Wenn ich gross bin, werde ich ...
Wie die kindliche Vorstellung vom Traumberuf die spätere Berufswahl tatsächlich beeinflussen kann.
Veröffentlicht am 3. Juni 2013 - 14:46 Uhr
Im Büro arbeiten? Kommt nicht in Frage! Wenn Kinder sich ihren Traumberuf ausmalen, schweben ihnen handfestere Professionen wie Pilot oder Tierärztin vor (siehe Grafik unten). Oft ist auch eine Uniform im Spiel – oder die Vertreter des Berufsstands machen in den Medien eine auffällig gute Figur, wie Sängerinnen oder Fussballprofis.
Doch oft bleibt der ersehnte Beruf bloss ein Traum: 12 Prozent der Erwachsenen in der Schweiz geben an, sie arbeiteten in ihrem Traumberuf. Und 60 Prozent würden ihren heutigen Job sofort aufgeben und versuchen, den Traumberuf zu erreichen, wenn sie sich das leisten könnten. Das zeigt eine Online-Umfrage des Karriereportals Monster.ch aus dem Jahr 2010.
«Kinder werden zwar oft nach ihren Wünschen gefragt. Doch diese werden dann als unrealistisch abgetan», sagt die Berner Psychologin Karin Stuhlmann. «Dabei beeinflussen Traumberufe die spätere Laufbahn.» Stuhlmann untersuchte 1000 Berufsverläufe über eine Zeitspanne von 20 Jahren – vom Traumberuf mit 12 bis zur Berufstätigkeit mit 35. Sie wies jedem Traumberuf drei typische Merkmale zu wie «kreativ», «führend» oder «erziehend-pflegend» für eine Kinderpflegerin. Das verblüffende Ergebnis: Mit 35 arbeitete ein Viertel der Befragten in einem Arbeitsbereich, der allen drei Merkmalen des Traumberufs entsprach, bei weiteren 50 Prozent waren zwei abgedeckt. «Traumberufsbilder sind also eine Art Grundpfeiler für den späteren Berufsverlauf», so Stuhlmann. «Man sollte deshalb vorsichtig sein mit der Aussage ‹Mach doch einfach mal etwas, du kannst ja später wechseln›. »
Gewählt werden Traumberufe mehrheitlich nach Geschlecht. «Das liegt vor allem daran, dass Pubertät und Berufswahl zeitlich zusammenfallen», erklärt der Solothurner Psychologe Markus Neuenschwander. «Mit 15 steht man mitten in der Suche nach der eigenen Geschlechtsidentität und will sich abgrenzen. Die frühe Wahl fördert damit traditionell geschlechtstypische Berufe.» So waren denn einige heutige Top-Ten-Berufe bereits 1970 beliebt. Andere wie Fussballprofi oder Schauspielerin fehlten allerdings – geändert hat sich zudem, dass Mädchen heutzutage auch akademische Berufe wählen.
Was tun, wenn das Kind Astronaut oder FBI-Agentin werden möchte? Oder von einem Beruf schwärmt, der im Arbeitsmarkt schlechte Chancen hat? Reinhard Schmid, Berufsberater in Bülach: «Wichtig ist, dass sich Jugendliche mit dem Traumberuf auseinandersetzen können. Wenn ihre Wünsche ernst genommen werden, gehen sie meist von selbst dazu über, die Traumvorstellungen in realistische Lösungen umzuwandeln.» Rede man ihnen den Traumberuf einfach aus, werte ihn ab oder zweifle an den Fähigkeiten des Kindes, werde er oft «im Versteckten» beibehalten.
Schmid betont, dass sich Jugendliche wie Eltern mit den eigenen Erwartungen auseinandersetzen müssen. In seinem «Berufswahl-Portfolio» bietet er «Einstiegshilfen» für diese Auseinandersetzung. «Der Traumberuf ist ein starker Motivator für den Leistungsschub, den es für die Berufsfindung braucht», betont er. Statt auf Begabungstests oder Berufsvorschläge zu setzen, die den Spielraum einengen, sollte man die Entdeckerlust fördern.
«Polizeiautos, blinkende Sirenen und die Uniform faszinierten mich», erzählt Reto S. Damals war er zehn Jahre alt, und sein Vater arbeitete als Grenzpolizist am Flughafen Kloten. «Polizisten sah ich als Ritter der Strasse, die die Leute vor dem Bösen schützen.» Mit 15 suchte er eine KV-Lehrstelle. «Wichtig war mir, überhaupt eine Stelle zu finden und bald Geld zu verdienen.» Nach der Lehre arbeitete er sieben Jahre in einem Notariat und einer Bank, dazwischen war er neun Monate Animator für einen Reiseveranstalter in Zypern. Dort lernte er seine Frau kennen.
«Als es mit Mitte 20 darum ging, Weichen für die Laufbahn zu stellen, erinnerte ich mich an meinen Kindheitstraum.» Vor zwei Jahren schloss er die Polizeischule ab, heute arbeitet er auf der Polizeiwache im Zürcher Kreis 4. Zu seinen Aufgaben zählen sicherheitsdienstliche Tätigkeiten, Strafverfolgung, Einsätze bei Demonstrationen – doch etwa die Hälfte der Arbeitszeit sei Büroarbeit. «Es herrscht nicht immer Action wie in Krimis und Polizeifilmen.» Der Alltag auf der Strasse sei eine Mischung aus Routine, schönen Erlebnissen, menschlichen Tragödien und Gewalt.
Gewöhnen musste er sich daran, immer unter Beobachtung zu stehen. «Emotional belastend sind die Anfeindungen von Passanten, die manchmal bis hin zu tätlichen Angriffen gehen», sagt er und fügt an: «Es ist nicht die heile Welt, die klar zwischen Guten und Bösen unterscheidet.»
Seit sieben Monaten ist Reto S. Vater. In privaten Gesprächen sei seine Sicherheit manchmal ein Thema. «Wirklich Angst habe ich nie gehabt. Aber Respekt vor bestimmten Einsätzen.» Seine Dienstwaffe musste er noch nie einsetzen. Rückblickend sagt er: «Vom Kindheitstraum geblieben ist, dass ich als Polizist etwas für die Lebensqualität in der Stadt tun kann. Der Kontakt mit völlig verschiedenen Menschen gefällt mir.»
Beim Spielen habe sie die Barbiepuppen nie aus- und angezogen, sondern immer nur frisiert, erzählt Daniela Greco. Damals lebte sie in Ravensburg in Oberschwaben. «Meine ältere Schwester Laura war Coiffeuse und mein Vorbild.» Doch sie wollte nicht einfach dasselbe lernen – und unter den vier Schwestern sei sie «der Bub» gewesen. Ohne Begeisterung begann sie eine Detailhandelslehre, brach nach einem Jahr ab. Schwierig sei danach auch das erste Lehrjahr als Coiffeuse gewesen. «Die Leidenschaft für den Beruf kam erst wieder, als ich eigene Kunden hatte.» Die starren Hierarchien im Geschäft empfand sie als Hindernis.
Nach ihrer Heirat kam sie mit 23 nach Zürich und fand eine Anstellung bei einer Coiffure-Kette. «Ich fühlte mich dort unterfordert. Also machte ich die Meisterprüfung.» Danach übernahm sie die Geschäftsleitung, bildete Lehrlinge aus und wurde Prüfungsexpertin. Ihr Traumberuf blieb Coiffeuse, weil man so vielseitig gefordert sei: vom psychologischen Einfühlungsvermögen über die Kreativität und Handwerkskunst bis zum Fachwissen. «Es macht mich manchmal wütend, dass der Beruf so wenig Wertschätzung erfährt und so schlecht bezahlt ist», sagt sie. «Viele haben die Vorstellung, es sei ja nur Haareschneiden.» Doch mit den wechselnden Moden und Produkten müsse man sich dauernd weiterbilden.
Vor vier Jahren eröffnete sie mit einer Kollegin ein Geschäft im Zürcher Niederdorf. Heute hat sie viele Stammkunden, und das Geschäft ist ein Treffpunkt im Quartier geworden. «Coiffure Strubelpeter» nannte sie es, weil die Geschichte sie als Kind fasziniert habe. «Das Interessanteste am Beruf finde ich immer noch die Wirkung, die man mit Frisuren erreichen kann.»
«Pilot wurde mein Wunschberuf, als ich mit fünf Jahren in Kloten erstmals Flugzeuge sah», sagt Christoph Zogg. «Fliegerei war das Hobby meines Vaters. Und es wurde auch meine Leidenschaft.» Während des Gymnasiums bewarb er sich als Militärpilot, schied aber in der zweiten Auswahlrunde aus. Dann studierte er je zwei Semester Physik und Geschichte, doch schliesslich meldete er sich bei der Schweizerischen Luftverkehrsschule an. «Ich wusste, dass 90 Prozent der Anwärter durchfallen und man die Prüfung nicht wiederholen kann.»
Er bestand. Doch kaum war die Ausbildung fertig, galt bei der Swissair ein Einstellungsstopp. Erst nach einem Jahr fand er bei Edelweiss Air Arbeit. Dort ist er seit 15 Jahren, mit 28 wurde er Captain und mit 35 Chefpilot. «Für mich ist immer noch jeder Flug ein Erlebnis.» Kürzlich flog er zum ersten Mal nach New York. «Damit ging nochmals ein Bubentraum in Erfüllung.»
Ausgeblendet habe er anfangs die schwierigen Seiten. «Es ist kein kreativer Beruf; man muss sehr diszipliniert sein.» Und oft sei man den halben Monat unterwegs, ohne von den besuchten Orten viel zu sehen. Zogg ist mit einer Flight Attendant verheiratet. «Zumindest dieses Pilotenklischee hat sich erfüllt», sagt der Vater zweier Töchter. Und bemerkt: «Es ist ein Vorteil, dass meine Frau das unstete Leben aus eigener Erfahrung kennt.» Fliegen möchte er wenn möglich bis zur Pensionierung. «Dennoch würde ich heute eher vom Beruf abraten.» Bei ihm melden sich Hunderte, die nach einer Ausbildung, die 100 000 Franken kostet, kaum Chancen auf eine feste Stelle haben. «Piloten sind Fachleute, die können nicht einfach etwas anderes tun.»
«Als Kind wurde mir vorgelebt, dass man andern hilft, wenn sie krank oder alt sind», erinnert sich Silvia Nideröst. Als Kind erhielt sie nach einem Beinbruch mit Spitalaufenthalt ein Spielzeug-Notfallköfferchen. «Ich stellte mir vor, dass ich später eine schöne weisse Uniform trage, den Menschen helfe, Spritzen mache und mit dem Arzt zusammenarbeite.» Der Berufsberater riet der Realschülerin, Hundecoiffeuse zu lernen. Doch sie schnupperte als Floristin und suchte sich einen Ferienjob in einem Erholungsheim. «Danach wusste ich: Das ist es.»
Während eines Sozialjahrs sollte sie den gesamten Gesundheitsbereich kennenlernen. Doch sie blieb das ganze Jahr über an der ersten Praktikumsstelle in einem Alters- und Pflegeheim. Bis Silvia Nideröst schliesslich das Diplom als Pflegefachfrau HF erhielt, durchlief sie drei Ausbildungen, auch mit Einsätzen im Spital. «Mehr als die Pflege selber faszinieren mich die Menschen mit ihren Lebensgeschichten, das Alter und der Tod.» Seit 23 Jahren arbeitet sie in Alters- und Pflegeheimen – und will bleiben.
Dass die Alterspflege schwierig und traurig sei, stimme nicht, betont sie. «Man entwickelt eine persönliche Beziehung zu den Menschen.» Natürlich sei es auch eine Arbeit, die sie körperlich und psychisch fordere. Als Jugendliche habe sie vieles ausgeblendet: schwierige menschliche Situationen, unregelmässige Arbeitszeiten, zunehmende Schreibarbeit, Technisierung und Zeitdruck. «Im Zentrum blieb aber für mich: Ich kann helfen und Menschen im letzten Lebensabschnitt begleiten.»