Gewaltprävention macht Schule
Im aargauischen Muri haben Schülerinnen und Schüler das Weisungsrecht. Ziel: Ordnung und Sicherheit im Postauto.
Buttwil, Montag, 13.08 Uhr. Kaum hat das Postauto der Linie Buttwil–Muri seine Türen geöffnet, ist es für die vier Passagiere vorbei mit Tagträumereien. Schülerinnen und Schüler der Bezirks- und Oberstufenschule Muri im aargauischen Freiamt stürmen den Bus, stürzen sich auf die 40 Sitzplätze und stehen dicht an dicht auf den 48 Stehplätzen. Auf den Zweiersitzen zwängen sich bis zu vier Kinder, und auch die Vierersitze sind mit sechs Personen überladen. Gegen 100 Personen sorgen für viel Lärm und oft für dicke Luft.
«Es flogen Schneebälle und Steine. Pöbeleien unter den Schülern und gegen Buschauffeure nahmen zu», erklärt der Rektor der Oberstufe Muri, Daniel Staubli. «Sachbeschädigungen häuften sich, und die Sicherheit war nicht immer gewährleistet», erinnert sich auch Postautounternehmer Andreas Kuhn. Die Sorgen wurden ernst genommen. Zusammen mit den Rektoraten, der Schulpflege und der Busbetreiberin Postauto Aargau wurde ein Konzept erarbeitet und abgefasst. Mit ihrer Unterschrift verpflichtet sich die Schülerschaft der Gemeinden Beinwil/Geltwil, Buttwil und Merenschwand seit dem Frühling vertraglich zu fairerem und rücksichtsvollerem Verhalten im Postauto. Zudem werden jeweils 21 Schüler aus verschiedenen Klassen und Altersstufen mit einem Weisungsrecht in die Verantwortung eingebunden. Die von der Schülerschaft für ein Jahr Gewählten fungieren als Aufpasser und Beobachter und sollen helfen, im Postauto für einen geregelten Betrieb zu sorgen. Probleme sind den Rektoren zu melden.
Die Lizenz zum Einschreiten
«Ich schreite ein, wenn die Grossen den Kleinen den Platz wegnehmen», sagt Jolanda Marti selbstbewusst. Die Schülerin aus der zweiten Oberstufenklasse ist eine der Personen, die mit dem Weisungsrecht ausgestattet sind. Speziell auffallen tut sie deswegen nicht. Sie scherzt mit ihrer Kollegin, streitet um einen Sitzplatz und ärgert sich, mit einem Stehplatz vorlieb nehmen zu müssen. Auch Pascal Bobalj hat die Lizenz zum Einschreiten. Der 15-Jährige nimmt seine Aufgabe im Bus so locker, wie er seine Hose um die Hüften trägt. «Wenn eine ältere Frau einsteigt, rufe ich manchmal, sie sollen Platz machen», erklärt er nach einigem Überlegen. «Manchmal greife ich auch ein, wenn nichts ist.» Sagts und lacht. Nur Kollegen verraten würde er nicht.
«Darum geht es auch nicht», erklärt Roland Bühler, Rektor der Bezirksschule Muri. Vielmehr sollen durch allgemeine Rückmeldungen Probleme frühzeitig erkannt und Lösungen gesucht werden. Vermehrt auf das Feedback der Schüler einzugehen, sehen die beiden Rektoren denn auch als die grösste Lehre aus dem Projekt. «Wir überlegten uns auch Massnahmen wie den Billettentzug», so Roland Bühler, «aber uns wurde schnell klar, dass wir die Schüler miteinbeziehen müssen.»
Rädelsführer aus dem Verkehr ziehen
Die Idee ist vom auf Schweizer Schulhöfen bekannten Konzept der «Peacemaker» abgeleitet. Friedensstifter sind Schüler, die auf dem Pausenplatz die Funktion des Aufpassers übernehmen und präventiv eingreifen. Das Projekt macht bereits in zahlreichen Schulen Schule.
In Muri hat man das Konzept über den Pausenplatz bis vor die Haustür verlängert. Eine Erfolgsgarantie ist dabei, dass sich auch einige «Luuscheibe» zur Wahl stellten, freut sich Staubli. So konnten die Rädelsführer in die Verantwortung miteinbezogen und indirekt aus dem Verkehr gezogen werden. Seit Einführung des Projekts hat Postautochauffeur Hans Huwiler wieder entspanntere Fahrten. «Früher musste ich Schüler aus dem Bus weisen», erinnert sich Huwiler, «aber seit das Projekt läuft, ist das Problem des Vandalismus praktisch verbannt.»
Erfreut zeigt sich auch Brigitte Bärtschiger, Mediensprecherin von Postauto Aargau und Mitinitiantin des Projekts im Freiamt. Die der Versicherung gemeldeten Schäden bei der Postauto Aargau betragen 25'000 Franken jährlich. Schäden unter 500 Franken sind da nicht miteingerechnet, da diese von den 243 in der Schweiz tätigen Postautounternehmern selber getragen werden müssen.
Präventive Massnahmen haben nicht nur bei den SBB Hochkonjunktur, sondern auch bei der Postauto Schweiz. Neben Schülern mit Weisungsrecht setzt man auf Sicherheitsdienst auf Mandatsbasis (Tessin), Videoüberwachung (Aarau–Frick) oder auf das Projekt «Schüler fahren sicher Postauto». Dort erläutern pädagogisch geschulte Chauffeure den Jugendlichen an den Schulen Fragen zu Sicherheit und klären über die Konsequenzen von Vandalismus auf. Ausserdem wird um Verständnis für die verantwortungsvolle Aufgabe des Chauffeurs geworben. 15'000 Franken wurden laut Brigitte Bärtschiger in der Region Nordwestschweiz in präventive Massnahmen gesteckt. «Sicher am meisten in der ganzen Schweiz.»
Was bleibt, ist in Muri der Platzmangel und das Gerangel um die Sitzplätze. Ein zweiter Kurs zu den Spitzenzeiten würde die Situation weiter beruhigen. Auch ein längeres Postauto steht zur Diskussion, entschieden ist aber noch nichts. Derweil kennt das Vertrauen der Post gegenüber den Schülern kaum noch Grenzen. Sie beschenkt die Weisungsberechtigten für ihren Einsatz gegen bemalte und zerschnittene Sitze mit einem Sackmesser.