Frau Spoerlé und ihre Tiere
Monica Spoerlé lebt mit Füchsen und einem Reh unter einem Dach. Die 67-Jährige führt im Aargau einen Gnadenhof für 150 Tiere. Für Ihre Schützlinge arbeitet sie bis zum Umfallen.
Veröffentlicht am 5. November 2015 - 15:44 Uhr
Video: Der Gnadenhof im Fokus
So leben Monica Spoerlé, Reh Sarah, Fuchs Vivo, Rind Cäsar und Dogge Elen auf dem Gnadenhof zusammen.
Rund 150 Tiere sind von Monica Spoerlé abhängig – mehrere Dutzend Katzen und Hunde, fünf Füchse, ein Reh, Pferde, Schafe, ein Rind, eine Wildsau, ein Esel und jede Menge gefiederte und bepelzte Kleintiere. Frau Spoerlé führt einen Gnadenhof für Tiere, die ohne sie wohl tot wären – eingeschläfert, geschlachtet oder erschossen. Nun leben sie mit ihr auf einem alten Bauernhof in Kaisten AG und wollen tagein, tagaus gefüttert, gestriegelt, gestreichelt und gepflegt werden.
Der Tierlignadenhof ist eine Stiftung und lebt ausschliesslich von Spenden. 30’000 Franken verschlingt der Unterhalt des Hofes jeden Monat. Immer wieder wurde es eng für Frau Spoerlé und ihre Tiere, aber geschafft hat sie es immer irgendwie.
«Ärzte haben zwar viel studiert, aber sie spüren ihre Patienten nicht.»
Monica Spoerlé, Besitzerin Gnadenhof
Neben Ihren täglichen Arbeiten, kämpft Monica Spoerlé auch immer wieder mit den Behörden. Zum Beispiel als sich Rind Cäsar am Auge verletzte. Das Uni-Tierspital in Zürich habe sich zunächst geweigert, ihn zu behandeln – weil er keine Ohrenmarke zur Kennzeichnung trug, erzählt Frau Spoerlé. Das entspreche nicht der Tierseuchenverordnung.
Ebenso sei es ihr mit Wildsau Joker ergangen, die Tierärztin habe sich erst geweigert, dem Frischling zu helfen. «Ärzte haben zwar viel studiert, aber sie spüren ihre Patienten nicht», sagt Frau Spoerlé. Der gesunde Menschenverstand und das Gefühl zählten nicht mehr, nur noch Paragrafen und Studien.
Als Frau Spoerlé nach dem Reh Sarah ein zweites Kitz bekam, habe es das Aargauer Veterinäramt beschlagnahmen wollen. Und habe gedroht: Wenn sie es nicht freiwillig herausgebe, werde man Reh Sarah auf dem Vorplatz des Gnadenhofes abschiessen. Frau Spoerlés Stimme bricht. «In diesem Moment ist etwas in mir abgestorben.» Sie weint leise. «Dass ich mit solchen Leuten auf derselben Erde leben muss …», haucht sie heiser.
«Wir haben keine speziellen Probleme mit dem Gnadenhof.»
Erika Wunderlin, Kantonstierärztin Aargau
Auf der anderen Seite klingt es anders. Im Universum der Paragrafen und Gesetze wirkt die Aargauer Kantonstierärztin Erika Wunderlin. Sie weist Spoerlés Schilderung, man habe mit der Erschiessung von Sarah gedroht, «mit Nachdruck» zurück. «Das ist ein völliges Märchen.» Das Amt habe lediglich das zweite Rehkitz beschlagnahmt, weil Monica Spoerlé keine Bewilligung dafür vorweisen konnte. Man habe überdies keine speziellen Probleme mit dem Gnadenhof, sagt sie. Das Kitz sei in eine Wildtierauffangstation gebracht und ein Jahr später ausgewildert worden. «Es wurde zurück in die Natur gebracht, wie es seine Bestimmung ist», sagt Wunderlin. Als Kantonstierärztin sei es ihre Aufgabe, objektiv, neutral und unparteiisch dafür zu sorgen, dass Gesetze eingehalten würden.
«Ich fühle mich so machtlos den Behörden gegenüber», sagt Frau Spoerlé. Sie bekomme Bauchweh vor Angst, wenn sie einen Antrag für eine Bewilligung stellen müsse, wie sie es bei jedem neuen Wildtier tun muss. «Der Staat tötet lieber ein Tier, als dass er gegen eine Regel verstösst.» Die meisten Staatsangestellten hörten nicht auf ihre innere Stimme, könnten nicht mehr selbstständig denken, findet sie. «Und unsere Politiker führen sich auf wie Herrgötter auf Erden, die sich das Recht nehmen dürfen, Völker zu regieren.»
Frau Spoerlé redet sich in Rage. «Ich bin mehr als enttäuscht, ich bin schockiert, wie die Welt geworden ist. Die Kraft steckt heute in denen, die Böses tun.» Frau Spoerlé macht keine halben Sachen, und sie sagt keine halben Sachen.
Portraits: Die Tiere vom Gnadenhof
Elen wedelt mit dem Schwanz. Die riesige gelbe Dogge drückt sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen Frau Spoerlé. Elen sei illegal von einem ungarischen Züchter eingeführt und am Zoll beschlagnahmt worden, völlig beziehungsgestört sei sie gewesen.
Heute ist sie verschmust und verspielt. «Du bisch ä verruckti Lise», sagt Frau Spoerlé. «Du darfst mich nicht so drücken, mir tun doch alle Knochen weh.»
Sarah stakst in die Stube. Das Reh schnuppert an Frau Spoerlés Hand und blickt sie aus seinen grossen dunklen Augen an. Frau Spoerlé gibt ihm einen Zwieback. Sarah war als Kitz ausgehungert und verwaist in einem Waldgraben gefunden worden. Heute ist es acht Jahre alt und bewegt sich völlig selbstverständlich durch das grosse Bauernhaus.
Mit über 30 weiteren Tieren und Frau Spoerlé lebt es unter einem Dach. Sarah gehört praktisch zur Hundefamilie. Das Reh wirke vielleicht unschuldig, es könne aber eine freche Geiss sein «und die Hörner zeigen, die sie nicht hat». Dann hätten auch die Doggen Respekt.
Cäsar senkt sein Haupt mit den imposanten Hörnern. Das Rind weiss, dass Frau Spoerlé ihm dann den breiten Stiernacken kraulen wird. «Cäsar ist mein grosser Freund, er ist hier der König», sagt sie über den prächtigen schwarzen Koloss im Innenhof. Zusammen mit den anderen Tieren teilt er sich zwei Hektaren Weideland.
Cäsar lebte einst als Kalb auf einem Bauernhof, eine Passantin streichelte ihn jeden Tag. Als sie erfuhr, dass das Kalb geschlachtet werden sollte, zahlte sie dem Bauern den Metzgereipreis von 1200 Franken und brachte ihn auf den Gnadenhof. «Die Frau meint, sie hätte das Rind gerettet», sagt Frau Spoerlé. Aber sie habe nie mehr etwas von der Frau gehört, kein einziges Mal habe sie Hand angelegt und geholfen
Vivo hat sich unters Bett verkrochen. Dort verharrt der junge Fuchs und schaut mit schüchternen Augen in den Lichtkegel der Taschenlampe. «Füchse werden seit Jahrhunderten gejagt, kein Wunder, haben sie Angst vor Menschen.»
Eine Frau habe in ihrem Estrich mehrere Jungfüchse entdeckt und den Wildhüter gerufen. Zu ihrem Entsetzen erschoss er die Füchse. Nur einer blieb unentdeckt, Vivo. Er lebt nun zusammen mit vier weiteren Füchsen in Frau Spoerlés Haus. Vivo ist nachtaktiv. Tagsüber sucht er sich im Haus eine dunkle Ecke, nachts verlässt er sein Versteck und zieht ins Aussengehege.
Joker grunzt. Die achtjährige Wildsau möchte am Bauch gestreichelt werde, doch Joker hat sich offensichtlich gerade ausgiebig im Schlamm gewälzt. Frau Spoerlé hat ihn als Frischling bekommen. Er sei wochenlang abgemagert durch ein Baselbieter Dorf geirrt. Als die Leute erfuhren, dass die kleine Wildsau abgeschossen werden sollte, fingen sie sie ein und brachten sie zum Gnadenhof.
Der Findling sei voller Ungeziefer gewesen, sie habe Stunden damit verbracht, Hunderte rote Käfer aus seinen Borsten zu klauben, erzählt Frau Spoerlé. Sie päppelte ihn auf und nannte ihn Joker – «weil er die Jokerkarte brauchte, um zu überleben».
Reportage «Frau Spoerlé und ihre Tiere»
Den vollständigen Artikel «Frau Spoerlé und ihre Tiere» lesen Sie in der Printausgabe des aktuellen Beobachters (Beobachter 23/2015).
Zusätzliche Informationen
Mehr Informationen zum Tierlignadenhof Kaisten finden Sie auf der Homepage der Stiftung.
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