Immer wieder sorgte das AKW Beznau in den vergangenen Jahren wegen Sicherheitsproblemen für Schlagzeilen. Es ist eines der weltweit ältesten noch betriebenen Atomkraftwerke. Ganze drei Jahre stand es sogar still. Im Stahl des Reaktordruckbehälters des Blocks I waren Aluminiumeinschlüsse gefunden worden und man wusste zunächst nicht, ob diese ein Problem für die Sicherheit darstellten.

Im März 2018 gab die Atomaufsichtsbehörde Ensi schliesslich wieder grünes Licht und akzeptierte den Nachweis der Betreiberin Axpo, dass das AKW sicher weiterbetrieben werden könne. Damit kehrt aber noch lange keine Ruhe ein – erst vor wenigen Wochen forderte das deutsche Umweltministerium Bundesrätin Simonetta Sommaruga auf, Beznau schnellstmöglich stillzulegen.

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Praktisch alles geschwärzt

Greenpeace hatte schon Monate vor dem vorübergehenden Stillstand Zugang zu einem Dokument verlangt. Seit 2006 erlaubt das Öffentlichkeitsgesetz jeder Privatperson oder Organisation, grundsätzlich alle amtlichen Dokumente der Bundesverwaltung einzusehen, mit bestimmten Ausnahmen. Damit sollen Bürgerinnen und Bürger das Handeln der Verwaltung kontrollieren können. Und als demokratisches Element fördert es das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Bundesbehörden, sagt der Eidgenössische Öffentlichkeitsbeauftrage Edöb.

Greenpeace wollte Prüfberichte aus dem Jahr 2011 einsehen, die zeigten, wie Alterung und Versprödung auf den Reaktordruckbehälter AKW Beznau Druckbehälter: Dokumente manipuliert? einwirkten. Als wenige Monate später Unregelmässigkeiten entdeckt wurden, wurde die Herausgabe der Unterlagen plötzlich brisant. Das Ensi veröffentlichte das gewünschte Dokument. Das Problem dabei: praktisch alles war geschwärzt. Nach längerem Hin und Her gab das Bundesverwaltungsgericht 2017 Greenpeace schliesslich Recht: obwohl es im Bericht Geschäftsgeheimnisse habe, dürfe die Atomaufsicht nicht pauschal alles schwärzen. Das Ensi müsse die Informationen allerdings erst dann zugänglich machen, wenn das AKW Beznau I wieder in Betrieb sei.

«Eine Aushebelung des Öffentlichkeitsgesetzes»

Das AKW ist seit gut anderthalb Jahren wieder am Netz – Greenpeace wartet noch immer auf den Bericht. Und nicht nur das. Das Ensi stellte Greenpeace Anfang September 2019 eine Verfügung zu und bringt nun neue Argumente gegen die gerichtlich verlangte Veröffentlichung vor. Die Begründung: Die Informationen im Bericht würden unter das Güterkontrollgesetz fallen. Dieses regelt die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs bestimmter Güter, die sowohl militärisch als auch zivil Verwendung finden, darunter auch nukleare Güter.

Dagegen hat Greenpeace jetzt Beschwerde eingereicht. «Das ist inakzeptabel und eine Aushebelung des Öffentlichkeitsgesetzes», sagt Florian Kasser, Atomexperte und Kampagnenleiter. Das Öffentlichkeitsgesetz sei genau dafür da, dass die Bevölkerung die Arbeit der Behörden nachvollziehen und kritisch überprüfen könne. «Umso wichtiger ist es bei so einem sicherheitsrelevanten Fall. Der Druckbehälter ist das Herzstück des AKW, wenn dort etwas passiert Atomkraftwerke Laut Studie ungenügender Notfallschutz , sind wir alle betroffen.»

Im Ausland gehe es auch anders, sagt Kasser: «In Belgien hatten sie in den Atomkraftwerken Doel und Tihange ähnliche Probleme. Nach den Sicherheitsüberprüfungen und der Wiederinbetriebnahme veröffentlichten die Behörden wesentlich detailliertere Informationen, als wir hier in der Schweiz erhalten.»
 

«Das ist ein juristisches Novum.»

Martin Looser, Rechtsanwalt


Das Ensi äussert sich nicht zum laufenden Verfahren und sagt auch nicht genauer, wieso plötzlich das Güterkontrollgesetz eine Rolle spielt. Die Behörde betont aber, dass Transparenz ein hohes Gut sei und Zugang zu Wissen schaffe. «Doch wo die freie Verfügbarkeit zu Wissen eine Gefahr für die Sicherheit von Menschen und Umwelt oder Schaden für die Wirtschaft verursachen kann, ist sie zu beschränken. Das ist der gesetzliche Auftrag des Ensi», sagt die Behörde.

Martin Looser, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Ettlersuter, der mehrere Umweltorganisationen in Verfahren vertritt, sagt: «Ich kenne keinen Fall, in dem die Transparenz mit dem Güterkontrollgesetz verweigert wurde. Das ist ein juristisches Novum.»

Neues Argument in zwei Verfahren

Dieses neue Argument verwendet das Ensi auch in einem zweiten Verfahren. Die Schweizerische Energie-Stiftung SES wollte nach der Wiederinbetriebnahme von Beznau I genauer wissen, weshalb das Kraftwerk wieder ans Netz durfte. Deshalb verlangte sie  – ebenfalls gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz – Zugang zum Sicherheitsnachweis. Sie wartet auch immer noch auf das Dokument.

Das Öffentlichkeitsgesetz sei klar, sagt Simon Banholzer, Leiter Fachbereich Atomenergie bei der SES: «Abgeschlossene Entscheide von Behörden können von der Öffentlichkeit eingesehen werden, natürlich unter der Wahrung von Geschäftsgeheimnissen.» Das AKW Beznau entspreche in vielem nicht den Sicherheitsanforderungen eines modernen Atomkraftwerkes, sagt Banholzer. Der mangelhafte Reaktordruckbehälter sei vielleicht das drastischste Beispiel dafür. «Eine inkorrekte Einschätzung in dessen Beurteilung wäre für die Schweiz fatal. Das heisst aber auch, es existiert ein grosses öffentliches Interesse daran zu wissen, wie und weshalb das Ensi zu seinem Entscheid gekommen ist, dass der Reaktor wieder in Betrieb genommen werden darf», so Banholzer.

Ensi pauschal aus der Transparenzpflicht ausnehmen?

Beznau-Betreiberin Axpo sagt: «Im Sinne einer offenen und verständlichen Kommunikation haben wir im Falle des Sicherheitsnachweises, der eine hohe Komplexität aufweist, eine für die Öffentlichkeit besser verständliche Version publiziert.» Die in den Verfahren nach Öffentlichkeitsgesetz verlangten Dokumente würden sehr viele Informationen und Daten enthalten, die einerseits von Lieferanten stammen und andererseits dem Güterkontrollgesetz unterstehen, sagt Axpo-Mediensprecher Antonio Sommavilla. «Es liegt infolgedessen nicht allein in der Kompetenz von Axpo zu entscheiden, Unterlagen offenzulegen. Es müssen auch die Interessen der Lieferanten und die Vorschriften der Güterkontrollgesetzgebung berücksichtigt werden.»

Die SES hat vom Ensi eine Stellungnahme erhalten, in der ebenfalls das Güterkontrollgesetz als Grund für die Verweigerung der Veröffentlichung angegeben wird. Deshalb leitet die SES jetzt ein Schlichtungsverfahren beim Eidgenössischen Beauftragten für Öffentlichkeit und Datenschutz EDÖB ein.

Bereits früher war umstritten, wie das beim Ensi mit der Transparenz AKW Mühleberg Beobachter erstreitet Bericht sein soll. Bestimmte Behörden, wie beispielsweise die Nationalbank, sind nämlich davon ausgenommen, für sie gilt das Gesetz nicht. 2006 versuchte der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse bei der Vernehmlassung zum Ensi-Gesetz die Atomaufsichtsbehörde pauschal aus dem Anwendungsbereich des Öffentlichkeitsgesetzes zu streichen. Ohne Erfolg.

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Tina Berg, Redaktorin
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