Am Eingang wird der Name des Besuchers notiert und auf den Datenschutz aufmerksam gemacht – mehr nicht. Das ist erstaunlich. Denn hinter den Mauern des Eckhauses an der Frohbergstrasse mitten in St. Gallen wird mit den gefährlichsten Erregern der Welt gearbeitet: HIV, Milzbrand, Tuberkulose und Ebola.

«Dramatisieren Sie nicht. Wir haben strenge Vorschriften, und das Personal ist gut ausgebildet», sagt Günter Siegl. Der Leiter des Instituts für klinische Mikrobiologie und Immunologie (IKMI) lehnt sich über den Besuchertisch in seinem improvisierten Büro und fixiert seinen Gesprächspartner, um sich zu vergewissern, dass seine Botschaft auch wirklich ankommt. «Zudem ist unsere Arbeit durch die Störfallverordnung und durch Verordnungen für den Schutz der Mitarbeiter und der Umwelt geregelt.»

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Siegl, den die meisten Mitarbeiter ehrfurchtsvoll Professor nennen, zupft dezidiert an seiner Fliege, seinem Markenzeichen. Jeden Morgen sucht er eines dieser Accessoires aus einer gut gefüllten Schublade aus. Der gelernte Mikrobiologe und Virologe steht dem IKMI seit 13 Jahren vor. Zuvor arbeitete er 22 Jahre lang an der Universität Bern.

Ein Rundgang zeigt die Vielseitigkeit des IKMI auf. Hier werden Touristen vor Reisen in die Tropen geimpft, Krankenhäuser im Kampf gegen Keime unterstützt und Fleischproben bakteriologisch untersucht. Doch das Kerngeschäft ist der Nachweis von Infektionskrankheiten aufgrund von Patientenproben, die Ärzte und Spitäler einschicken.

Angst scheint am IKMI ein Fremdwort zu sein – obwohl es die 90 Mitarbeiter täglich mit den Verursachern schwerer, teils tödlicher Krankheiten zu tun bekommen. Jederzeit kann es geschehen, dass mit dem Postversand plötzlich Ebola-, Dengue- oder Lassa-Erreger ins Haus kommen.

Rund um die Uhr einsatzfähig
Bei der Arbeit wird Sicherheit gross geschrieben: Jede der rund 170'000 Proben pro Jahr muss so behandelt werden, dass sich auch ohne höchste Sicherheitsvorkehrungen niemand anstecken kann. Für jeden der gut 550'000 Tests gibt es strikte Vorschriften. Die jährlich rund 30'000 Blutspenden- und Tausende von HIV- und Hepatitis-C-Tests werden in Standardverfahren durchgeführt.

Im Gegensatz zu privaten Labors ist das IKMI rund um die Uhr einsatzfähig. Ebolaviren oder Meningokokken, die Erreger der Hirnhautentzündung, halten sich nicht an Bürozeiten. Und wenn durch den Unfall eines Spenders plötzlich ein Organ zur Transplantation frei wird, müssen Proben davon in möglichst kurzer Zeit untersucht werden.

Keine Angst vor Virendieben
Die meisten Infektionskrankheiten lassen sich mit den am IKMI praktizierten rund 400 Untersuchungsmethoden identifizieren. Manchmal werden die Mitarbeiter auch zu «Detektiven in weissen Schürzen»: Sie geben Ärzten und Spitälern Hinweise, mit welchen Waffen sie in der unheimlichen Welt der Viren, Bakterien und Pilzsporen die Erreger bekämpfen können.

Dieses 2500 Quadratmeter grosse Reich der Mikroskope, Reagenzgläser und Schälchen mit Nährlösungen verteilt sich auf vier Etagen und beherbergt eine verwirrende Zahl unterschiedlich grosser Labors. Auf den Gängen und im Keller stehen Tiefkühltruhen. Hier lagern auch Bakterien und Virusstämme, die zur Qualitätskontrolle gehalten werden.

Angst vor einem allfälligen Diebstahl der gefährlichen Ware hat Siegl nicht. «Wenn jemand nicht weiss, wo die Sachen genau liegen, muss er seinen Kopf tief in Dutzende Kühltruhen stecken. Bevor er ein gefährliches Virus entdeckt hat, wachsen an seiner Nase Eiszapfen.»

Das IKMI bedient vor allem Ärzte und Spitäler in der Ostschweiz. Doch wenn die Leiter der verschiedenen Fachbereiche jeden Morgen um halb acht in den Annahmeraum kommen, wo täglich Hunderte Pakete eintreffen, sind auch viele Proben aus der übrigen Schweiz und dem nahen Ausland dabei.

Die Pakete sind sicherheitshalber dreifach verpackt. Sollte ein Gefäss brechen, wird die Flüssigkeit von saugfähigem Material absorbiert. Eine Sicherheitshülle verhindert zudem den Kontakt mit der Umwelt. Nach der Ankunft werden die Daten jeder Probe und später auch die Ergebnisse elektronisch erfasst und bis zu zwölf Jahre lang aufbewahrt.

Die Fähigkeit der St. Galler, ratlosen Spezialisten mit präzisen Analysen auf die Sprünge zu helfen, ist weitherum bekannt. Das IKMI hat sich einen hervorragenden Ruf als Kompetenzzentrum für Viren, Bakterien, Pilze und Parasiten erarbeitet. Nicht umsonst steht es kurz davor, Referenzlabor für hochgefährliche Viren zu werden. Ein Arbeitsraum, in dem Unterdruck herrscht und der den Ansprüchen einer so genannt «hohen Biosicherheitsstufe» genügt, ist bereits fertig eingerichtet.

Allerdings zögern die zuständigen Behörden noch, grünes Licht für den Betrieb zu geben. Die Räume seien nicht erdbebensicher, wird moniert. «Das ist Vogel-Strauss-Politik», kritisiert Institutsleiter Siegl. «Jeden Tag können Patienten mit hochgefährlichen Viren oder Bakterien bei uns eintreffen. Dann sollte man wenigstens die neue Infrastruktur nutzen können.»

Kontakt mit «weisser Pest»
Derzeit beschäftigt sich das Institut vermehrt mit der «weissen Pest»: der Tuberkulose. Nachdem die Krankheit im 20. Jahrhundert in unseren Breitengraden fast ausgerottet war, nimmt sie wieder zu. Laut dem Bundesamt für Gesundheit erkranken in der Schweiz jährlich rund 650 Menschen; Träger des Erregers sind vor allem Asylsuchende und Einwanderer.

Ein Aufkleber mit vier ineinander verschlungenen Ringen warnt an der Tür zu einem speziellen Untersuchungsraum. Hier arbeitet Jeannette Ghisleni. Sie trägt zu ihrer Sicherheit Handschuhe und Mundschutz, ihr Arbeitsplatz ist durch eine stabile Scheibe vor den gefährlichen Tuberkulosebakterien geschützt.

Ghisleni führt ihre Arme durch zwei Öffnungen und nimmt ein Reagenzglas in die Hand. Damit keine Tuberkuloseerreger entweichen können, herrscht Unterdruck: Die Luft wird nach innen abgesaugt und sofort gereinigt.

Geschickt öffnet Ghisleni das Reagenzglas und überträgt mit einer sterilen Öse etwas von der darin enthaltenen Flüssigkeit auf einen Nährboden aus Schafsblut und Agar-Agar, einer Algenart aus Südostasien. Routinearbeit – wöchentlich kommen 60 bis 80 Proben mit Verdacht auf Tuberkulose ins Haus. Drei bis vier enthalten jeweils tatsächlich Bakterien.

«Manchmal schweifen meine Gedanken ab. Ich sehe Nummern und Namen auf den Reagenzgläsern. Doch hinter allen diesen Proben stecken Schicksale. Die Diagnose ist heute zwar kein Todesurteil mehr. Aber sie bedeutet möglicherweise Isolation, Stress und langwieriges Leiden. Allein die präzise Bestimmung dauert wegen des langsamen Wachstums der Bakterien bis zu sechs Wochen.»

Pockenerreger als Waffen
Besonders gefährlich ist Tuberkulose mit resistenten Bakterienstämmen, die immer häufiger auftreten. Sie stammen vor allem aus Osteuropa, weil die Krankheit dort nie konsequent mit Antibiotika bekämpft wurde. Die Molekularbiologie bietet die Möglichkeit, die Diagnosezeit bei Tuberkulose zu verkürzen. Dabei wird das Erbgut der Erreger isoliert und mit einem speziellen Verfahren zur rasanten Vermehrung gebracht. So können Bakterien oder Viren rasch nachgewiesen werden.

Derzeit sind Labors wie das IKMI häufig in den Schlagzeilen. Bioterrorismus heisst das Reizwort. Bevorzugt als Waffen eingesetzt werden Pocken-, Hasenpest- und Milzbranderreger. Obwohl das neu eingerichtete Referenzlabor für Milzbrand (Anthrax) dem Veterinärbakteriologischen Institut der Universität Bern angegliedert ist, wurde das IKMI im «Terrorherbst» 2001 in 20 Verdachtsfällen für die Anthraxtests herangezogen.

Wie ein Fussballcoach vor dem Elfmeterschiessen überlegte sich Abteilungsleiterin Daniela Buhl damals, welche ihrer Mitarbeiterinnen wohl die nötige Nervenstärke für diese Untersuchungen habe. Ihre Wahl fiel auf die Kroatin Barka Opat, die seit 30 Jahren am IKMI arbeitet. «Mein Lebenspartner bekam einen Schrecken, als ich ihm von dem Spezialauftrag erzählte», erinnert sich Opat. Auch sie habe ein seltsames Gefühl beschlichen, als sie von den tödlichen Ansteckungen in den USA gehört habe. «Doch Angst wäre ein schlechter Ratgeber. Wer hier ängstlich ist, hat den falschen Beruf gewählt.»

Der verdächtige Staub erwies sich glücklicherweise als Mehl oder Puderzucker. Ein übler und darüber hinaus teurer Scherz. «Anthraxuntersuchungen sind unangenehm», sagt Barka Opat, «und wir haben Wichtigeres zu tun, als solchen Spässen auf den Grund zu gehen.» Sie zeigt auf die Bilder mit Milzbrandkulturen, die wie Blumenkohlrosen blühen. «Es klingt vielleicht etwas dramatisch. Aber ich bin die Älteste hier. Wäre ich infiziert worden, hätte ich mir gesagt: ‹Ich hatte etwas vom Leben, und meine jungen Mitarbeiter haben es noch vor sich.›»