Gewalt: Stinkbomben gegen Berner Pfarrer
Rund die Hälfte der evangelisch-reformierten Pfarrer Berns bezeichnet sich in einer Umfrage als Gewaltopfer. Die Studie löst in Kirchenkreisen Kopfschütteln aus.
Veröffentlicht am 10. August 2000 - 00:00 Uhr
Der Fall sorgte für Schlagzeilen. Toni Calmonte, elf Jahre lang Pfarrer in der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Thierachern BE, wurde vom Kirchenvolk regelrecht aus dem Amt gemobbt. Sein beherztes Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus war vielen Kirchgemeindemitgliedern sauer aufgestossen. «Pfarrer Toni Calmonte wurde zum Teil massiv bedroht», erinnert sich sein Kollege Ruedi Zimmermann.
Pfarrer Zimmermann ist Projektleiter einer Studie, die der evangelisch-reformierte Pfarrverein Bern-Jura aufgrund dieses Vorfalls in Auftrag gegeben hat. In einer Umfrage wurde den Seelsorgern die Gelegenheit gegeben, sich anonym über ihre Erfahrungen mit Bedrohungs- und Gewaltsituationen zu äussern. «Ich bin zwar davon ausgegangen, dass Pfarrer Opfer von Gewalt sind», sagt Ruedi Zimmermann, «das Ausmass der Situation hat mich jedoch bestürzt.»
Ist Bern nur ein Sonderfall?
Tatsächlich lässt das Resultat aufhorchen: Beinahe jeder zweite der befragten Pfarrer wurde schon einmal bedroht oder war Opfer von Gewalt. Das Spektrum reicht von anonymen Telefonanrufen über Stinkbombenanschläge bis hin zur erzwungenen Segnung mit vorgehaltener Pistole. Zwei Drittel der angefragten Pfarrpersonen nahmen an der Umfrage teil.
In den Kirchgemeinden ausserhalb des Kantons Bern stossen die Resultate jedoch auf Erstaunen. «Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Situation bei uns so gravierend ist», sagt Nicolas Mori, Leiter des kirchlichen Informationsdienstes Zürich. Auch sein Basler Kollege Gerhard Gerster kennt keine konkreten Fälle.
Ähnlich tönt es bei den römisch-katholischen Kollegen. Pater Othmar Lustenberger vom Kloster Einsiedeln sagt zwar, dass letzten Sommer briefliche Attentatsdrohungen eingegangen sind. Doch zu gravierenden Vorfällen sei es nicht gekommen. Und Domherr Christoph Casetti von der Diözese Chur betont, dass physische Gewalt an Priestern bislang nie ein Diskussionsthema gewesen sei.
«Man spricht halt nicht darüber», interpretiert Projektleiter Ruedi Zimmermann die Skepsis gegenüber den Resultaten der Berner Studie. Immerhin stellt auch er klar: «Ich gehe nicht davon aus, dass wir Pfarrer mehr leiden als andere Personen, die in der Öffentlichkeit stehen. Aber ich plädiere für ein Pfarrerbild, das nicht nur stilles Leid im Kämmerchen verströmt.» Wofür die Studie jetzt gesorgt hat.