Wenn Papi mein Mami gern hat, gibt es ein Kind im Bauch von Mami», sagt die knapp vierjährige Nadine. Heute wissen bereits kleine Kinder, wie und warum sie geboren wurden. Das war in den fünfziger Jahren noch anders: Gemäss einer damaligen Studie glaubten zwei Drittel der Jugendlichen, sie seien vom Storch gebracht worden oder vom lieben Gott.

Das heutige Wissen ist einer gelockerten Sexualmoral zu verdanken, die sich in den späten sechziger Jahren entwickelte. Später erforderte Aids, dass über Erotik und sexuelle Praktiken gesprochen wurde. Die Präventionsbemühungen der Aidshilfen bedienen sich von Anfang an einer verständlichen und unverblümten Sprache. «Ohne Dings kein Bums», wird etwa auf Plakatwänden gefordert. Inzwischen wissen selbst Kindergartenschüler, was ein «Pariser» ist und wozu er gebraucht wird.

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Schweizer Schüler sind aufgeklärt
Auch die in manchen Kantonen obligatorische Sexualkunde hat dazu beigetragen, dass Schweizer Schülerinnen und Schüler weltweit am besten aufgeklärt sind. Das ergab eine britische Studie Anfang dieses Jahres. Trotzdem verwenden schätzungsweise noch immer 20 bis 25 Prozent aller Jugendlichen keine oder unwirksame Verhütungsmittel.

Wissen allein führt also offenbar noch nicht zu einem gewissenhaften und verantwortungsvollen Sexualverhalten. Bei diesem Punkt setzt die Sexualpädagogik ein: Sie vermittelt Jugendlichen auch emotionale Aspekte im Umgang mit Sexualität, denn diese ist bekanntlich mehr als nur ein biologisches Phänomen.

Bei der Sexualpädagogik kommen Themen wie Identität, Konfliktfähigkeit, Beziehung, Liebe und Freundschaft zur Sprache. Mit Rollenspielen, Fragebögen und Gruppengesprächen tasten sich die Jugendlichen unter Leitung von Sexualpädagogen an eigene Wünsche und Fragen heran, die ansonsten tabuisiert werden oder höchstens zum verlegenen Kichern Anlass geben.

Angst vor dem «ersten Mal»
In einer vertrauensvollen Atmosphäre kann der Austausch solcher Fragen den Jugendlichen zeigen, dass ihre Anliegen von anderen geteilt werden. Erst dann ist es möglich, dass Themen wie Masturbation, Petting und Beischlaf weder peinlich noch unanständig, sondern ganz natürlich sind. Unsicherheiten und Ängste werden also nicht weggeredet. Vielmehr sollen offene Gespräche über Sexualität eine Beziehung vertiefen und verfestigen.

Biologisches Wissen und Kenntnisse über sexuelle Praktiken enthalten nur einen kleinen Teil der eigenen Sexualität. Man muss sich seiner Ängste und Hoffnungen vor dem «ersten Mal» bewusst sein, um sich hingeben zu können, sich nackt zu zeigen und sich dem Partner oder der Partnerin mitteilen zu können.

«Bin ich gut im Bett?», fragen sich viele Jugendliche und Erwachsene. Eine überflüssige Frage, ginge es in der Sexualität weniger um erotische Techniken und biologische Leistungen als um einen angstfreien, selbstbewussten Umgang mit Liebeskunst und Sinnenfreude. Doch diese sind eben erst zu lernen.

Lehrkräfte kommen oft in einen Konflikt, wenn sie Sexualkunde unterrichten. «Einerseits muss ich Wissen vermitteln und benoten, anderseits zeigen die Erfahrungen der Sexualpädagogik, dass ich auch intime und persönliche Fragen behandeln sollte. Da stosse ich an meine Grenzen», sagt eine Basler Oberstufenlehrerin.

Pia Rickenbacher von der Zürcher Aidshilfe bietet Lehrkräften in diesem Bereich deshalb seit Jahren Fachberatung und Weiterbildung an: «Das Thema wird zwar im Unterricht behandelt, aber die biologische und die medizinische Sichtweise nehmen noch immer mehr Raum ein als gefühlsorientierte Aspekte.»

Neben der Aidshilfe geben auch Jugendberatungs- und Familienplanungsstellen Informationen an Lehrer und Lehrerinnen ab. Auf Anfrage erteilen sie Lektionen für Schulklassen und Jugendgruppen. Darüber hinaus unterstützen sie die Eltern und andere Erziehungsbeauftragte.

Schwierig ist der richtige Umgang mit den Begriffen. Wie soll man Geschlechtsteile und sexuelle Praktiken bezeichnen? Sind ärztliche Fachausdrücke oder die Alltagssprache angemessen? Was für die einen ein ganz normales Wort ist, empfinden andere als vulgär. Die Jugendberatung Samowar in Meilen ZH löst das Problem, indem sie mit den Jugendlichen alle schon gehörten Wörter sammelt. Am Schluss entscheiden sie sich gemeinsam für Begriffe, die niemanden verletzen.

Für Jugendliche ist Sexualität aufgrund der Werbung und der Medien allgegenwärtig. Viele vergessen, auf ihre innere Stimme zu hören, und eifern bewusst oder unbewusst den sexuellen Werten der Gesellschaft nach. «Frauen stehen halt nun mal auf Muskeln», ist ein Jugendlicher überzeugt und geht ins Krafttraining, um seine Chancen beim weiblichen Geschlecht zu erhöhen. «Wer mit achtzehn noch nie Sex hatte, ist altmodisch oder zu fett», glaubt eine 13-Jährige.

«Die einen wollen ihr körperliches Verlangen ausleben, andere nicht. Was richtig oder falsch ist, kann man nur für sich allein entscheiden», sagt Pia Rickenbacher. Dieser Ansicht ist auch die Jugendberatung in Meilen. Sie fördert gezielt das Selbstbewusstsein der Jugendlichen. In spielerischer Art vermittelt sie den Pubertierenden, sich dem Gruppendruck und dem Einfluss der Werbung zu widersetzen.

Rollenspiele helfen Tabus abbauen
Dies ist nötig, damit Heranwachsende ihre Identität als Mann oder Frau finden. Mit dem veränderten Rollenbild ist das nicht einfach. «Dass sich Menschen geschlechtsspezifisch immer häufiger anders verhalten als gewohnt, macht das Leben nicht einfacher, aber spannender», findet Soziologin Christiane Ryffel.

In nach Geschlechter getrennten Gruppen werden solche Verunsicherungen besprochen und mittels Rollenspielen geübt. «Buben stellen dann oft fest, dass sie nicht nur gegenüber Frauen Gefühle zeigen dürfen, sondern auch untereinander. Mädchen lernen, über sich selbst zu bestimmen und sich nicht über zugeschriebene Defizite, sondern über ihre Stärken zu identifizieren», sagt Pia Rickenbacher.

Dabei will die Sexualpädagogik keinesfalls den Eindruck erwecken, Erotik sei nur schön und lustvoll. Sie kann eben auch schmerzvoll und enttäuschend sein und sogar Formen von Gewalt annehmen. Nur wer dies weiss, wird Sex als etwas Ganzheitliches und Befriedigendes erleben.

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Buchtipps, Infos

  • Esther Schütz, Theo Kimmich: «Sexualität und Liebe.»
    Verlag Rudolf Mühlemann, Weinfelden, 1999, ISBN: 3-85809-111-1

  • Uwe Sielert: «Sexualpädagogik.» Beltz-Verlag, Basel, 1993, ISBN: 3-407-55763-9

  • Institut für Sexualpädagogik
    Florastrasse 18, 8610 Uster, Telefon O1/940 22 20

  • Fachstelle für Sexualpädagogik
    Breitenrainstrasse 63, 3013 Bern, Telefon 031/333 84 22