Hooligans: Für Fussball-Rowdys gilt in Basel Nulltoleranz
In Basel tummeln sich die aggressivsten Fussballfans der Schweiz. Eine spezielle Anti-Hooligan-Einheit der Polizei macht die Randalierer im Stadion dingfest und begleitet den FC Basel zu Auswärtsspielen – mit erstaunlichem Erfolg.
Veröffentlicht am 9. Oktober 2000 - 00:00 Uhr
Freitagabend, 18.30 Uhr. Ein strahlend blauer Himmel lacht über der Schützenmatte, dem provisorischen Heimstadion des FC Basel. «Perfekte Fussballbedingungen», freut sich Seppi Wyss. Doch vom bevorstehenden Spiel wird der hünenhafte 51-Jährige nicht viel mitbekommen. Während sich die Augen der Fans nach dem Anpfiff gebannt auf den Rasen richten, dreht Wyss dem Spielgeschehen meist seinen breiten Rücken zu. Er ist zwar selber Fussballfan, aber heute ist er nicht zum Vergnügen hier. Seppi Wyss ist Chef der Einsatzgruppe gegen Hooliganismus der Basler Polizei.
Die Schaffung der Basler Sicherheitstruppe geht auf ein trauriges Ereignis im Mai 1986 zurück. Am Meistercup-Final zwischen dem FC Liverpool und Juventus Turin wurden im Brüsseler Heysel-Stadion 39 italienische Fans zu Tode getrampelt. Englische Hooligans hatten auf der Tribüne eine Massenschlägerei angezettelt und dabei eine Panik ausgelöst.
Durch die «Heysel-Katastrophe» gerieten auch die Schweizer Hooligans ins öffentliche Interesse. Die mit Abstand grösste Gruppe gewalttätiger Fussballfans tummelte sich damals wie heute im Umfeld des FC Basel. Seppi Wyss schätzt die aktuelle Zahl der Basler Hooligans auf einen harten Kern von rund 80 Leuten. Dazu kommen 200 aktive und rund 300 gewaltbereite Mitläufer. Zum Vergleich: In Zürich gibt es nach den Erkenntnissen der Stadtpolizei einen harten Kern von rund 30 Schlägern und etwa ebenso viele Mitläufer. Entsprechend setzte die Basler Kantonspolizei als erstes Schweizer Polizeikorps zwei Fahnder zur Beobachtung der Szene ein.
Heute ist die Gruppe der «szenekundigen Beamten» (SKB) unter Seppi Wyss auf fünf Mann angewachsen. Zu ihren Aufgaben gehört es, Hooligans zu beobachten, Gewalttäter vor Ort oder via Videos und Fotos zu identifizieren und dafür zu sorgen, dass Randalierer mit Stadionverbot nicht mehr auf den Platz kommen.
Ausserdem begleiten die Beamten den FC Basel zu Auswärtsspielen, um den Sicherheitsleuten bei der Identifizierung militanter Fans zu helfen. «Unsere wichtigste Arbeit besteht jedoch darin, Präsenz zu markieren», sagt Seppi Wyss und mustert aufmerksam die Leute beim Stadioneingang. «Wir sprechen aggressive Fans an und teilen ihnen mit, dass wir sie im Auge behalten. Wir nehmen Randalierern die Anonymität das wirkt Wunder.»
Tatsächlich ist es in Basel etwas ruhiger geworden. Auch an diesem Abend rechnet Seppi Wyss nicht mit grösseren Schwierigkeiten: «Der "Basler Mob" hat einen derart schlechten Ruf, dass sich die auswärtigen Fans kaum mehr hierher trauen.» Während sich vor dem Stadion immer längere Schlangen bilden, machen Wyss und sein Stellvertreter Mario Rupp die Securitas-Leute im Eingangsbereich auf einzelne junge Männer aufmerksam. «Die haben Stadionverbot, versuchen aber trotzdem immer wieder hereinzukommen», sagt Wyss. «Aber wenn sie sehen, dass ich hier stehe, geben sie sofort auf.» Seppi Wyss kennt seine Pappenheimer. Jeden einzelnen mit vollem Namen. Und er weiss auch genau, was die Jungs an welchem Spiel verbrochen haben.
Während langsam an die 7000 Fans ins Stadion strömen, grüsst Wyss unentwegt athletisch gebaute junge Männer, die verlegen, zum Teil aber auch ehrlich erfreut zurückgrüssen. Scherzhaft droht Wyss einem Jugendlichen: «Benimm dich anständig, sonst holen wir dich raus.»
Die Gewalttäter sind bekannt
Dass Seppi Wyss nicht nur Scherze macht, wird augenblicklich klar, als zwei Jugendliche gegen die Leibesvisitation protestieren. Scharf fährt Wyss dazwischen: «Passt euch was nicht? Wenn ihr Ärger macht, kriegt ihr sofort Stadionverbot!» Das wirkt.
Kurz darauf schüttelt ein etwa 18-jähriger Bursche Wyss herzlich die Hand: «Na, Seppi? Wie läufts?» Ein alter Kunde. Aber Wyss ist nicht nachtragend. «Jetzt benimmt er sich anständig. Der Bursche ist ein Mitläufer. Typen wie er werden vom harten Kern der Hooligans gern als Manövriermasse eingesetzt.» Der junge Mann wurde festgenommen, als er mit anderen Jugendlichen vor einem Auswärtsspiel im Freiburger Bahnhof randalierte. «Natürlich sind sofort alle verfügbaren Polizeibeamten zum Bahnhof dirigiert worden.» Später stellte sich heraus, dass die Randalierer im Auftrag des harten Kerns ein Ablenkungsmanöver gestartet hatten. «Während wir am Bahnhof die Mitläufer einpackten, schlüpfte der harte Kern trotz Verbot unbehelligt ins Stadion.» Hooligans benützen heute oft auch moderne Kommunikationsmittel. Wyss: «Das Handy bietet für die Schlägertruppen natürlich enorme Möglichkeiten.»
Auch wenn Seppi Wyss und seine Leute die Situation auf der Schützenmatte scheinbar fest im Griff haben das Problem hat sich in letzter Zeit wieder verschärft. «An Auswärtsspielen kommt es wieder häufiger zu Provokationen und teilweise massiven Schlägereien. Das grösste Problem ist eine neue Hooligan-Generation im Alter zwischen 13 und 20 Jahren.» Diese Jugendlichen definieren sich laut Wyss meist als politisch rechts. Viele von ihnen orientieren sich auch kleidungsmässig an den Skinheads. Für rechtsextrem hält Wyss sie dennoch nicht. «Die provozieren einfach um der Provokation willen. Eigentlich haben Hools und Skinheads das Heu überhaupt nicht auf der gleichen Bühne.» Derselben Meinung ist Adolf Brack, Hooliganismus-Beauftragter für Grossveranstaltungen in Zürich: «Wir wissen sogar von Schlägereien zwischen Hooligans und Skinheads.»
Rassisten werden angezeigt
Sorgen machen Wyss vor allem Skinheads aus der Basler Agglomeration, die sich unter die Fans mischen. «Wir können ja keinem das Stadion verbieten, nur weil er eine Glatze hat. Aber bei uns herrscht "Nulltoleranz". Sobald wir rassistische Provokationen feststellen, wird sofort Stadionverbot erteilt und wenn möglich eine Strafanzeige wegen Verstosses gegen das Antirassismusgesetz eingereicht.» Mittlerweile hat sich das Stadion gefüllt. Der FCB kämpft um Nationalligapunkte. Seppi Wyss lädt zum Rundgang durch die Publikumsränge.
Argwöhnisch beäugt er einen muskulösen, etwa 30-jährigen Mann; er ist umringt von einer ganzen Gruppe sehr junger Fussballfans. «Das ist einer von der alten Garde, die schon vor zehn Jahren aktiv war. Bis auf ein paar Ausnahmen sind jetzt alle wieder aufgetaucht. Kürzlich mussten wir ein uraltes Stadionverbot erneuern, weil ein 35-jähriger Hooligan der ersten Generation mit einer Eisenstange auf gegnerische Fans losgegangen war.» Für pubertierende Jungs, die «angeben und Dampf ablassen» wollen, kann der ehemalige Schwinger Seppi Wyss noch ein gewisses Verständnis aufbringen. Über die erwachsenen Hooligans schüttelt er jedoch resigniert den Kopf. «Was in denen vorgeht, begreife ich einfach nicht.»
Während des Rundgangs durch die Zuschauerreihen laufen immer wieder kleinere Gruppen von Jugendlichen mit Seitenblick auf Seppi Wyss auseinander oder nicken dem Polizisten grinsend zu. Man kennt sich und weiss, was man voneinander zu halten hat.
Seppi Wyss nimmt einen massigen Burschen mit kurz geschorenen blonden Haaren für ein kurzes Gespräch unter vier Augen auf die Seite. «Der gehört zu jenen Typen, die bei Tageslicht kein Wässerchen trüben und auf den Einbruch der Dunkelheit warten.» Der 20-jährige Aki zählt sich selber zum harten Kern der Basler Hooligans. Er ist von der Dauerüberwachung ganz und gar nicht begeistert. «In Basel kann man nichts mehr machen. Die Hools von den anderen Klubs trauen sich nicht mehr her und selbst wenn sie kämen, könnten wir nichts machen.» Er zeigt auf Wyss und sagt: «Der weiss, wie ich heisse, wo ich wohne und wo ich arbeite.» Einige Meter weiter drückt sich eine Gruppe kahl geschorener Jugendlicher in Bomberjacken mit nationalistischen Symbolen herum. Trotzdem versichert Aki, dass Hooliganismus nichts mit Politik zu tun hat. «Ich sehe diese Vögel hier auch nicht gern. Natürlich sind die meisten Hools politisch eher rechts. Ich auch. Aber wir sind keine Faschisten. Schliesslich hat der FCB auch Türken, Spanier, Italos, Jugos und Schwarze auf dem Platz.»
Zuschlagen aus purer Langeweile
Der 22-jährige Sandro beteuert, dass der Hooliganismus ein «unpolitischer Sport» sei. «Andere stehen auf Bungee-Jumping oder Downhill-Biken, ich hau halt gern mal zu. Unser Alltag ist doch total öd. Wenn wir uns zu Schlägereien verabreden, können wir beweisen, was in uns steckt. Im Job bist du der Dumme. Aber im Stadion sind wir die Chefs.» Allerdings nur, bis Seppi Wyss und seine Leute auftauchen. Dann werden die gefürchteten Basler Hools plötzlich zu Chorknaben. Nur singen sie nicht so schön.