Der Richter und sein Schlenker
Ein Richter, bekannt als Mann mit Werten, soll im Auftrag des Staats eine Registerhai-Firma beaufsichtigen. Doch statt einzugreifen, toleriert er den Betrug an neuen Opfern.
Veröffentlicht am 18. Mai 2006 - 12:39 Uhr
Die Ähnlichkeit ist frappant: Die Rechnungen der WSC Handels- und Wirtschaftsinformations AG in Allschwil BL sehen aus wie jene für den offiziellen Eintrag ins Handelsregister. Darum fallen Kleinunternehmer auch reihenweise herein und bezahlen 1345 Franken an die WSC. Das böse Erwachen folgt, wenn die Opfer merken, dass deren «internationales Wirtschafts-EDV-Register» völlig unbekannt und nutzlos ist.
Seit Herbst 2003 hat die Registerhai-Firma allerdings keinen Verwaltungsrat mehr, weil sich die drei Hauptaktionäre zerstritten. Für solche Fälle sieht das Gesetz vor, dass der Staat - ähnlich wie für Privatpersonen - einen Beistand bestellt. Die Allschwiler Vormundschaftsbehörde setzte dafür den ortsansässigen Anwalt Niklaus Ruckstuhl ein. Sein Auftrag war klar: entweder die komplizierte Situation der Firma klären - oder sie liquidieren.
Doch nichts davon geschah. Weil die Firma «finanziell gesund» sei, scheine eine Liquidation «vorderhand nicht angezeigt», schrieb Ruckstuhl nach zwei Monaten der Behörde. So verschickte die WSC unter seiner Aufsicht fast zwei Jahre lang weiter jährlich mindestens 40’000 irreführende Rechnungen. Das Geschäft florierte: Mitte 2005 lagen rund 300’000 Franken auf den Firmenkonten. Auch Ruckstuhl profitierte: Die von der WSC bezahlte Entschädigung für die Beistandschaft dürfte sich auf geschätzte 20’000 Franken belaufen.
Musterbeispiel für unlautere Werbung
Bemerkenswert: Anwalt Ruckstuhl amtiert seit Ende 2003 als Richter am Baselbieter Kantonsgericht und doziert Strafrecht an den Universitäten Basel und Luzern. 1998 rühmte ihn das Magazin «Facts» in der Rubrik «die hartnäckigen Strafverteidiger» mit dem Prädikat «gewandt, sicher, fundiert». Er ist Mitglied der SP sowie der «Demokratischen Juristinnen und Juristen der Schweiz» und setzte sich verschiedentlich für linke Anliegen ein.
Ist es mit seinen Überzeugungen vereinbar, arglose Gewerbetreibende übers Ohr zu hauen? «Diese Frage stellt sich nicht», erklärt Ruckstuhl dem Beobachter, weil sich die Kompetenzen des Beistands eben darauf beschränkten, das Vermögen dieser Firma zu sichern. Hat er nicht gemerkt, dass der WSC-Registereintrag völlig nutzlos ist? Dies habe er «nie überprüft», weil es «nicht zu meinen Aufgaben gehörte». Ruckstuhl sagt zwar selbst, dass man die WSC-Rechnungen als «dubios empfinden» könne - täuschend seien sie aber nicht. Die Empfänger hätten auf dem Einzahlungsschein erkennen können, dass die Zahlung nicht an ein kantonales Handelsregisteramt gehe, sondern an die WSC. Auch deswegen habe das Statthalteramt Arlesheim seit 1996 insgesamt neun Anzeigen wegen Betrugs und unlauteren Wettbewerbs als «strafrechtlich nicht relevant» ad acta gelegt.
Ganz anders sieht dies das Staatssekretariat für Wirtschaft: Die WSC-Rechnungen seien irreführend. Auf der Website der Schweizerischen Lauterkeitskommission werden sie gar als Musterbeispiel für unlautere Werbung aufgeführt. Mehrere Handelsregisterämter warnen explizit davor, die WSC-Rechnungen zu bezahlen.
Erst im Herbst 2005 legte Ruckstuhl sein Amt nieder, nachdem das Besondere Untersuchungsrichteramt für Wirtschaftsdelikte des Kantons Baselland gegen ihn ein Strafverfahren eröffnet hatte - wegen Betrugs sowie Verstosses gegen das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb, weil er das Geschäftsgebaren trotz seiner leitenden Funktion nicht gestoppt habe. Er erhielt Anfang Jahr einen Strafbefehl über 14 Tage Gefängnis auf Bewährung sowie 1’200 Franken Busse. Der Angeschuldigte hat dagegen Einsprache erhoben. Er sei weder formell noch in der Praxis Geschäftsführer der WSC gewesen, argumentiert er. Bis der Fall vor Strafgericht entschieden wird, verzichtet Ruckstuhl darauf, sein Richteramt auszuüben.
Ein schaler Nachgeschmack bleibt
Wie auch immer der Fall ausgeht - auch bei der Allschwiler Vormundschaftsbehörde, die Ruckstuhl hätte beaufsichtigen sollen, bleibt ein schaler Nachgeschmack, räumt deren Präsidentin Marianne Jans ein. «Wir konnten formal gar nicht anders handeln, aber gleichzeitig verstehe ich den Vorwurf, dass wir eine Firma mit einem moralisch verwerflichen Geschäftsmodell gewähren liessen.» Aufgrund der gemachten Erfahrungen soll inskünftig bei ähnlichen Fällen mindestens die Frage der Entlöhnung klarer geregelt werden. Im Fall WSC legte die Behörde nur fest, dass die Firma die Kosten für die Beistandschaft selber bezahlen müsse. Wie viele Stunden zu welchem Ansatz Ruckstuhl verrechnen durfte, blieb offen.