Aus der Traum vom Wunderhaus
Ein Ehepaar baut ein Haus, das sich selber mit sauberem Strom versorgt. Fachwelt und Medien jubeln. Doch die Erbauer des Vorzeigehauses stehen nun bald auf der Strasse.
aktualisiert am 9. Juli 2013 - 14:44 Uhr
In der Tiefgarage stehen noch immer die Hinweistafeln und in der Ecke das Rednerpult, in die Mauer eingelassen leuchtet ein Touchscreen. Werner Weber schweigt. Woche für Woche hat er Gruppen durch die Energiezentrale hier unten geführt, Schüler, Studenten, Bautechniker, Energiefachleute. Sogar aus dem Ausland reisten sie an in den Weiler Wetzwil ob Herrliberg am Zürichsee, neugierig auf das Werk von Weber und seiner Lebenspartnerin Eveline Frei: Das wohl weltweit erste Mehrfamilienhaus, das sich selbst mit Strom und Wärme versorgen kann.
Doch damit ist Schluss. Denn die Clientis Regiobank Männedorf, ursprünglich die Kreditgeberin für den Bau des Hauses, wirft Weber, Frei und ihre beiden Kinder hinaus. Ihre Wohnung im Erdgeschoss des dreistöckigen Gebäudes müssen sie bis am 31. Januar um 12 Uhr Mittags geräumt und verlassen haben, so steht es in einem Schreiben des Anwalts der Bank von Anfang Woche. Wo die Familie unterkommen wird, weiss noch niemand. Werner Weber blickt ins Leere und sagt: «So viele Ideen haben wir in das Haus hier gesteckt, so viel Energie, so viel Geld. Mir ist, als nehme man mir ein Stück von mir selber weg.»
Vor eineinhalb Jahren, im Frühling 2011, war das alles anders. In Japan verseuchte radioaktive Strahlung aus dem Atomkraftwerk Fukushima ganze Landstriche, die Welt redete von Atomausstieg und Energiewende, und in Wetzwil stand seit einem halben Jahr ein Haus, das perfekt aufzeigte, wie ein Mehrfamilienhaus ohne Energie von aussen funktionieren kann. Der Traum von Eveline Frei und Werner Weber. In der Garage ein Blockheizkraftwerk, dessen Motor angetrieben wird mit Flüssiggas, das bei der Benzingewinnung als Abfallprodukt anfällt. Eine Anlage, die mehr als genügend Strom für ein Dreifamilien- und ein Einfamilienhaus erzeugt, mit seiner Abwärme Wasser aufheizt und sich automatisch abschaltet, wenn die Sonne scheint – denn dann läuft die Energieversorgung über eine Photovoltaikanlage.
Die Journalisten pilgerten hoch nach Wetzwil, sogar aus Japan kamen sie, sie feierten das Gebäude als «Vorzeigehaus» und schrieben begeistert mit, wenn Frei und Weber sagten: «Wir wollten den Beweis antreten, dass es auch anders geht.» Anders, das bedeutete: Ohne Stromtransport vom Kraftwerk zum Endverbraucher, bei dem bis zur Hälfte des Stroms verloren gehen. Ohne Strom aus Atomkraftwerken, die Unmengen von Abwärme ungenutzt verpuffen lassen. Es funktionierte. Es funktioniert noch heute. Und trotzdem: Das Vorzeigeprojekt von einst ist abgestürzt. Eine Spur zu ambitioniert war es vielleicht für alle Beteiligten, eine Spur zu gross, zu neu, zu ungewohnt.
Die Geschichte des Modellhauses mit seiner eigenen Stromversorgung beginnt vor rund einem Jahrzehnt. Eveline Frei und Werner Weber ziehen nach Wetzwil, als Mieter in ein altes Bauernhaus. Als es heisst, sie müssten das Haus kaufen oder sonst ausziehen, übernehmen sie es. 2004 beschliessen sie, neu zu bauen und vor allem: ökologisch zu bauen. Trotz Widerständen auf Seite der Behörden halten sie fest an ihrer Idee eines energieautarken Hauses. Beide sind sie weder Ingenieure noch Architekten – Eveline Frei ist gelernte kaufmännische Angestellte, Werner Weber gelernter Automechaniker, der sich zum Marketing-Supporter weitergebildet hat. Beide jedoch haben sich über Jahre autodidaktisch umfassendes technisches Wissen angeeignet: Sie konzipieren das Haus, das Energiesystem, holen sich zusätzliche Unterstützung bei einem Luftfahrtingenieur, der spezialisiert ist auf autarke Energieversorgungsysteme.
Im Frühling 2009 ist Spatenstich. Die Clientis Regiobank Männedorf hat einen Kredit über 3,7 Millionen Franken gesprochen, Frei und Weber haben den Kostenvoranschlag und Bauleitung einer erfahrenen Baumanagement-Firma anvertraut. Doch im Projekt steckt schon bald der Wurm drin. Es kommt zu Terminverzögerungen, die Bauleitung hat die Baustelle nicht im Griff, es herrscht Chaos auf dem Bauplatz und in der Buchhaltung. «Unklarheiten gab es auf dieser Baustelle überdurchschnittlich viele», beschwert sich ein Handwerker schriftlich, ein anderer mokiert sich in einem Brief über den Bauleiter der Baumanagement-Firma: «Funktioniert überhaupt nicht. (...) Aus meiner Sicht hat er Dutzende sehr nötiger Interventionen verbummelt. Ich attestiere Desinteresse.»
Dazu kommt, dass der Baukredit nirgends hinreicht. Die veranschlagten 3,7 Millionen sind verbaut, noch bevor der Rohbau fertiggestellt ist. Die Bank legt nach, erhöht auf 5,7 Millionen. Später wird sie zwei weitere Kredittranchen sprechen, die Gesamtkosten werden sich schliesslich auf 7,6 Millionen Franken belaufen – eine Kostenüberschreitung von 130 Prozent. Und während Medien und Fachwelt das einzigartige Energiekonzept des Hauses bejubeln, beginnt es bereits zu krachen im Gebälk: Die Bank wird ungeduldig, verlangt von Frei und Weber, dass sie die restlichen Wohnungen des Hauses nicht wie geplant vermieten, sondern verkaufen. Doch Kaufinteressenten bleiben aus, die vielleicht doch etwas zu abgeschieden gelegenen Wohnungen leer; die ausbleibenden Mieterträge bringen die Erbauer des Vorzeigehauses finanziell zunehmend in Schieflage.
Im Frühling 2011 kündigt die Clientis Regiobank den Kreditvertrag und fordert das Geld zurück. Im Oktober 2012 kommt die Liegenschaft an einer Zwangsversteigerung unter den Hammer. Der Anwalt von Frei und Weber versucht die Gant per superprovisiorischer Verfügung zu stoppen, denn der Fall beschäftigt mittlerweile auch das Bezirksgericht Meilen und das Obergericht Zürich – die Richter prüfen, ob eine Zwangsversteigerung überhaupt rechtmässig ist. Es hilft nichts. Die Versteigerung findet statt, den Zuschlag erhält die Clientis Regiobank, die selber schon Millionen in das Haus gesteckt hat: Sie kann sich die Liegenschaft, im Schätzungsbericht mit gut 8,54 Millionen Franken bewertet, für 5,35 Millionen schnappen. Als ob das alles für die Erbauer des Vorzeigehauses nicht schon schmerzhaft genug wäre, kommt Ende November der ultimative Schlag: Die Bank fordert sie auf, bis am 31. Dezember ihre Wohnung zu räumen – eine Frist, die Anfang der Woche nun bis Ende Januar verlängert wurde.
Für Werner Weber ist klar: «Wir wurden abgewürgt, die Bank hat uns in eine Falle laufen lassen.» Statt genau hinzusehen, habe sie den von Anfang an viel zu tiefen Kostenvoranschlag der Baumanagement-Firma abgesegnet und sei nicht eingeschritten, obwohl Eveline Frei und er wiederholt von Schlampigkeiten der Bauleitung berichtet hätten. Tatsächlich hält ein Untersuchungsbericht, den die Bank 2010 in Auftrag gab, als Gründe für die «Kostenüberraschung» unter anderem fest: «Das gänzliche Fehlen eines detaillierten Kostenvoranschlags vor Baubeginn hat sich extrem auf die Gesamtkosten ausgewirkt.» Baubeschrieb, Arbeitsvergaben und Leistungsbestimmungen seien «fortwährend angepasst worden», eine Kostenkontrolle habe gefehlt.
Fragwürdige Voraussetzungen, um einen Baukredit zu sprechen und ihn auch gleich noch dreimal zu erhöhen, findet Thomas Stössel, Anwalt von Eveline Frei und Werner Weber. «Es fragt sich schon, ob die Bank da ihrer Sorgfaltspflicht nachgekommen ist», sagt er. Fragwürdig auch, dass die Bank Frei und Weber ohne Rechtsgrundlage untersagt habe, die Wohnungen ihres Hauses zu vermieten. «Durch die fehlenden Mieteinnahmen spannte sich die finanzielle Lage der Familie zunehmend an. Dass sie die Kreditschulden irgendwann nicht mehr bezahlen konnten, drängte sich so geradezu auf.» Wenig nachvollziehbar sei zudem, dass die Clientis Regiobank Männedorf Frei und Weber im Frühjahr 2011 zwar den Kreditvertrag kündigte, drei Wochen später aber eine letzte Kredittranche von 500'000 Franken sprach.
Von der Clientis Regiobank ist zu dem Haus in Wetzwil nichts zu erfahren – Direktorin Charlotte E. Fankhauser und der mit dem Fall betraute Anwalt geben keine Auskunft, auch wenn Frei und Weber sie schriftlich vom Bankkundengeheimnis entbunden haben. Damit bleibt unklar, warum die Bank stetig den Kredit erhöht hat, statt auf eine rigorose Kostenkontrolle zu bestehen. Warum sie es Weber und Frei untersagt hat, Wohnungen zu vermieten. Warum sie die Familie aus ihrem Haus draussen haben will. Unklar ist letztlich auch, was aus dem Vorzeigehaus mit seinem eigenen Kraftwerk nach Ende Januar werden soll. «So ein Energiesystem ist komplex, das kann man nicht einfach so bedienen», sagt Werner Weber. Zumal die Anlage nichts anderes sei als ein Prototyp und es Vergleichbares kaum gebe.
Weber lässt den Blick durch die Tiefgarage schweifen, sagt dann: «Dass wir hier raus müssen und zwei Millionen Franken Eigeninvestitionen verloren sind, ist schlimm genug. Aber dass dann vielleicht diese ganze Idee hier stirbt, ist unerträglich.»
Aktuell: Schlammschlacht um Energiehaus
Es machte Schlagzeilen bis nach Japan: das Mehrfamilienhaus in Herrliberg ZH, das sich dank Blockkraftwerk und Solarstrom selber mit sauberer Energie versorgte, erbaut von Eveline Frei und Werner Weber. Doch der Traum vom Traumhaus platzte – nach Kostenüberschreitungen von rund 130 Prozent verlangte die Clientis Regiobank Männedorf von Frei und Weber den Baukredit zurück, ersteigerte das Haus und stellte das Ehepaar mitsamt Kindern Anfang 2013 auf die Strasse.
Wie sich jetzt zeigt, war damit der Tiefpunkt noch nicht erreicht. Dokumente, die dem Beobachter vorliegen, zeigen, dass die Clientis Frei und Weber diesen Frühling eine regelrechte Schlammschlacht lieferte: Die Bank stellte bei der Staatsanwaltschaft Strafantrag wegen Veruntreuung und unrechtmässiger Aneignung – das Ehepaar sollte Badges, Schlüssel, USB-Festplatten, einen Kühlschrank und einen Grill aus dem Haus entwendet haben. Nach polizeilicher Befragung und Durchsuchung der neuen Wohnung der Familie stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Begründung: «Bei der vorliegenden Ausgangslage lässt sich der Verdacht, die Beschuldigten hätten sich eines Vermögensdelikts schuldig gemacht, nicht verdichten.»
«Dass die Vorwürfe absurd waren, stand von Anfang an fest», sagt Werner Weber. «Die Bank wird nicht müde, uns Knüppel zwischen die Beine zu werfen, um von ihrem eigenen Versagen abzulenken.» Weber und Frei machen die Bank mitverantwortlich dafür, dass die Kosten beim Hausbau aus dem Ruder liefen – die Clientis habe den Baukredit dreimal erhöht, obwohl die beiden ihr wiederholt von Schlampigkeiten der Bauleitung berichtet hätten.
Bankdirektorin Charlotte E. Fankhauser will keine Fragen zu dem einst gefeierten Haus beantworten. Damit bleibt unklar, ob das Blockkraftwerk noch immer funktionstüchtig und in Betrieb ist. Sicher scheint einzig, dass es der Bank in den vergangenen Monaten nicht gelungen ist, die Wohnungen im Mehrfamilienhaus zu verkaufen. Vor kurzem soll die Clientis sie vermietet haben; womit sie nun genau das tut, was sie Eveline Frei und Werner Weber einst strikte untersagte – und sie damit um Mieteinnahmen zur Begleichung der Kreditschulden brachte.