Feriengesuche: Bei Sonderferien sehen Schulpfleger schwarz
Gesuche um zusätzliche Ferientage für schulpflichtige Kinder stossen bei den Schulbehörden selten auf ein offenes Ohr. Wer trotz Ablehnung verreist, riskiert happige Geldstrafen.
Veröffentlicht am 10. August 2000 - 00:00 Uhr
Fürsorgliche Eltern, zwei tolle Kinder, ein hübsches Haus: eine Bilderbuchfamilie. Doch seit den letzten Weihnachten hat das Bild Risse. Sabina und Rudolf Zimmermann aus Schwerzenbach ZH sind mit der Justiz in Konflikt geraten: Sie haben sich laut dem Statthalter des Bezirks Uster ZH einer Widerhandlung gegen das Volksschulgesetz schuldig gemacht.
Sabina Zimmermann ist als Tochter deutscher Eltern in Südamerika aufgewachsen. Die Grosseltern des sechsjährigen Cedric und des neunjährigen Oliver leben in Brasilien. Es ist Tradition, dass die Familie Weihnachten mit den Angehörigen in São Paulo feiert. Dieses Treffen ist für alle Beteiligten von grosser Bedeutung.
Doch die Reise zum fernen Kontinent braucht Zeit, Flüge sind schwierig zu buchen. Und in Brasilien ist an Weihnachten Sommer: Zeit der «grossen Ferien» – und wichtige Wochen für die Pflege verwandtschaftlicher Beziehungen. Das Problem: Die Weihnachts- und Neujahrsferientage der Schwerzenbacher Volksschule reichen für die bedeutsame Reise nicht aus.
Kollision mit den Ferienterminen
Als Oliver noch in den Kindergarten ging, war das alles kein Problem. Er bekam jeweils ohne weiteres zusätzliche Tage frei. Ärger kündigte sich erstmals an Weihnachten 1997 an. Olivers Eltern mussten ein Dispensationsgesuch für den mittlerweile schulpflichtigen Erstklässler stellen.
Die Schulpflege bewilligte den Antrag für fünf Tage zusätzliche Ferien widerwillig und nur als «einmalige Ausnahme». Da Oliver nun die Volksschule besuche, würden in Zukunft «keine dergleichen Gesuche mehr bewilligt», schrieb die Behörde den Eltern in harschem Ton.
Tatsächlich: Das nächste Gesuch der Zimmermanns für sechs zusätzliche Freitage während der Weihnachtszeit wurde von der Gemeindeschulpflege abgelehnt. Auch eine Solidaritätskundgebung von Olivers Klasse nützte nichts. Die Klasse schrieb: «Bitte lassen Sie doch Oli nach Brasilien zu seinen Grosseltern fliegen, wir helfen ihm, die versäumten Stunden nachzuarbeiten.» Vergeblich, die Behörde blieb hart. Bei einer eigenmächtigen Hinwegsetzung über diesen Beschluss hätte die Familie die Konsequenzen zu tragen.
Verantwortung übernehmen wollten Olivers Eltern – allerdings nicht so, wie sich die Schulbehörde dies vorstellte. In ihrem Gesuch hatten die Zimmermanns angeboten, während des Aufenthalts in Brasilien mit Oliver Hausaufgaben zu machen. Doch die Schulpflege verhinderte auch dies. Sie wies die Lehrerin an, Oliver keine Aufgaben mitzugeben. Sabina Zimmermann: «Das zeigt, dass es der Schulpflege mehr um ihre Macht geht als um das schulische und familiäre Wohl des Kindes.»
Schulbehörden urteilen streng
Die rechtlichen Grundlagen für das Absenzenwesen sind in den kantonalen Schulgesetzen, Verordnungen und Richtlinien nachzulesen. Eine Durchsicht dieser Grundlagen ergibt ein weitgehend übereinstimmendes Bild: Schulversäumnisse sind bewilligungspflichtig. Für ein oder zwei Tage kann die Lehrkraft die Bewilligung erteilen. Für längere Abwesenheiten – und meist auch bei Ferienverlängerungen – braucht es die Genehmigung der Schulbehörde oder des Schulinspektors.
Uber die Gründe, die zur Absenz berechtigen, sagen die Schulgesetze wenig aus. Umso grösser ist der Spielraum der Schulbehörden. Doch der wird selten zugunsten der Gesuchsteller ausgelegt.
Auch nicht von der Schulpflege Schwerzenbach. Für Präsident Rene Iten kommt nur eine strenge Auslegung der Absenzenregelung in Frage. Lediglich nicht planbare und zwingende Familienereignisse mag er als Begründung für eine Dispensation gelten lassen. «Es gibt keine zusätzlichen Ferien, wenn man sich mit Angehörigen treffen will – auch wenn das Treffen in Brasilien und an Weihnachten stattfindet. Zudem ist es Aufgabe der Behörde, alle jene "Anständigen" zu schützen, die sich in einer ähnlichen Lage befinden, aber kein Gesuch stellen, weil sie wissen, dass die Schulpflege dies nicht bewilligen darf.
Die Anfragen beim Beobachter-Beratungszentrum zeigen: In vielen Kantonen und Gemeinden wird die Bewilligungspraxis der Schulbehörden zunehmend restriktiver gehandhabt. Zwingend anerkannt werden nur medizinische Gründe und wichtige Familienanlässe. Besonders streng werden Dispensationsgesuche für die Tage vor und nach den Schulferien beurteilt. In der Regel werden sie abgelehnt.
Mühsamer Kleinkrieg mit Behörden
Ausnahmen gibt es nur, wenn «achtbare Gründe» vorliegen: bei Ausländerfamilien zum Beispiel die Reise ins Heimatland zu religiösen Feiern, die Teilnahme als Aktiver an grossen Sportanlässen oder bei zwingenden, beruflich bedingten Ferienverschiebungen der Eltern. Kein genügender Grund ist der günstige Charterflug am vorletzten Schultag. Wenig Unterstützung findet auch die Idee, den kurzen Weihnachtsurlaub zu einem längeren Ferienaufenthalt unter tropischer Sonne auszudehnen.
Auseinandersetzungen über abgelehnte Dispensationsgesuche führen oft zu emotionaler Hochspannung zwischen Eltern und Schulbehörden. Eltern sind immer überzeugt, dass gerade ihre Gründe besonders triftig sind. Die Schulbehörden dagegen sehen schnell ihre obrigkeitliche Autorität in Gefahr.
Auch Sabina und Rudolf Zimmermann sind überzeugt, «achtbare Gründe» für ihr Gesuch gehabt zu haben. «Ob ein Familienereignis für uns wichtig ist oder nicht – das können doch nur wir selbst entscheiden.» Sie gaben nicht auf.
Inzwischen hatten sie auch in Erfahrung gebracht, dass in den umliegenden Gemeinden eine liberalere Bewilligungspraxis herrscht. Sie schrieben Briefe und Rekurse an die Bezirks- und die Kantonsbehörden, legten ihre Argumente dar und baten um Verständnis.
Umsonst. Alle Instanzen wiesen die Begehren ab. Der Präsident der Schulrekurskommission schrieb in seinem provisorischen Entscheid, eine Ferienverlängerung von sechs Tagen «dränge sich nicht auf». Selbst wenn die Reise nach Brasilien als wichtiges Familienereignis eingestuft würde, genügten die zwei Wochen der offiziellen Schulferien, um den Zweck der Reise zu erfüllen.
Der ablehnende Entscheid des Kantons traf drei Tage vor der Abreise ein. Doch die Flüge waren gebucht – und die Zimmermanns nach wie vor von der Rechtmässigkeit ihres Vorhabens überzeugt. Und so blieb Olivers Platz im Klassenzimmer der dritten Klasse zwei Tage vor und vier Tage nach den Weihnachtsferien leer.
Teuer bezahlter Familientreff
Die Folge: Auf Anzeige der Schulpflege Schwerzenbach und nach getrennter Einvernahme durch die Polizei bestrafte der Statthalter des Bezirks Uster die Eltern mit hohen Bussen: 500 Franken für Olivers Vater und 50 Franken für die Mutter. Zudem müssen die Zimmermanns die Verfahrenskosten von knapp 1500 Franken bezahlen.
Immerhin sah der Statthalter verschuldensmildernde Gründe. Es sei nachvollziehbar, wenn das gemeinsame Verbringen der Weihnachtsfeiertage mit den weit entfernt lebenden Grosseltern für die Familie einen «hohen Stellenwert» geniesse.
Für Zimmermanns ein schwacher Trost. «Es ist doch nicht Aufgabe der Schulpflege, familiäre Bedürfnisse zu unterdrücken. Sie hätte den Ermessensspielraum gehabt, uns das zu ermöglichen, was alle Eltern zum Wohl ihrer Kinder getan hätten.»