Feuerkatastrophe: Brandmal auf der Seele
Ein Hausbrand ist für die Opfer ein unauslöschliches Erlebnis: Sie verlieren ihr Hab und Gut – und damit ein Stück ihrer Identität. Das Trauma müssen sie oft allein bewältigen.
Veröffentlicht am 15. April 2002 - 00:00 Uhr
Die elfjährige Jenny war vor dem Fernseher eingeschlafen und wachte auf, weil es im Haus seltsam knackte. Um sie herum war dichter Rauch. «Feuer!», schoss es ihr durch den Kopf. Hustend tastete sie sich durch den Rauch, befreite die fünf erwachsenen Windhunde aus der Zucht ihrer Mutter und kämpfte sich dann weiter vor zum Zimmer, in dem die beiden Welpen lagen. Der beissende Rauch zerriss ihr fast die Lungen, aber sie schaffte es. Keuchend gelangte sie nach draussen, legte die beiden Hündchen ins Auto und rannte los, um Hilfe zu holen.
Jennys Mutter war an diesem Abend kurz zu Freunden gegangen. «Als das Telefon läutete und man mir sagte, dass es zu Hause brenne, dachte ich zuerst an einen schlechten Scherz», erinnert sich Jeannette Troxler. Doch draussen sah sie schon von weitem das Feuer, und als sie daheim eintraf, versuchte die Feuerwehr bereits, den Brand unter Kontrolle zu bekommen. Vergeblich. Ausser den Grundmauern blieb vom alten Bauernhaus nicht viel übrig.
Für Jeannette Troxler brach die Welt zusammen. Gerade erst war die Beziehung zu ihrem Mann gescheitert, und nun verlor sie auch noch ihr Daheim, ihr gesamtes Hab und Gut. Als komplette Versagerin habe sie sich gefühlt, sagt sie. Zumal sie zu allem Unglück auch noch massiv unterversichert war. «Da bist du 37 Jahre alt und kannst nochmals von vorn anfangen.»
Von einem Moment auf den andern alles zu verlieren ist für die meisten Menschen unfassbar. Sie fühlen sich ohnmächtig und sind überfordert, das Geschehene zu verarbeiten. Mit gutem Grund: «Einem Menschen, der all sein materielles Gut verliert, fehlt ein Stück seiner Identität», sagt Traumatherapeutin Gisela Perren. Es fehle nicht nur ein wichtiger Bestandteil der Gegenwart – mit den Erinnerungsgegenständen gehe auch ein Stück Vergangenheit verloren. Ein traumatisches Erlebnis.
Jeannette Troxler fand es deshalb unglaublich, dass man sie und ihre Tochter einfach dem Schicksal überliess, sobald der Brand gelöscht war. «Weder hielt man es für nötig, Jenny auf eine Rauchvergiftung hin zu untersuchen, noch fragte uns jemand, wo wir nun übernachten würden.» Bitterkeit liegt in ihrer Stimme. Die Hundezüchterin wohnt zwar heute nur ein paar Dörfer vom Unglücksort entfernt, ist aber kaum mehr in ihrer alten Heimat anzutreffen. Zu düster sind die Erinnerungen.
Wenn Menschen nach einem Brand völlig auf sich allein gestellt sind, liegt das gemäss Gisela Perren vor allem daran, dass die Feuerwehr in der Schweiz noch immer zu zwei Dritteln auf Freiwilligenarbeit basiert. Es fehlt somit an einer übergeordneten Organisation, die bei einem Brand automatisch jemanden zur Betreuung der Betroffenen aufbietet. Denn es kann nicht Aufgabe der Feuerwehrleute sein, sich auch um das Seelenheil zu kümmern. Sehr oft sind sie ja selber kaum in der Lage, das Erlebte wirklich zu verarbeiten.
Zwar setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass es letztlich günstiger kommt, den Einsatzleuten eine regelmässige Supervision zu ermöglichen, als sie wegen psychischer Störungen und Krankheiten mit 50 Jahren frühpensionieren zu müssen. Doch die Idee, dass auch die direkten Brandopfer seelisch betreut werden sollten, ist politisch noch kaum etabliert.
Trost und Zuspruch sind nötig
Traumatherapeutin Perren bietet deshalb Kurse an, die Laien befähigen sollen, in solchen Notsituationen richtig zu reagieren. Ihr Hauptinteresse gilt den Mitgliedern der Samaritervereine, die es ja fast in jedem Dorf gibt. Sie sollen künftig nicht nur fähig sein, körperliche Wunden notfallmässig zu verarzten, sondern auch erste Hilfe im seelischen Bereich zu leisten.
Zu diesem Zeitpunkt braucht es gemäss Perrens Erfahrung keine psychologischen Fachleute vor Ort: «Es ist dann vor allem wichtig, dass sich jemand um die Brandgeschädigten kümmert, sei das nun eine Nachbarin, der Dorfpfarrer oder aber die Hausärztin.» Ein fremder Psychologe könnte sogar eher störend wirken. Denn es gehe in erster Linie ja darum, den Betroffenen eine Decke um die Schultern zu legen, sie zu trösten und zu schauen, wo sie in den nächsten Tagen wohnen können.
Ein paar Tage nach dem Brand aber ist es laut Markus Heinrichs von der verhaltensmedizinischen Ambulanz der Universität Zürich wichtig, dass das Opfer mit jemandem redet, der weiss, was bei einem psychisch traumatisierten Menschen ablaufen kann. Oftmals ist dieser nicht fähig, seine Gefühle und Gedanken zu ordnen, und reagiert mit Apathie oder aber Aggression. Herauszufinden, welche Emotionen die quälendsten sind, ist deshalb überaus wichtig: Ist es die Furcht, dass so etwas noch einmal geschehen könnte? Sind es Existenzängste, Mutlosigkeit oder Ohnmachtsgefühle, die einem zusetzen? Oder Schuldgefühle, weil man vielleicht vergessen hat, die Herdplatte abzustellen oder den Christbaum genügend zu befestigen?
«Die ganze Energie geraubt»
Dieses Gefühlschaos zu entwirren ist gemäss Therapeutin Perren überaus wichtig, «weil die Betroffenen sonst gar nicht anfangen können zu trauern und die anderen, undefinierten Gefühle immer wieder nach oben drängen». Unverarbeitete Gefühle aber können zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen und die Betroffenen noch Jahre später quälen. Pedro Meier war gerade in Thailand, als es passierte: Beinahe alle Gemälde, die der Maler in vier Jahrzehnten erschaffen hatte, und die aus rund 10000 Büchern bestehende Bibliothek, die er über die Jahre gesammelt hatte, fielen den Flammen zum Opfer, die im letzten August auf dem Gugelmannareal in Roggwil BE wüteten. Dort hatte der 61-Jährige seit Jahren sein Atelier.Er habe es fast nicht glauben können, erzählt der Aargauer, und er komme auch heute noch schlecht mit dem Verlust zurecht. «Dieser Brand hat mir die ganze Energie geraubt.» Seine Werke zu verlieren, so Meier, sei für einen Künstler wohl das Verheerendste überhaupt. Es sei für ihn etwa so gewesen, «als ob eine Geliebte plötzlich weggestorben wäre».
Am schlimmsten nach einem Brandschaden sei sicher, dass man sich so ohnmächtig fühle. «Du kannst auf niemanden wütend sein», erklärt Meier. «Wenn einer im Krieg alles zurücklassen muss, dann kann er immerhin auf den Feind böse sein. Aber bei einem Feuer, das nicht von irgendjemandem bewusst gelegt wurde – auf wen willst du da wütend sein?»Traumatherapeutin Gisela Perren glaubt allerdings nicht, dass die Verarbeitung einfacher fällt, wenn es einen Schuldigen für das eigene Leid gibt. Ihrer Erfahrung nach handelt es sich dann eher um eine Verlagerung des Problems: «Im ersten Moment fühlt man sich zwar sicher besser, weil man seine ganze Energie auf etwas richten kann, weil man beispielsweise vor Gericht für sein Recht kämpft.» Aber wenn die finanzielle Entschädigung dann tatsächlich da ist, fallen die meisten Brandopfer in ein Loch. «Denn der Schmerz über den Verlust ist ja trotzdem da und kann nicht mit Geld wettgemacht werden.»
Um Spätfolgen zu vermeiden, ist es aber nicht nur wichtig, das Gefühlschaos zu entwirren und gebührend zu trauern – auch der Alltag sollte so bald und normal wie möglich weitergehen. Und hier liegt wohl auch einer der Hauptgründe dafür, dass Meier noch immer derart schwer an seinem Schicksal trägt: Er hat das Malen bis heute nicht wieder richtig aufnehmen können. Die wenigen Bilder und Bücher, die er vom Brandgelände noch retten konnte, stehen derzeit in einem Lagerraum. Ein neues, bezahlbares Atelier hat Pedro Meier bis heute nicht gefunden.
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www.institut-psychotrauma.ch