Eigentlich sei ihr Sohn ein richtiger Sonnenschein. «Um seine Zukunft ist es aber geschehen», sagt eine Mutter am Beobachter-Beratungstelefon, und ihre Stimme zittert. Kurz vor den Frühlingsferien hat ihr die Lehrerin mitgeteilt, man müsse den Elfjährigen im neuen Schuljahr in eine Sonderklasse schicken – sitzen bleiben mache keinen Sinn. Mit einer Wiederholung des Schuljahrs hätte sich die Mutter abfinden können, nicht aber mit der Sonderklasse. Sie befürchtet, ihr Sohn sei für immer gebrandmarkt, wenn er nicht in die normale Schule gehe.

Derzeit wird entschieden, welchen Unterricht schwache Schüler nach den Sommerferien erhalten sollen. Sechs Prozent der Schweizer Schüler und Schülerinnen besuchen eine Sonderklasse oder Sonderschule. Wie die Mutter am Beobachter-Telefon sind wohl viele Eltern betroffener Kinder beunruhigt. Ihre Ängste bezüglich Sonderklassen kann man nicht völlig vom Tisch wischen. Denn gemäss einer neuen Studie der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich lassen sich Lehrer und Behörden oft von Vorurteilen leiten: Kinder ausländischer Eltern werden doppelt so oft aus der Regelklasse genommen wie Schweizer Kinder.

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Weniger Stress für Ihr Kind
Beat W. Zemp, Zentralpräsident des Dachverbands der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer, sieht aber auch die Vorteile: «In Sonder- oder Kleinklassen kann beim Kind Druck und Stress abgebaut und ein damit verbundenes besseres Selbstwertgefühl aufgebaut werden.»

Die Rorschacher Schulpsychologin Silke Ebsen gibt zu bedenken, es sei für das Selbstwertgefühl eines Kindes nicht förderlich, wenn es während Jahren durch die Regelklasse geschleift werde und mit grosser Wahrscheinlichkeit immer das Schlusslicht bleibe.

Jene Mutter, die den Beobachter um Rat bat, müsste sich fragen: «Ist mir lieber, dass mein Kind die Regelklasse besucht, überfordert ist und womöglich die Freude am Lernen verliert – oder dass es im Rahmen seiner Möglichkeiten gefördert wird?»

Stützunterricht kann motivieren
Im Schonraum einer Sonder- oder Kleinklasse werde es in einer homogeneren Gruppe mit einer besonders qualifizierten Lehrperson unterrichtet, sagt Psychologin Ebsen. Dank kleineren Klassen hat die Lehrperson mehr Zeit für die individuellen Bedürfnisse der Kinder. «All dies kann sich positiv auf die Motivation und den Lernwillen der Schülerinnen und Schüler auswirken», so Lehrerpräsident Zemp.

Die Zuweisung in eine Sonderklasse muss sehr sorgfältig erfolgen, nach Abklärung durch eine unabhängige Fachstelle. In den meisten Kantonen sind das die Schulpsychologischen Dienste. Doch diese haben nicht das letzte Wort: «Die Eltern sind die wichtigsten Bezugspersonen im Hinblick auf die Erziehung ihres Kindes», sagt Beat W. Zemp, «die Lehrpersonen, Heilpädagogen, Therapeutinnen und Schulpsychologen sind aber die Spezialisten im Bildungsbereich.» Die beste Lösung könne nur durch gute Zusammenarbeit gefunden werden.