Elektrosmog: Tierisches Leiden im Kuhstall
Einem Zürcher Bauern ist das Strahlen vergangen, seit auf seinem Hof eine Mobilfunkantenne installiert wurde: Die Tiere werden von mysteriösen Krankheiten befallen.
Veröffentlicht am 19. Dezember 2002 - 00:00 Uhr
Zoe und Pia sind einige Wochen alt. Trotzdem werden die beiden Kälber das Licht der Welt nie ganz erblicken: Der graue Star trübt ihre Sicht. Noch schlechter geht es dem einjährigen Rind nebenan im Stall. Es sieht auf dem einen Auge nur tunnelförmig, auf dem andern ringförmig.
Ungewöhnlich ist auch der Fall von Kuh Werona: Ihre Haut ist extrem dünn. Auf der Weide blutete sie plötzlich am Bauch, der Tierarzt musste notfallmässig zum Nähen anrücken. Von ihren beiden Kälbern hatte eines nur ein Auge, das andere Tier verstarb nach Hustenanfällen und geschwollenem Hals.
Längst keine Idylle mehr
Bauer Hans Sturzenegger ist verzweifelt. «Seit die Mobilfunkantenne auf unserem Hof steht, ist es bergab gegangen. Inzwischen wird kein einziges gesundes Kalb mehr geboren.»
Der diplomierte Landwirt bewirtschaftet den 28 Hektaren grossen Rütlihof im zürcherischen Reutlingen seit 1974 als Pächter. Mit seiner Frau Hildegard und den drei Söhnen lebt der 51-Jährige von Milchwirtschaft, Acker- und Tabakbau.
Eine Idylle ist das rund 150 Jahre alte Anwesen längst nicht mehr. Hinter der Lärmschutzwand grollt die A1, über dem Hof surrt eine Hochspannungsleitung, und viermal stündlich rattert die S-Bahn vorbei.
Bis zur Aufrichtung der Orange-Antenne im Mai 1999 war für Familie Sturzenegger die Welt noch in Ordnung. Seither herrscht Ärger. Korrespondenz und Gutachten zum Thema Elektrosmog füllen zwei graue Plastikordner.
Die 15 Meter hohe Antenne neben der Tabakscheune sendet mit 710 Watt Leistung pro Segment. Ein weisser Container beherbergt weitere technische Anlagen. Für den Platzbedarf wird Hans Sturzenegger mit jährlich 2000 Franken entschädigt. Weitere 1500 Franken zahlt Orange an die Stadt Winterthur. Sie ist die Besitzerin des Rütlihofs und über die Vorkommnisse sehr besorgt. «Wir haben uns an den Kosten für die neu eingeleitete Gesundheitsabklärung beteiligt», sagt Erich Dürig von der städtischen Liegenschaftsverwaltung. «Doch für eine Kündigung des Orange-Vertrags wegen Unzumutbarkeit fehlen uns die Beweise.» Die beantragte UMTS-Aufrüstung des Masts werde so lange blockiert, bis die jetzigen Probleme geklärt seien.
Um Aufklärung hat sich das Tierspital der Universität Zürich bemüht. Alle Kälber und Kühe wurden im Oktober untersucht, doch die Ursache für die Erkrankungen blieb unklar. «Als Tiermediziner können wir elektromagnetische Störungen nicht direkt nachweisen, wohl aber andere mögliche Ursachen ausschliessen», sagt Tierarzt Michael Hässig.
Hinweise auf Erbkrankheiten oder die berüchtigte Bovine Virusdiarrhö habe man nicht gefunden. «Diese Häufung von grauem Star bei Kälbern ist ungewöhnlich und deutet auf andere Ursachen hin», ergänzt Bernhard Spiess, Professor für Augenkrankheiten am Tierspital Zürich.
Ratlosigkeit herrscht auch im Bundesamt für Veterinärwesen in Bern. Eine Befragung unter Schweizer Tierärzten hat keinerlei Indizien für ein generelles Problem mit Elektrosmog zutage gefördert. «Es gibt wenige Einzelfälle», sagt Tierärztin Katharina Stärk. «Bei acht gemeldeten Höfen könnte es einen Zusammenhang zwischen Tierkrankheiten und Mobilfunkantennen geben.»
Nicht nur die Kälber und Kühe leiden seit der Errichtung der Antenne unter Gesundheitsproblemen. Laut Sturzenegger vermehren sich auch die Kaninchen auf dem Hof nicht mehr, und Turmfalken und Schleiereulen brüten erfolglos.
Eine verheerende Situation
Die beiden Eulenkästen im Scheunengiebel wurden inzwischen vorsorglich dichtgemacht. Dieser Platz ist von der hochfrequenten Antennenstrahlung besonders betroffen: 2,6 Volt pro Meter ergab eine amtliche Messung der kantonalen Baudirektion. Das ist der höchste Wert auf dem Rütlihof, aber immer noch weit unter dem so genannten Anlagegrenzwert von sechs Volt pro Meter.
Hans Sturzenegger leidet auch am eigenen Leib. Der Arzt habe bei ihm ein untypisches Weichteilrheuma diagnostiziert. Erst eine homöopathische Behandlung und der Verzicht auf tierisches Eiweiss brachten eine Besserung.
Hans Sturzenegger ist nicht technikfeindlich. Dennoch rang er Orange die schriftliche Erklärung ab, für «schuldhaft verursachte Schäden» zu haften. Ein wertloses Stück Papier – denn kein seriöser Wissenschaftler konnte bisher einen direkten Zusammenhang zwischen Mobilfunkantennen und bestimmten Krankheiten zweifelsfrei beweisen. «Lediglich thermische Effekte bei sehr hoher Strahlungsintensität weit über den Grenzwerten sind wissenschaftlich nachgewiesen», sagt Gregor Dürrenberger, Leiter der Forschungsstiftung Mobilkommunikation an der ETH Zürich. Es fehlten jedoch Langzeituntersuchungen mit niedrigen Strahlendosen. Dürrenberger: «Das Problem ist zu komplex für eine robuste Aussage.»
Eine verheerende Situation für alle, die unter der Strahlung leiden. Auf zwei bis fünf Prozent der Bevölkerung schätzt die Schweizerische Energiestiftung den Anteil der elektrosensitiven Menschen. Sie fordert daher einen «sanften» Mobilfunk mit einem Grenzwert von 0,6 Volt pro Meter.
Inzwischen hat auch das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft reagiert: Es schlägt ein interdisziplinäres Nationales Forschungsprogramm zu möglichen gesundheitlichen Auswirkungen des Elektrosmogs auf Menschen und Nutztiere vor. Bis zum Jahr 2009 sollen die Ergebnisse auf dem Tisch liegen – vorausgesetzt, das Projekt wird bewilligt.
Ärzte fordern Ausbaustopp
So viel Geduld haben nicht alle. Seit Oktober machen Schulmediziner und Naturheilärzte aus Deutschland und der Schweiz gemeinsam Front gegen den zunehmenden Elektrosmog. Der «Freiburger Appell» nennt zahlreiche Erkrankungen, die dramatisch zugenommen hätten – darunter Schlaganfälle, Herzinfarkte, Leukämie und Hirntumore. Aber auch Ohrgeräusche, innere Unruhe und Schlaflosigkeit werden den Mobilfunkwellen zugeschrieben.
Die Ärzte des «Freiburger Appells» behaupten, die räumlichen und zeitlichen Zusammenhänge seien beachtlich, und schliessen Zufälle weitestgehend aus. Sie fordern unter anderem einen Ausbaustopp des Mobilfunknetzes, eine massive Grenzwertreduktion und mobilfunkfreie Zonen.
Für Hans Sturzenegger sind seltene Tierkrankheiten trauriger Alltag geworden. Vor wenigen Tagen wurden Zwillingskälbchen geboren: das eine tot, das andere mit trüben Augen, ohne Lebenswillen und Schluckreflex. Auch dieses Tier ist in der Zwischenzeit gestorben.
Trotz Ohnmachtsgefühlen und Wut gibt Hans Sturzenegger nicht auf. Er hofft auf die neu geschaffene Ombudsstelle Mobilkommunikation und Umwelt in Bern (siehe «Artikel zum Thema»). Und einen konkreten Vorschlag hat er auch: «Die Antenne für drei Jahre abschalten und sehen, was dann passiert.»
4 Kommentare
Wie die ungeheuerliche Geschichte mit Auswirkungen auf Mensch und Tier ausging, kann zB. hier (https://strahlungsfreier-kirchturm.ch/mobi…) nachgelesen werden, u.a. mit einem weiteren Beobachter-Artikel!
Siehe https://www.beobachter.ch/such…!
Letzten Januar veröffentlichte das Bundesamt für Umwelt einen Sonder-Newsletter mit der Erkenntnis, dass sich ein Trend abzeichne, der auch unter Berücksichtigung methodischer Schwächen deutlich wird, nämlich, dass Mobilfunkbestrahlung, sogar im niedrigen Dosisbereich, durchaus zu Veränderungen des oxidativen Gleichgewichtes führen kann. Nicht könnte sondern kann! Weiter zeigen Studien, dass sehr junge oder auch alte Individuen weniger effizient auf oxidativen Stress reagieren. So werden Erhöhungen von Biomarkern für oxidativen Stress als Ursache oder Folge in vielen Krankheitsbildern (zB. Krebs, Diabetes, angeborene Fehlbildungen, neurodegenerative Erkrankungen) beobachtet.
Für zuviele Menschen stehen die eigenen Interessen (Einkommen, Ansehen,...) weit über dem Gemeinwohl. Unsere Gesellschaft hat der Tabakindustrie einiges abringen können, mit der Mobilfunkindustrie sind wir noch nicht wirklich weit gekommen. Obwohl wir aus den Erfahrungen mit der Tabakindustrie doch gerüstet sein sollten!
Herrn Gregor Dürrenbergers Aussage, dass "lediglich thermische Effekte bei sehr hoher Strahlungsintensität weit über den Grenzwerten" wissenschaftlich nachgewiesen seien, hört und liest man auch 18 Jahre später leider immer noch. Ebenso, dass "Langzeituntersuchungen mit niedrigen Strahlendosen fehlen" würden. Herr Dürrenberger steht als Leiter der Forschungsstiftung Mobilkommunikation an der ETH Zürich im Dienst der Mobilfunkindustrie: Die FSM gehört zu 90% den Mobilfunkbetreibern und zu 10% den Stromnetzbetreibern.
Was Herr Dürrenberger verschweigt, sind die Langzeituntersuchungen mit niedrigen Strahlendosen durch die Studie Lilienfeld, veröffentlicht 1984: Von 1953-75 wurde das amerikanische Botschaftsgebäude in Moskau von den Russen mit Mobilfunkantennen-Strahlung grösstenteils im Bereich des sogenannt "strengen Anlagegrenzwertes" bestrahlt. Trotz des jungen Durchschnittalters litten überdurchschnittliche Viele, und der grösste Teil der Belegschaft starb - an Krebs...