Abgetaucht, aufgetaucht
Bei Revisionsarbeiten im KKW Leibstadt ist ein Taucher an der Hand verstrahlt worden, als er einen Gegenstand aus einem Becken bergen wollte. In Leibstadt reibt man sich die Augen – und schweigt.
Veröffentlicht am 3. September 2010 - 16:24 Uhr
Sofort offen informieren, ohne dabei mehr zu sagen, als man unbedingt muss: Die bewährte Kommunikationsstrategie bei Zwischenfällen in Schweizer Atomkraftwerken kam auch am 31. August zum Einsatz, als bei der Jahresrevision im KKW Leibstadt (KKL) ein Taucher an der Hand verstrahlt wurde. Die Verstrahlung belief sich dabei auf das Doppelte der zulässigen Jahresdosis.
Der Vorfall geschah bei geplanten Instandhaltungsarbeiten im Transferbecken für Brennelemente, welche sich zwischen dem Reaktor und dem Zwischenlager für die abgebrannten Brennelemente befindet. Bei diesen Arbeiten «hob ein Taucher einen Gegenstand vom Boden des Beckens auf und legte ihn in einen Behälter», schreibt die Medienstelle des KKL: «Beim Hochziehen des Behälters – aber noch unter der Wasseroberfläche – löste die Raumstrahlungsüberwachung einen Alarm aus. Der Behälter wurde daraufhin wieder ins Wasser abgelassen».
Recherchen des Beobachters zeigen nun, dass der ominöse «Gegenstand», der da hätte geborgen werden sollen, im Transferbecken gar nichts verloren hatte. Beim «Gegenstand» handelte es sich um ein «bereits vor Jahren ausgebautes, rund 25 Zentimeter langes Teilstück des Führungs- und Schutzrohres der Kerninstrumentierung», wie die Medienstelle des KKL auf Anfrage schreibt. Die Kerninstrumentierung misst den Neutronenfluss im Reaktor.
Dieses Führungsrohr wird alle zehn Jahre gewechselt, in der Reaktorgrube – also am offenen Reaktor – in Stücke geschnitten und dann mit dem für die Brennelemente vorgesehenen Transportlift direkt ins Zwischenlager gebracht – ohne Abkühlung im Transferbecken. Wie das radioaktiv verstrahlte Teil trotzdem in das Becken gelangte, seit wann es dort lag und warum es offensichtlich nicht vermisst wurde, lässt das KKL in seiner Antwort an den Beobachter offen. Das sei Gegenstand laufender Untersuchungen.
Beim unerwarteten Fundstück von Leibstadt handelt es sich nicht um das erste Teil, das in einem Schweizer AKW am falschen Ort landet: Der Beobachter berichtete bereits Anfang 2009 von einem Zwischenfall bei der Jahresrevision im KKW Mühleberg. Dort hatte sich im August 2007 am Brennelemente-Kran ein Blechteil gelöst und war in den offenen Reaktor gefallen. Im Aufsichtsbericht hiess es darauf: «Das Teil konnte nicht geborgen werden. Es wurde jedoch nachgewiesen, dass der Verlust dieses Kleinteils die Sicherheit der Anlage nicht gefährdet.»
Etwas weniger beruhigend tönt da nur noch die Aussage über die Folgen für den verstrahlten Taucher von Leibstadt: «Nach ersten ärztlichen Untersuchungen sind voraussichtlich keine bleibenden gesundheitlichen Schäden zu erwarten.»