Eigentlich bin ich ja nicht der Typ, der gern solche schicken Sachen trägt. Aber ich wurde eingeladen, das war eine einmalige Sache. Das letzte Mal, als ich so einen Anzug getragen habe, ist lang, lang her. Das war bei meiner Konfirmation.

Sie sind auf mich gekommen wegen eines Buchs zum 100. «Surprise»-Heft mit Porträts von allen Verkäufern. Die meisten da drin haben ja irgendwelche Probleme; ich habe nicht so viele, denn ich habe den Sport. Ich war Eishockeygoalie beim HC Davos, spielte bei den Elitejunioren. Und ich treibe immer noch Sport, da kann ich meine Probleme abwälzen. Ich gehe joggen, spiele Fussball und trainiere das «Surprise»-Team jeden Donnerstag zwei Stunden. Wir haben letzthin ein Strassenfussball-Turnier gewonnen. Und vielleicht können wir im September an die Obdachlosen-WM nach Südafrika gehen.

Mit dem Spitzensport musste ich aufhören, nachdem sich mein Vater erschossen hatte. Von da an musste ich zu Hause helfen, ich war damals 18 Jahre alt. Von der Eishockey-Juniorenelite in Davos nach Zürich als Strassenverkäufer war es dann kein sehr weiter Weg mehr: In Davos gab es wenig Arbeit, also kam ich nach Zürich und begann als Zeitungsverträger. Ich hatte eine ganz gute Tour auf dem Zürichberg, mit der ich etwa 1700 Stutz im Monat verdiente. Das machte ich fast vier Jahre lang. Heute gibt es für diese Tour nur noch 1’200 Stutz - das ist ein grosser Unterschied! Eines Tages lernte ich jemanden kennen, der «Surprise» verkaufte und zu mir sagte: «Komm, mach das auch.»

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«Schlechte Tage gibt es nicht»
Seit sieben Jahren verkaufe ich nun das Magazin. Eine Zeit lang habe ich nebenbei abends noch bei der Stadtreinigung gearbeitet - Kübelsäcke leeren und so. Seit zwei Jahren verkaufe ich nur noch «Surprise». Und ich lebe dabei besser als vorher, als ich noch den «Tages-Anzeiger» ausgetragen habe. Die gehen ja mit den Löhnen nur immer runter. Heute verdienst du an einem normalen Morgen mit «Surprise» mehr, als wenn du Frühtouren machst. 50 Franken pro Morgen - das hat man beim «Tagi» nicht mehr.

«Surprise»-Verkaufen ist wie andere Jobs auch: Du musst ruhig bleiben. Es gibt solche, die laufen grad davon, wenn es einmal zwei Stunden schlecht läuft. Ich renne nicht weg. Jetzt erst recht, denke ich immer. Und grad nochmal erst recht! So wie ein Hockey-Captain seine Spieler motiviert. Und es funktioniert. Schlechte Tage gibt es nicht. Es gibt nur schlechte Verkäufer und schlechte Launen. Klar, es braucht Geduld. Es braucht halt Geduld für das ganze Leben.

Mit der Werbekampagne hat sich für mich viel verändert. Die Leute sprechen viel mehr auf mich an. Viele Leute haben unser Magazin ja gar nicht gekannt; dank der Kampagne haben viele mal eins gekauft. Ich habe eine klare Steigerung festgestellt. Für mich war das durchwegs eine positive Sache, ich habe nichts Negatives erlebt. Dank der Kampagne war ich auch im «Tages-Anzeiger» und im «Blick».

Das Fotoshooting war toll, der Fotograf ein Supertyp. Er hat mir zum Schluss sogar den Anzug geschenkt, den ich für die Kampagne getragen habe. Zwischendurch ziehe ich ihn wieder an. Aber nicht zum Verkaufen, da trage ich Trainingshose oder Jeans. Im Anzug würde ich nur die Hälfte verkaufen. Vor drei, vier Jahren haben wir an der Bahnhofstrasse einmal einen Versuch gemacht: ein Verkäufer mit zerschlissenen Jeans, einer mit gebrauchten, einer mit neuen. Jener mit den kaputten Jeans hat am meisten verkauft.

Ich möchte keinen anderen Job. Ich mache das, was ich machen will. Nebenbei hänge ich manchmal noch Gratisinserate auf, ein bisschen putzen oder malen - so verdiene ich mir noch etwas dazu. Wenn etwas kommt, ist es gut, wenn nichts kommt, ists nicht so schlimm. Das reicht mir. Ich lebe gut. Ich kann jede Woche zwei Hockeyspiele besuchen, und mein Lieblingsklub - der HC Davos - ist ja nicht gerade um die Ecke. Doch jetzt ist die Saison vorbei, jetzt kann ich wieder sparen.

«Ich will von niemandem etwas»
Zurzeit wohne ich bei einem Kollegen und suche eine eigene Wohnung. Ich bin nicht obdachlos. Ich kann immer bei jemandem unterschlüpfen. Ausser im letzten Sommer - gut, da war ich draussen. Aber das habe ich auch so gewollt. In der Natur schlafen, in der Nähe des Waldes. Es ist viel schöner draussen.

Familie habe ich keine. Ich habe zwar ein Kind, aber kein Besuchsrecht. Das ist eine lange Geschichte. Die Familie der Mutter verweigert mir den Besuch, weil ich nicht so arbeite, wie die anderen es wollen. Weil ich mache, was ich will. Genau deswegen. Ich habe es nicht einmal erfahren, als der Kleine auf die Welt kam. Er ist jetzt sechs Jahre alt.

Sozialhilfe beziehe ich keine. Will ich auch gar nicht. Ich will von niemandem etwas. Ich lasse mir auch nicht helfen bei der Wohnungssuche. Wenn ich halt einmal einen Franken weniger habe, brauche ich halt einen Franken weniger. Und jetzt erst recht!