwa von Unirektor Hans Weder eröffnet worden, dass seine Briefe nicht mehr geöffnet würden – was auf eine Verweigerung des Rechtsbeistands hinauslief. Hans Ulrich Walder, der 30 Jahre an der Uni Zürich gewirkt hat, fühlt sich «behandelt wie ein Schulbub, dem man eines auf sein freches Maul gibt».

Auch in einem anderen Fall wurde ein engagierter Professor von der Universitätsleitung mundtot gemacht. Der vor einem Jahr emeritierte Onkologe Christian Sauter war Mitglied der Medizinischen Fakultät, als 1998 der Deutsche Rainer W. Grüssner zum Leiter der Klinik für Viszeralchirurgie gewählt wurde. Sauter hatte von Anfang an Zweifel an den Fähigkeiten Grüssners, worin er später auch bestätigt wurde. «Kurz nach seinem Amtsantritt kamen verschiedene Ärzte zu mir und beklagten sich über ihn. Seine besten Operateure verbannte er ins Büro», schildert Sauter das damalige Klima. Wegen gravierender Führungsprobleme musste Grüssner das Unispital bereits nach einem Jahr wieder verlassen – versehen mit 1,2 Millionen Franken Abfindung aus der Staatskasse.

Der reichlich Belohnte war auch ein Titelschwindler. Von einem Bekannten wurde Sauter darauf hingewiesen, dass Grüssner in den USA zu Unrecht den Titel eines «Ph. D.» verwendete. Auch bezüglich Grüssners Operationskatalog hatte Sauter Zweifel. Er begann zu recherchieren. Doch das passte der Unileitung nicht. Der Dekan liess Sauter wissen, dass er «eigenständige Nachforschungen unterlassen» solle; das sei Sache des Dekans. Dieser unternahm jedoch nichts.

Gezielte Verunglimpfungen

Sauter liess sich keinen Maulkorb verpassen. An Fakultätssitzungen musste er sich deshalb Ausdrücke wie «Eiterbeule», «Antidemokrat» oder «Promotor totalitärer Prinzipien» anhören. Schliesslich erhielt er einen Verweis, weil er die Anordnungen seines Vorgesetzten nicht beachtet habe. Doch in der Sache hatte er Recht: Auf der Website der Universität Minnesota wurde Grüssners falscher Titel bald gelöscht.

Der Verweis hatte böse Folgen für Sauter: Der Lohnstufenanstieg wurde ihm verweigert, was eine Kürzung seiner Rente bedeutet. «Bis an mein Lebensende werde ich jeden Monat bei der Auszahlung der Pension an diesen Fall erinnert.» Sauter hätte den Verweis noch beim Bundesgericht anfechten können, nachdem sich der Zürcher Regierungsrat als unzuständig erklärt hatte. Er verzichtete darauf, weil ihn die ganze Sache bereits 40'000 Franken gekostet hatte.

Es war nicht der einzige Fall von Titelschwindel, den Sauter aufdeckte. Anfang Februar 2000 hatte er den Rechtsdienst der Uni Zürich darauf aufmerksam gemacht, dass Professor Felix Lutz, der Leiter des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, sich mit einem falschen Titel schmückte. «Nach der heutigen Usanz in den USA hätte Professor Lutz nur wenige Tage Zeit, freiwillig von seinem Posten zurückzutreten», schrieb Sauter und beklagte sich, dass es der Dekan abgelehnt habe, diesen Fall an der Fakultätssitzung zu traktandieren.

Ein paar Monate später protestierte Sauter erneut in einem Schreiben: «Lutz publizierte auch im Jahre 2000 mit dem betrogenen ‹Ph. D.›. Die Universität ist offensichtlich nicht in der Lage durchzugreifen.» Das schien zu nützen: Lutz wurde freigestellt. Der Entlassung kam er zuvor, indem er von sich aus das Arbeitsverhältnis auf Februar 2002 auflöste.

Einen Monat später erschoss Lutz sich und seine Ehefrau in einem Kieswerk im Prättigau. Eine Tat, die in einem Zusammenhang mit weiteren Unregelmässigkeiten stehen könnte: Noch immer ermittelt die Bezirksanwaltschaft Zürich V wegen mutmasslicher Finanzdelikte, in die weitere Universitätsangehörige verwickelt sein könnten. Die Rede ist von Millionenbeträgen aus Forschungsfonds, die ins Ausland verschoben sein sollen.

Auch Karl Spühler machte schlechte Erfahrungen mit der Universitätsführung. Der Rechtsprofessor und ehemalige Bundesrichter war vor gut drei Jahren Präsident einer Expertenkommission, die einen Entwurf für ein Rekursrecht erarbeitete. Der Inhalt des Papiers war brisant: Spühler schlug die Schaffung einer von Universität und Bildungsdirektion unabhängigen Rekursinstanz vor, wie es dem Standard der meisten Unis entspricht.

Als Spühler nach den Neujahrsferien im Januar 2000 in sein Büro kam, bemerkte er, dass wichtige Unterlagen seiner Vorarbeiten entwendet worden waren. Er meldete den Einbruch dem Universitätssicherheitsdienst. Doch dieser traf erst drei Tage später ein – Spuren liessen sich nicht mehr finden. Dafür installierte der Sicherheitsdienst eine Überwachungskamera in Spühlers Büro – für den Fall, dass Ähnliches nochmals passieren sollte. Tatsächlich wurde erneut eingebrochen – doch just in dieser Nacht versagte die Kamera ihren Dienst.

Der damalige Rektor richtete den Verdacht auf eine an Spühlers Lehrstuhl tätige Assistentin. Diese hatte zusammen mit Spühler den Entwurf für die Rekurskommission erarbeitet. Obwohl die Verdächtigte gar nicht hätte einbrechen müssen, da sie ohnehin Zugang zu allen Dokumenten und Infos hatte, leitete die Zürcher Justiz ein Strafverfahren gegen sie und zwei weitere Personen ein.

Auch auf einer anderen Ebene trieben die Verdächtigungen eigenartige Blüten: Spühler wurde unterstellt, mit seiner Assistentin mehr als nur berufliche Beziehungen zu haben.

«Professionell» beschattet

In dieser Zeit widerfuhr der Assistentin Seltsames: Plötzlich funktionierte ihr Telefon nicht mehr – weder im Büro noch zu Hause. Auch wurde sie «auf professionelle Art» beschattet. Sie fühlte sich zunehmend bedroht, so dass sie aus ihrer Wohnung in eine Wohngemeinschaft zog. Auch traute sie sich während Wochen nicht mehr allein auf die Strasse. Das Strafverfahren wurde nach einigen Monaten eingestellt. Die Hintergründe des Einbruchs sind bis heute unklar. Kurze Zeit später schuf die Universitätsleitung eine Rekurskommission, die – anders als in Spühlers Expertise vorgeschlagen – nicht unabhängig ist. Spühlers Kommentar: «Punkto Rekurswesen steht die Universität Zürich von allen Universitäten in der Schweiz praktisch am Schluss.» Gegenüber dem Beobachter lehnte Rektor Hans Weder eine Stellungnahme zu all diesen Ereignissen ab. Kein Blatt vor den Mund nimmt hingegen Hans Ulrich Walder: «An der Uni Zürich herrscht eine Erscheinungsform des neuen Absolutismus, der sich in unserer Gesellschaft ausbreitet: Man darf nicht mehr sagen, was man will, ohne diszipliniert zu werden.»