Hausaufgaben: Wenn Kinder gegen Leistungsdruck rebellieren
Veröffentlicht am 9. Oktober 2000 - 00:00 Uhr
Das Problem:
«Unser Sohn Peter, 9, bringt mich noch zur Verzweiflung. Wenn ich ihm mit viel Geduld bei den Aufgaben helfen will, ist er derart desinteressiert und unkooperativ, dass ich fast rasend werde. Im ersten halben Jahr Schule wäre Peter lieber wieder in den Kindergarten zurückgekehrt. Später bat uns die Lehrerin, jeden Tag mit ihm zu lesen, und am Ende des Jahres fragte sie, ob wir zu Hause irgendwelche Probleme hätten. Jetzt habe ich erfahren, dass Peters Versetzung in die vierte Klasse gefährdet sei. Seither sehe ich nur noch schwarz, obwohl ich meine Kinder liebe und eine gute Ehe führe. Wie komme ich aus diesem Schlamassel heraus?»
Martina F.
Koni Rohner, Psychologe FSP:
Sie haben sich im Bemühen, Ihrem Sohn zu einem guten Schulerfolg zu verhelfen, leider in eine Sackgasse hineinmanövriert. Familiendynamisch gesehen sind Sie nämlich in einen unfruchtbaren Machtkampf verstrickt sonst würden Sie nicht so wütend. Aus diesem Kampf müssen Sie aussteigen. Der einfachste Weg besteht darin, dass Sie die Aufgabenhilfe einer unbeteiligten Person übertragen.
Es wird Ihnen ein schwacher Trost sein, dass in vielen Familien ähnliche Szenen stattfinden; Hausaufgaben scheinen für Konflikte dieser Art prädestiniert zu sein. Unbewusst erprobt Ihr Sohn seine Stärke, wenn er sich beim Hausaufgabenmachen ungeschickt anstellt. Derlei Trotz vermittelt ihm ein recht gutes Selbstwert- und Identitätsgefühl, obwohl er sich mit seinem Widerstand natürlich selber schadet.
Machtkämpfe, meint der amerikanische Pädagoge Rudolf Dreikurs, zetteln nur Menschen an, die entmutigt sind das gilt übrigens auch für Erwachsene. Ermutigen kann man Mitmenschen, indem man ihr Selbstbewusstsein stärkt, Verständnis für sie entwickelt und ihnen hilft, sich selber besser zu verstehen. Wichtig ist auch zu zeigen, dass man sie liebt unabhängig davon, ob sie eine Leistung erbringen oder ob sie dem eigenen Idealbild entsprechen.
Wenn Kinder beim Lernen Blockaden haben, hat es also keinen Zweck, diese mit aller Gewalt oder irgendwelchen Tricks aufbrechen zu wollen. Die Blockaden lösen sich vielmehr dann auf, wenn es den Eltern zu verstehen gelingt, was das Kind blockiert. Manchmal ist es für dieses schon hilfreich zu spüren, dass die Eltern es ernsthaft zu verstehen versuchen.
Bei Peter wird ziemlich sicher herauskommen, dass er die Schule nicht liebt. Aber noch ist nicht klar, ob er einfach in gewissen Fächern überfordert ist, ob er Schwierigkeiten mit der Lehrerin hat oder ob die Ansprüche und Erwartungen der Eltern zu viel Stress erzeugen. Falls Peter überfordert ist, weil Schulleistungen für ihn schwierig zu erbringen sind, wäre die Repetition der dritten Klasse ja wirklich sinnvoll.
Kinder verstehen heisst, ihre Realität wahrnehmen und akzeptieren. Gerade im Bereich der Schule fällt das vielen Eltern schwer manchmal weil sie über die Kinder ihren eigenen Ehrgeiz befriedigen wollen. Oft ist es aber auch der Schmerz ob der Erkenntnis, dass das eigene Kind schulisch weniger begabt ist als jenes der Nachbarn, der dem Verständnis im Wege steht.
Bis zu einem gewissen Grad ist die Angst der Eltern, dass Kinder mit einem schlechten Schulabschluss in unserer Konkurrenzgesellschaft weniger Chancen hätten, realistisch und berechtigt. Anderseits hat die Praxis gezeigt, dass auch nach der Volksschule noch längst nicht alle Weiterbildungsmöglichkeiten verbaut sind.
Eltern, die sich darüber ärgern, dass ihre Kinder in der Schule nicht besser sind, sollten sich einmal vorstellen, was denn wäre, wenn ihr Kind «nur» der zweit- oder der drittbesten Oberstufe zugeteilt würde. Bedauern sie wirklich das Kind? Wird nicht vielmehr ihr eigenes Ego angekratzt? Haben sie vielleicht das Gefühl, miserable Eltern zu sein oder einen Fehler gemacht zu haben? Solch egoistische Elternmotive sind ein schlechter Ratgeber für die Erziehung.
Kinder betreuen heisst, ihnen beim Finden ihres ureigensten, persönlichen Weges behilflich zu sein. Niemand kennt diesen Weg zum Voraus, selbst die besten Eltern nicht. Erziehung gleicht der Tätigkeit eines Gärtners: Er schafft Raum, damit sich die Pflanze entfalten kann; er giesst, düngt vielleicht und schaut, dass die Pflanze genügend Sonne bekommt.
Gute Eltern sorgen für einen fruchtbaren Boden und verfolgen mit Liebe und Verständnis das Wachstum der Kinder. Mädchen und Buben können für ihre Schulleistungen Hausaufgaben inbegriffen selber die Verantwortung übernehmen. Wenn sie dann die Eltern um Hilfe bitten, sollte ihnen diese selbstverständlich nicht verweigert werden.