Ein Bischof, nicht von dieser Welt
Aufgeschlossene Pfarrer kritisieren den Churer Bischof: Seine sture Haltung zum Pfarrer von Bürglen, der ein lesbisches Paar segnete, vergrössere die Kluft zur Basis noch mehr.
Veröffentlicht am 3. März 2015 - 08:20 Uhr
Der Zeitpunkt war ideal: «Herzliche Segenswünsche allen Verliebten!», twitterte Martin Werlen, früher Abt des Klosters Einsiedeln, am 14. Februar. Klar, Valentinstag, passend. Aber so kurz nach dem Höhepunkt der Affäre um den katholischen Pfarrer von Bürglen UR gewiss kein Zufall.
Werlen lebt nach seinem Rücktritt als einfacher Mönch im Kloster Einsiedeln. Dem Beobachter sagt er: «Was als Protest gegen einen Bischof wahrgenommen wird, kann sehr wohl vor allem Engagement für die Kirche sein.» Ein Zitat aus seinem eben erschienenen Buch «Heute im Blick».
Wer in dieser Affäre wann mit wem worüber und mit welchem Ergebnis gesprochen hat, ist umstritten: Die Aussagen von Pfarrer Wendelin Bucheli und diejenigen des Bischofs Vitus Huonder widersprechen sich. Entweder ein Pfarrer oder ein Bischof sagt in dieser Sache die Unwahrheit – allein diese Tatsache ist bezeichnend für die aktuelle Situation im Bistum Chur.
Sicher ist: Der Pfarrer segnete vergangenen Herbst ein lesbisches Paar aus seiner Gemeinde. Als der Bischof das erfuhr, forderte er Bucheli zum Rücktritt auf, da die Segnungsfeier «ein öffentliches Ärgernis» sei und «über die Landesgrenzen hinaus Aufsehen erregt» habe, so des Bischofs Sprecher – obwohl bis dahin einzig das «Urner Wochenblatt» (Auflage: 9703 Exemplare) darüber berichtet hatte.
«Wenn Bischof Huonder auch das zweite Ohr geöffnet hätte, hätte er hören können, wie viele Menschen der Segnung der zwei Frauen zugestimmt haben», sagt Thomas Meli, Pfarrer in Alpnach OW. Einmal mehr werde «offensichtlich, dass der rückwärtsgewandte Churer Bischof seit Jahren nur für konservativ-traditionelle Katholiken ein offenes Ohr hat und die grosse Mehrheit offener und liberal denkender Kirchenmitglieder einfach überhört». Meli sieht einen «unüberwindbaren Graben» zwischen «fortschrittlichen und mittelalterlichen Kräften» im Bistum Chur. «Das Hauptproblem ist, dass Bischof Huonder nur mit ihm wohlgesinnten Leuten redet.»
Vitus Huonder geniesse es, «sich als einziger rechtgläubiger Bischof darzustellen», sagt der Zürcher Pfarrer Hugo Gehring, Vorsteher des Dekanats Winterthur. Er ortet in der Affäre den Versuch der Konservativen, sich in Stellung zu bringen: «Bevor im Herbst die weltweite Bischofssynode über grundsätzliche Positionen zu Familienfragen diskutiert, will er markieren: Wir geben keinen Millimeter nach.» Dazu passt, dass gleichzeitig der als zu fortschrittlich geltende Sprecher der Bischofskonferenz gefeuert wurde und der designierte Präsident der bischöflichen Medienkommission nicht Präsident werden darf – weil er wegen der Trennung von seiner Frau zum «öffentlichen Ärgernis» geworden sei.
Dabei waren die Positionen der katholischen Kirche nie in Stein gemeisselt, erinnert Hugo Gehring. «Als in den 1950er Jahren mutige katholische Priester begonnen haben, auch Menschen, die durch Suizid aus dem Leben geschieden sind, kirchlich zu beerdigen, haben sie den Angehörigen und Verstorbenen einen christlichen Liebesdienst erwiesen.» Was damals das Kirchenrecht noch verbot, sei heute «Gott sei Dank» gängige Praxis.
Wenn die Gläubigen entscheiden dürften, gälte das auch für Segnungen homosexueller Paare. 25'000 Personen nahmen 2014 an einer Umfrage im Auftrag der Bischofskonferenz teil, praktisch alles Mitglieder der römisch-katholischen Kirche. 60 Prozent sprachen sich für die kirchliche Anerkennung schwuler und lesbischer Partnerschaften aus.
«Die Kluft zur kirchlichen Basis wird immer grösser», beobachtet Monika Schmid, Gemeindeleiterin in Effretikon ZH. Sie tut das Gleiche wie ein Pfarrer, darf aber keine Sakramente spenden. Derzeit soll Schmid die Meinung der Basis einholen zur Frage, ob Geschiedene und Wiederverheiratete zu den Sakramenten zugelassen werden sollen. «Das hätte man vor 30 Jahren machen sollen. Heute lässt das Thema die Leute kalt; fast niemand kam an die Diskussion», so Schmid.
Schmid hat persönlich erfahren, was es heisst, bei Bischof Huonder in Ungnade zu fallen. 2008 kritisierte sie in der TV-Sendung «Das Wort zum Sonntag» die katholische Doppelmoral: Pädophile Priester werden nur versetzt, in einer hetero- oder homosexuellen Beziehung lebende Priester hingegen abgesetzt. Bischof Huonder entzog ihr daraufhin die Missio canonica, die Lehrberechtigung, was einem Berufsverbot gleichkommt. Weil ihm dabei ein Formfehler unterlief und weil die Zürcher Kirche gehörig Druck machte, zog Huonder den Missioentzug zurück, erteilte Schmid aber einen Verweis. Von den Beobachter-Leserinnen und -Lesern erhielt sie daraufhin den Prix-Courage-Publikumspreis.
Der Fall Bürglen habe sie an ihren eigenen Fall erinnert, sagt Schmid – und fragt rhetorisch: «Was ändert sich denn am grundsätzlichen Problem, wenn jetzt der Pfarrer von Bürglen irgendwohin strafversetzt wird?» Noch habe sie aber die Hoffnung, dass die Bischofssynode im Herbst über die Bücher gehe und das Evangelium über das Kirchenrecht stelle. Will heissen: Zur Aufgabe der Kirche gehört es, Menschen egal welcher Veranlagung in allen Lebenslagen zu begleiten. «Die Liebe Gottes gehört allen», sagt Monika Schmid.
Wie die Affäre um den Bürgler Pfarrer ausgeht, ist offen. Der Pfarrer will sich dem Druck nicht beugen, und seine Gemeinde samt dem Kirchenrat steht geschlossen hinter ihm. Als Nächstes steht ein Gespräch an mit Bischof Charles Morerod von der Diözese Lausanne-Genf-Freiburg, wo der Pfarrer ursprünglich geweiht wurde. Bis dahin will sich auch Huonder nicht mehr äussern. Falls die Fronten verhärtet bleiben, droht ein zweiter «Fall Röschenz». Auch im Konflikt zwischen dem Röschenzer Pfarrer Franz Sabo und dem Basler Bischof Kurt Koch dauerte es Jahre, bis der drohende Missioentzug vom Tisch war und die Wogen einigermassen geglättet waren.
Vielleicht lässt der Bischof die Geschichte aber auch einfach versanden – wie beim zweiten Konflikt um Monika Schmid: Die Gemeindeleiterin aus Effretikon hatte 2013 in einer Zeitungskolumne argumentiert, solange man laut katholischer Lehre sowohl Waffen wie Autos segnen dürfe, sehe sie nicht ein, warum man nicht auch zwei Liebende segnen dürfe.
Daraufhin verlangte Huonder, sie müsse diese Aussage öffentlich widerrufen. Doch Schmid weigerte sich – und hörte nichts mehr vom Bischof.