Schülerzeichnungen schmücken die Gänge des Primarschulhauses Altenburg im aargauischen Wettingen. Das grosse Bild mit der Arche Noah steht geradezu sinnbildlich für die Situation in einer Schule: Menschen verschiedener Nationen und unterschiedlichen Alters verbringen einen Grossteil ihrer Zeit unter einem Dach, im gleichen Boot.

Doch die Idylle trügt. Gewaltanlässe sorgen immer wieder für Schlagzeilen.

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Jugendliche Banden erpressen Kinder. Auf dem Pausenplatz gibts handfeste Kleinkriege: Es wird geprügelt und gemobbt.

Der amerikanische Sozialpädagoge und Jugendarbeiter Ron Halbright beschäftigt sich seit sieben Jahren mit diesem Phänomen. Und er tut etwas dagegen. Für den gemeinnützigen Verein NCBI Schweiz, einen Ableger des Washingtoner National Coalition Building Institute, betreibt er Gewaltprävention unter Kindern und Jugendlichen. Hauptmerkmal des NCBI-Projekts ist die Ausbildung von Schülern zu so genannten «Peacemakers», also zu Friedensstiftern.

Bunt gemischte «Friedenstruppe»

Die Primarschule Wettingen AG arbeitet seit fünf Jahren mit NCBI zusammen. «Am Anfang stand der Wunsch, klarere Strukturen in den Schulalltag zu bringen und gemeinsam Neues zu schaffen», sagt die Lehrerin Simone Jenni.

Das NCBI-Projekt besteht aus regelmässigen Workshops mit den vierten und fünften Klassen sowie einer jährlichen Friedenswoche für alle 400 Schüler. Zudem werden je ein Junge und ein Mädchen pro Klasse für ein Jahr als Peacemaker gewählt. Die Gruppe ist bunt gemischt: Schweizer sind ebenso dabei wie Italiener, Kosovo-Albaner und Türken.

Auch Julia engagiert sich bei den Peacemakers. Früher sei sie oft von älteren Schülern bedroht worden, erzählt die 12-Jährige. Das will sie andern Kindern ersparen. Julia ist überzeugt, dass sie als Friedensstifterin im Schulhaus etwas auslösen und verändern kann, auch wenn sie und ihre Kolleginnen und Kollegen zum Teil böse beschimpft werden.

Julia ist eine unter 20 Friedensstifterinnen und Friedensstiftern an der Schule. Den «Peacemaker»-Anstecker tragen die meisten mit Stolz. So auch der elfjährige Micha. Der Fünftklässler war früher jede Woche in wüste Schlägereien verwickelt. «Mein Erzfeind wohnte ganz in der Nähe unseres Hauses. Aus Angst, auf dem Weg zur Schule verprügelt zu werden, nahm ich häufig meinen Baseballschläger mit.» Doch das ist vorbei. Heute versucht er, Konflikte wenn immer möglich mit Humor zu lösen.

Mittwochmorgen, 10.15 Uhr. Urs Urech, Mitarbeiter von NCBI Aargau und verantwortlicher Jugendarbeiter des Wettinger Projekts, eröffnet die Peacemaker-Sitzung. Einmal im Monat treffen sich die Kinder und Jugendlichen, um in Gesprächen über ihre Erfahrungen zu sprechen und mit Hilfe von Rollenspielen ihr Verhalten bei Konflikten zu üben.

Dabei geht es laut zu und her. In fünf Gruppen aufgeteilt, simulieren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Streit um den Fussballplatz. Dann müssen die Peacemaker eine Schlägerei verhindern. «Die Schüler lernen einzugreifen, bevor ein Streit eskaliert», sagt Urs Urech.

Sechs Friedensstifter haben im letzten Monat Streit verhindern können – ebenso vielen gelang es jedoch nicht, einen Konflikt zu beenden. Und sieben Peacemakers wurden wegen ihrer Funktion beleidigt. In der Sitzung erfahren sie, wie sie auf solche Beschimpfungen reagieren können.

Gewalt zum Thema machen

«Unser Ziel ist eine Schule ohne Gewalt. Dies erreichen wir nur, wenn es an der Schule einen geschützten Ort gibt, wo über Gewalt gesprochen wird. Dann hat man auch den Mut, etwas dagegen zu tun», sagt Urs Urech. «Wenn die Jugendlichen ihre Gefühle niemandem anvertrauen können, kommt es zur Gewalt.» Auch die Eltern werden in das Projekt einbezogen, unter anderem mit einem öffentlichen Elternabend zum Thema «Gewalt in meinem Alltag».

Der Aufwand für eine Schule ohne Gewalt trägt in Wettingen Früchte. In den Pausen ist die Stimmung friedlicher geworden. Vor allem die jüngeren Kinder fühlen sich sicherer. «Sie wissen, dass ihnen die Peacemaker helfen, wenn sie in Schwierigkeiten geraten», sagt Lehrerin Simone Jenni. Auch die Eltern stellen Veränderungen fest. «Meine Tochter ist seit einem Jahr als Peacemaker im Einsatz», sagt Gaby Bühler. «Sie ist dadurch selbstbewusster geworden und weiss, wie sie sich wehren muss – auch zu Hause.»

Auch die elfjährige Naida ist Friedensstifterin. Dank ihrem Engagement hat sich das Klima in der Klasse verändert. «Früher gab es bei uns viele Schlägereien. Das ist heute viel besser geworden.» Naida hat Spass an ihrer Vermittlerfunktion – auch wenn sie dabei oft zwischen die Fronten gerät. «Was ich dabei lerne, bleibt mir fürs ganze Leben.»