Fahrende in der Sackgasse
Daniel Huber, der oberste Jenische, soll illegal mit Antiquitäten gehandelt haben. Auch als Präsident der Radgenossenschaft Schweiz zeigt er eine durchzogene Leistungsbilanz.
Veröffentlicht am 10. Januar 2014 - 15:56 Uhr
Sonderbare Dinge ereigneten sich im Januar 2009 bei einer Villa in Balsthal SO: Transporter fuhren vor und holten Waren ab. Eine Gartenbank aus Gusseisen, einen ausgestopften Hirsch, einen präparierten Leoparden und weiteres. Am Steuer des einen Autos sass Daniel Huber, 47, Präsident der Radgenossenschaft der Landstrasse (RG) – der Organisation, die im Auftrag des Bundes die Anliegen der jenischen Bevölkerung wahrnehmen soll.
Die Villa gehörte Paul Pfister (Name geändert), einem IV-Rentner, dessen Antiquitäten laut Gerichtsakten 620'550 Franken wert waren. Bloss hatte Pfister keinen Zutritt mehr zu diesen Schätzen, weil er mit seiner Frau Bianca (Name geändert) einen wüsten Scheidungskrieg ausfocht. Er hatte ihr und den Kindern das Haus vermacht; sie hatte ihn angezeigt wegen häuslicher Gewalt – nun befindet sich der Fall vor Bundesgericht. Einen Teil der Preziosen, das antike Mobiliar eines Jagdschlosses im Wert von 180'000 Franken etwa, will Bianca Pfister «mit dem Hammer zerkleinert und im Ofen verbrannt» haben. Ob das zutrifft oder ob die Ware anderweitig verkauft wurde, müssen die Behörden nun klären.
Bei einer der zahlreichen Einvernahmen gab Bianca Pfister zu Protokoll, Daniel Huber habe bei ihr «zwei-, dreimal» Sachen abgeholt. Einzelne Zettel, die als Quittungen dienten, zeigen: Huber kaufte Waren für mindestens 23'000 Franken, vielleicht auch mehr. Die Kantonspolizei Solothurn beschlagnahmte einen Teil der Gegenstände in einer Garage Hubers. Tatsache ist auch: Huber kannte Paul Pfister seit langem und hätte wissen müssen, dass dessen Frau aufgrund einer richterlichen Verfügung nicht befugt war, Hausrat zu verkaufen. Das trug Huber eine Strafanzeige wegen Hehlerei ein. «Wir können bestätigen, dass die Staatsanwaltschaft Solothurn gegen Daniel Huber ein Verfahren wegen mehrfacher Hehlerei führt», sagt die zuständige Mediensprecherin Cony Zubler. «Da es sich um eine laufende Untersuchung handelt, können wir zu detaillierten Fragen keine Stellung nehmen.» Hubers Anwältin sagt: «Die gegen Daniel Huber erhobenen Vorwürfe weisen wir mit aller Entschiedenheit zurück.»
Der Vorwurf der Hehlerei wirft einen weiteren Schatten auf das Wirken Daniel Hubers als Präsident der RG. Er hatte sein Amt von seinem Vater Robert Huber übernommen und gibt nach aussen gern den Jenischen. Er bezeichnet sich als «Scherenschleifer» und betreibt mit Sohn Jeremy Huber eine Firma für Recycling, Garten- und Malerarbeiten. Ab und zu sieht man Huber mit dem Wohnwagen vorfahren, auch seine Verwandten praktizieren teils die fahrende Lebensweise. Immer sehr gut vertreten waren und sind die Hubers im Verwaltungsrat der RG. Dieser war lange Zeit ein eigentlicher «Huber-Clan», in dem sowohl Hubers Söhne Jeremy und Benjamin wie auch andere Verwandte, Bekannte und Eingeheiratete Einsitz nahmen. Inzwischen sind einzelne der Hubers jedoch ausgetreten.
Für die 60-Prozent-Stelle als Präsident erhält Daniel Huber einen Lohn von netto 5000 Franken monatlich, der vorab aus Geldern des Bundesamts für Kultur (BAK) finanziert wird. Hinzu kommen Spesengelder für ihn und die Verwaltungsräte, die Tagespauschalen von 350 Franken verrechnen können. Die «Gegenleistung» für diese Bundesgelder (pro Jahr eine Viertelmillion Franken) fällt aber zunehmend mager aus. Die RG zählt nur rund 120 Mitglieder. Bei ihnen handle es sich teils um «mehrköpfige Familien», weil Eltern und Kinder bis 16 Jahre gemeinsam Mitglied sein könnten, sagt Sandra Bosshard, Geschäftsführerin der RG. Der «Scharotl», die Zeitschrift der RG, ist immer mehr ein dünnes Blättchen, dessen Inhalte sich wiederholen und das nur noch rund 100 Abonnenten zählt.
Dürftig ist auch die Zahl an Stand- und Durchgangsplätzen, die die RG mit Privaten und Behörden schaffen und bewahren sollte. Laut dem aktuellen «Standbericht 2010» der Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende wären schweizweit 40 Standplätze nötig, aktuell zählt man 14. Weiter bräuchte es 82 Durchgangsplätze, von denen es heute nur 43 gebe – «in mehrheitlich ungenügender Qualität». Vor einigen Jahren waren es noch 51, acht Plätze sind verschwunden. Darunter ausgerechnet der Platz auf dem Monte Ceneri, den die RG in eigener Regie verwaltet hatte. Er wurde ihr 2010 nach Ungereimtheiten gekündigt und wird nun als Camper-Stellplatz für Touristen betrieben – Fahrende sind nicht zugelassen.
Daniel Huber selbst ist kaum auf ein Plätzchen im Tessin angewiesen. Er ist entweder in Balsthal, wo er zwei Grundstücke hat und sein Geschäft betreibt und wo auch Sohn Jeremy Land gekauft hat. Oder in Zillis GR, wo die Hubers fixe Camper-Plätze pachten und jeweils für die Jagd oder für Wochenenden anreisen. Oder in Birmensdorf ZH, wo Daniel Huber ebenfalls eine Wohnung hat. Hinzu kommt eine Garage in Oensingen SO, wo die Polizei im Zuge der Hehlerei-Untersuchung eine Hausdurchsuchung vornahm.
Angewiesen ist Daniel Huber aber auf den Bund, der seine Genossenschaft massgeblich finanziert. «Die Förderung der jenischen Kultur entspricht einem gesetzlichen Auftrag», sagt David Vitali, zuständiger Sektionschef beim Bundesamt für Kultur. Die RG sei «die einzige Organisation mit nationaler Ausstrahlung», der Bund brauche einen solchen Ansprechpartner. «Die Jenischen sind eine geschützte nationale Minderheit»; der Bund sei auch wegen internationaler Konventionen verpflichtet, dem Schutz der jenischen Kultur nachzukommen. «Es ist allerdings aus Sicht des BAK ungünstig, dass einige Mitglieder des Verwaltungsrats miteinander verwandt sind», sagt Vitali. Die interne Organisation und die Besetzung des Präsidiums seien letztlich allerdings Sache der Genossenschaft.
Dennoch stellen sich grundsätzliche Fragen. So trifft es immer weniger zu, dass die RG Sprachrohr für «alle» Jenischen wäre. Sie kümmert sich per se vor allem um jene Minderheit, die aktiv fahrend ist – und vernachlässigt die Mehrheit der sesshaften Jenischen. Die Anzahl Schweizer Jenischer wird auf 35 000 geschätzt, exakte Zahlen fehlen. Von ihnen pflegen höchstens etwa 2500 eine nomadische oder halbnomadische Lebensweise. Die sesshaften Jenischen werden von der RG wenig repräsentiert – und stützen sich zunehmend auf eigene Vereinigungen wie Naschet Jenische, Schäft Qwant, Zigeunermission. Diese werden – im Unterschied zur RG – geringer oder gar nicht subventioniert.
«Die Fahrenden unter den Jenischen haben aufgrund ihrer Lebensweise einen stärkeren Bedarf nach Unterstützung als die Sesshaften», sagt Vitali. Doch die mehrheitlich vom Bund finanzierte RG sollte grundsätzlich alle Jenischen vertreten. Hier offenbart sich ein jahrealter Grundkonflikt: Sind jenische Familien als Fahrende unterwegs, leidet die Schul- und Ausbildung der Kinder; wollen die Eltern den Kindern aber eine gute Bildung ermöglichen, müssten sie eigentlich sesshaft werden.
Auch die Wanderberufe, die die Fahrenden ausüben, garantieren kaum noch ein Auskommen: Hausieren, Korbflechten oder Scherenschleifen rentieren längst nicht mehr. Viele Fahrende sind auf Sozialhilfe, auf Renten oder Nebenjobs angewiesen. David Vitali vom BAK meint: «Die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Schulbildung von fahrenden Jenischen sind bekannt, und es laufen Projekte für eine Verbesserung der Situation. Die mangelnde Schulbildung und das teilweise fehlende Bewusstsein für den Wert der Bildung bei den Eltern sind Hindernisse für eine erfolgreiche Schulkarriere.» Dennoch gelte die fahrende Lebensweise als Grundpfeiler des jenischen Selbstverständnisses. «Das Ureigene der Jenischen bleibt die fahrende Lebensweise und das Handwerk.»
Im April 2014 läuft die Amtsperiode Daniel Hubers aus, die RG wird das Präsidium neu bestellen müssen. Macht Huber seinen Job zufriedenstellend? David Vitali vom BAK gibt sich diplomatisch: «Einen von allen Jenischen, die in verschiedene Gruppen zersplittert sind, akzeptierten Präsidenten darzustellen ist eine grosse Herausforderung.» Alternativen zur überregional tätigen RG gebe es keine. «Der Bund ist deshalb daran interessiert, dass die Genossenschaft ihre Position festigen kann und eine breite Akzeptanz unter den Jenischen erfährt.»