Zum Wunschberuf dank Schnupperlehre
Im Frühling schnuppern Schüler Berufsluft und treffen bald den bisher grössten Entscheid ihres Lebens. Was sie und ihre Eltern dabei beachten sollten.
Veröffentlicht am 18. März 2022 - 11:24 Uhr
Luca Fluck fühlte sich plötzlich sehr erwachsen, als er zum ersten Mal zur Arbeit ging. «Es war ein cooles Gefühl und eine willkommene Abwechslung zum Schulalltag», erzählt der heute 15-Jährige. In der zweiten Sek ging er gleich siebenmal in die Schnupperlehre: als Koch, Kellner, medizinischer Praxisassistent, bei einem Sportsender und im Büro.
Besonders wichtig war ihm, wie man auf ihn reagierte: «Teilweise war das warm und herzlich – und dann das pure Gegenteil!» Im Service und in der Küche gefiel es ihm sehr. Doch vom Stehen schmerzten die Füsse, sagt Luca Fluck, der in seiner Freizeit Fussball spielt. Auch deshalb wählte er eine KV-Lehre.
Das Schnuppern habe ihm die Wahl erleichtert – wie vielen anderen auch. In der Oberstufe befassen sich Jugendliche intensiv mit der ersten Berufswahl . Sie durchlaufen dabei einen sehr wichtigen Prozess. Dazu gehört, sich Gedanken über Neigungen und Talente zu machen und den passenden Beruf zu finden. Aber auch, Verschiedenes auszuprobieren sowie mit Berufsleuten und Lernenden zu reden.
«Eine Schnupperlehre ist die beste Möglichkeit, den Wunschberuf von seiner alltäglichen Seite kennenzulernen», heisst es in einem Online-Inserat einer Bäckereikette aus dem Zürcher Unterland. «Was nützen die schönsten Vorstellungen, die besten Vorsätze, wenn dir die praktischen Arbeiten deines Wunschberufs nicht liegen ?»
Silke Zemp, Leiterin des Berufsinformationszentrums in Kloten, kann da nur zustimmen. Sie empfiehlt, zwei bis drei Berufe auszuprobieren. Beim Schnuppern können die Jugendlichen selbst Arbeiten verrichten, Herausforderungen spüren, die Teamkonstellation erleben – oder auch erfahren, ob sie sich in einem Grossbetrieb oder einem KMU wohler fühlen. «Schnuppern macht es möglich, Vorstellungen zu überprüfen und erste Sinneserfahrungen im Wunschberuf zu erleben», sagt Silke Zemp. «In einer Backstube ist es vor allem im Sommer sehr heiss. Und in der Pflege sehe ich Wunden. Ertrage ich das?»
Carla Schönberg ertrug es nicht. Sie hatte davon geträumt, Fachfrau Gesundheit zu werden. Doch in der Schnupperlehre erkannte sie ihr Problem mit dem Blut. «Auch die Gerüche waren ganz übel. Bei einem bettlägerigen Mann musste ich raus!», erzählt die bald 18-Jährige.
Die Arbeit in einer Kita lag ihr ebenfalls nicht. Sie probierte weitere Berufe aus und erfuhr im Berufsinformationszentrum, dass es allein im kaufmännischen Bereich 21 verschiedene Branchen gibt. Damit sie mehr Zeit hatte, einen passenden Lehrbetrieb zu finden, entschied sie sich für ein kaufmännisches zehntes Schuljahr.
Geschnuppert wird vor allem von den Sportferien bis in die Sommerferien, teils auch im Selektionsverfahren für Lehrstellen. Für die Bewerbung reicht bei manchen Betrieben ein Anruf, andere verlangen selbst für Schnupperlehren eine umfassende Bewerbung. Die Oberstufenschulen helfen meist beim Bewerben und ermöglichen Schnuppern in der Schulzeit. Im zehnten Schuljahr hat Carla Schönbergs Lehrerin mit ihr sogar vier Stunden lang Vorstellungsgespräche geübt – auch auf Französisch. «Als dann das Gespräch für meine Lehrstelle tatsächlich auf Französisch geführt wurde, konnte ich gross punkten», erzählt Carla Schönberg stolz.
Hast du die Schnupperlehre zu Ende gebracht? Als Beobachter-Mitglied findest du unter der Checkliste «Was hat mir die Schnupperlehre gebracht?» einige Fragen, die du dir vor dem Gespräch mit deiner Betreuerin stellen solltest, damit du entscheiden kannst, ob du wirklich im Betrieb beginnen möchtest.
Von solcher Hilfe konnte der heute 17-jährige Tim Nock nicht profitieren. Er war im Gymnasium, wollte aber weg von der Schulbank, hinein in die Arbeitswelt und eine KV-Lehre machen. Dazu wollte er in verschiedenen Betrieben schnuppern. Doch am Gymnasium ist das nicht üblich. «Da ist das schlicht nicht der Job der Lehrer. Ich musste es mit dem Rektor persönlich absprechen», erinnert sich Tim Nock.
Doch er empfiehlt allen, Schnupperlehren zu machen – auch jenen, die eine schulische Ausbildung einschlagen wollen: «Auch sie sollten abchecken, was ihnen wirklich Spass macht.»
Tim Nock ist heute glücklich. Er möchte nach wie vor studieren. Später – mit der Berufsmatura ist das kein Problem. Geändert hat aber sein Berufswunsch: Er will jetzt Journalist werden.
«Die Eltern sollten dem Kind immer wieder bewusst machen, wo es im Berufswahl-Fahrplan steht.»
Silke Zemp, Leiterin Biz Kloten ZH
Und wenn man keine Schnupperlehre findet? Hier rät Expertin Silke Zemp, das persönliche Netzwerk und jenes der Eltern zu aktivieren, aber auch in der Klasse herumzufragen. Vielleicht ergibt sich eine Chance, zum Beispiel via das Gotti der Banknachbarin.
Auch Tim Nock hat einen Tipp: Er rät, bei Absagen nachzufragen : «Ich habe wirklich Lust darauf. Ist es vielleicht in einem Monat möglich?» Das zeige, wie wichtig es einem sei.
Wer Pech hat und nirgends schnuppern kann, gewinnt einen Einblick in verschiedene Branchen bei Infoveranstaltungen, Lernenden-Talks oder durch Videos auf Websites von Firmen, aber auch bei den Swiss-Skills-Meisterschaften, auf Whatchado.com, Yousty.ch oder auf Berufsberatung.ch. Diese Hilfsmittel sind sehr gut – allerdings kann nichts die persönlichen Eindrücke ersetzen, die eine Schnupperlehre bietet.
Carla Schönberg, Luca Fluck und Tim Nock sind sich einig: Die Eltern sollen sich bei der Berufswahl etwas zurücknehmen und das Kind nicht in einen Beruf drängen. Sondern es offen dabei unterstützen, seine Interessen zu erkennen und frei zu entscheiden. «Das ist wichtig, damit es seine Ausbildung erfolgreich durchzieht», sagt Nock. Schönberg doppelt nach: «Wenn das Kind auf den Bau will, sollen die Eltern nicht sagen, mach zuerst etwas Anständiges. Schliesslich kann man in der heutigen Zeit Floristin lernen und nachher studieren.» Willkommen sei aber, wenn die Eltern Berufe und Firmen vorschlagen, die zu den Wünschen passen, ergänzt Fluck.
Viele Jugendliche meinen, sie hätten ewig Zeit. Expertin Silke Zemp empfiehlt den Eltern, dem Kind immer wieder bewusst zu machen, wo es im Berufswahl-Fahrplan steht und wie viel Zeit ihm für welchen Schritt noch bleibt. So verliert es sich nicht.
Auch Carla Schönberg rät, dem Kind ab und zu einen Tritt zu geben, zu sagen «Mach mal!». Zwei Dinge sollten Eltern aber auf keinen Fall tun: Bewerbungen schreiben oder gar im Betrieb anrufen. Eine massvolle Unterstützung ist aber nötig – wie sie Tim Nock erhalten hat: Er zeigte den Eltern die fertigen Bewerbungsbriefe. «Man soll spüren, dass das Kind den Text geschrieben hat, aber ein erwachsener Unterton ist wichtig», sagt er.
Auch Carla Schönberg schätzte die grosse Unterstützung durch ihre Eltern und deren Anteilnahme. Ihre Mutter habe regelrecht mitgefiebert und sie nach wichtigen Terminen immer sofort angerufen.
Luca Fluck setzte mit Hilfe seiner Mutter eine ausgefallene Idee um: ein Bewerbungsvideo mit Statements von Lehrern, Fussballtrainer und Bruder. Der Bruder äusserte sich sehr ehrlich und nicht nur positiv. «Das Video ist total cool geworden», sagt Fluck. Es habe ihn von der Masse abgehoben und ihm so geholfen.
Eltern müssen also das richtige Mass finden, dem Kind wo nötig unter die Arme greifen, sein Selbstwertgefühl stärken und es bei Misserfolg trösten . So signalisieren sie ihm: Ich nehme dich ernst, ich bin an deiner Seite.
Um mit den Sprösslingen das Auftreten zu üben und sie durch Erfolgserlebnisse zu stärken, empfiehlt Berufsberaterin Silke Zemp, dass die Kinder stellvertretend für die Eltern Aufträge erledigen, wie etwa eine Wohnsitzbescheinigung auf der Gemeinde zu holen. Die Verantwortung für die Berufswahl tragen die Eltern. Schule und Berufsberatung helfen. Wählen und handeln sollen die Jugendlichen aber selbst.
- Mindestalter: 13 Jahre
- Lohn: Üblicherweise gibt es keinen, eventuell kleine Geschenke. Gratisarbeit muss aber klar vereinbart sein. Sonst ist Lohn geschuldet.
- Dauer: optimal zwei bis fünf Tage, maximal zwei Wochen
- Arbeitszeit: werktags, zwischen 6 und 18 Uhr, maximal 8 Stunden pro Tag und 40 Stunden pro Woche
- Pause: mindestens 30 Minuten bei über 5 Stunden Arbeitszeit
- Unfallversicherung: für Berufsunfälle obligatorisch, für Freizeitunfälle ab 8 Wochenstunden ebenso
- Haftung: Arbeitgeber haften auch für Fehler der Schnupperlehrlinge. Eine Haftung der Schnupperperson ist in der Regel ausgeschlossen, weil Arbeitgeber Personen ohne Erfahrung speziell anleiten und überwachen sollen.
- Schnupperlehren finden grundsätzlich in den Ferien statt. Ein Anspruch auf Dispensierung von der Schule besteht nicht.
- Eltern sollten Jugendliche nicht unter Druck setzen und je nach Situation deren Motivatoren, Antreiber, Tröster oder Begleiter sein. Das heisst, es ist nicht die Aufgabe der Eltern, für ihre Kinder eine Schnupperstelle zu suchen.
- Schnupperlehren sind im vorletzten Schuljahr empfohlen. Es ist allerdings nicht immer einfach, eine solche zu ergattern. Wenn die Tochter oder der Sohn nichts findet, muss dies nicht mit fehlendem Engagement zusammenhängen.
- Bevor du eine Schnupperlehre suchst, solltest du dir Gedanken über deine Interessen und Talente machen und dir überlegen, welche Berufe dazu passen. Deine Eltern, Lehrer oder das Berufsinformationszentrum (BIZ) können dir dabei helfen. Erkundige dich auch auf berufsberatung.ch. Für mehr Infos vereinbarst du am besten einen Termin mit einer Berufsberaterin.
- Entscheide dich für zwei bis drei Wunschberufe. Überprüfe in Schnupperlehren, ob deine Vorstellungen der Realität entsprechen und ob die Berufe wirklich zu dir passen.
- Nimm an Informationsveranstaltungen des BIZ und von Firmen teil. Das erfordert wenig Aufwand und gibt einen fundierten Einblick in den gewünschten Beruf.
- Suche für die Schnupperlehre einen Betrieb aus, bei dem du dir vorstellen könntest, auch die Lehre zu absolvieren. Inserate auf den Firmenwebsites oder in Lehrstellenbörsen enthalten teilweise Online-Bewerbungsformulare. Oder die Firmen geben an, auf welchem Weg sie deine Kontaktaufnahme oder Bewerbung wünschen und was deine Bewerbung enthalten soll (z. B. Motivationsschreiben, CV, Zeugnisse).
- Lass Kontakte spielen. Frage Verwandte und Kollegen, ob sie jemand kennen, der im Traumberuf arbeitet. Oft ist es so möglich, einen bestimmten Beruf näher kennen zu lernen. Auch das Internet kann hilfreich sein. Auf den Homepages der Firmen und auf berufsberatung.ch werden oft Berufsbilder, Ausbildungswege und Voraussetzungen für eine Anstellung aufgezeigt und Kontaktpersonen angegeben.
- Verlangt die Firma eine schriftliche Bewerbung, lass diese von jemandem auf Schreibfehler, Formulierung und Inhalt überprüfen. Behalte dabei aber deinen eigenen Schreibstil bei. Es soll nicht so wirken, als hätten deine Eltern die Bewerbung geschrieben. Erkläre in deinem Bewerbungsschreiben die Gründe, wieso du eine Schnupperlehre in diesem Beruf und Betrieb machen willst.
- Werte jede Schnupperlehre aus (siehe auch Checkliste oben): Was hast du gemacht? Was hat dir gefallen? Was hat dich gestört? – Stimmt dein Berufsbild zu wenig mit deinen Erwartungen überein, dann sieh dich weiter um.
Die Berufswahl ist eine erste wichtige Entscheidung, die junge Menschen für ihr Leben treffen. Wie geht man dabei vor? Was bringt eine Schnupperlehre? Und wie bewirbt man sich bei der Suche nach einer Lehrstelle? Die Antworten auf diese und weitere Fragen erhalten Sie als Beobachter-Mitglied.
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