Schweizer Pass nur für Beizen-Kenner
Der Einbürgerungsrat von Montlingen SG verweigert einem Kandidaten den Schweizer Pass – unter anderem, weil er nur eine von drei Dorfbeizen kennt.
Veröffentlicht am 1. März 2018 - 11:50 Uhr,
aktualisiert am 23. April 2020 - 16:06 Uhr
Der Kanton St. Gallen hat ein Machtwort gesprochen – und den Montlinger Entscheid gestürzt. Die Gemeinde muss Mergim Ahmeti willkommen heissen.
In Montlingen kämpfen sie mit ungleichen Spiessen. Auf der einen Seite steht der Einbürgerungsrat des Rheintaler Dorfs. Präsidiert von Rolf Huber. Der FDP-Kantonsrat ist in erster Linie Präsident der Gemeinde Oberriet, zu der auch die Ortsgemeinde Montlingen gehört. Insgesamt 19 Gremien präsidiert der 51-Jährige, in den achtziger Jahren hat er auf der Oberrieter Gemeindeverwaltung die «Stifti» gemacht. Besser verwurzelt kann man nicht sein.
Auf der anderen Seite steht Mergim Ahmeti, in der Schweiz geborener und aufgewachsener Kosovare, 22, gross gewachsen, sanfte Stimme, gepflegtes Deutsch. Er hat bereits seine erste Beförderung erhalten. Die Lehre absolvierte er in Montlingen, die Berufsmittelschule gab er auf, weil das Geld fehlte. Dafür macht er heute neben dem Job die Fachhochschule Diplomierter Betriebswirtschafter HF und nimmt für seine Karriere einen Arbeitsweg von zwei Autostunden auf sich. Er sagt: «Ich bin im Rheintal verwurzelt, habe mein ganzes Leben hier verbracht. Ich fühle mich durch und durch als Schweizer. Was sonst?»
Das erzkatholische Oberriet ist nicht bekannt für seine Willkommenskultur. 2015 begrüsste man zwar medienwirksam 589 neue Bürger. Doch handelte es sich bei allen um Schweizer, die lediglich ihren Bürgerort wechseln wollten. Dagegen hat Oberriet auch schon mal Gesuche von Staatsangehörigen des ehemaligen Jugoslawien ohne Begründung abgelehnt. Was gegen geltendes Gesetz verstösst.
Auch Mergim Ahmeti ist nicht willkommen. Sein Gesuch um Einbürgerung wurde abgelehnt – mit eigenwilligen Argumenten.
Montlingen ist nicht gerade «the place to be». Einige verfallene Scheunen, ein riesiges Motorradgeschäft, ein Tattoostudio. Auch piercen lassen kann man sich hier und Klangtherapie machen. Ums Pfarrhaus herum riecht es nach Weihrauch. Die drei Restaurants im Dorfkern werben zumindest mittags mässig erfolgreich um Gäste. Ausgerechnet sie brachten den 22-Jährigen offiziell zu Fall.
Der Entscheid des Montlinger Einbürgerungsrats liest sich wie der Bericht über einen Musterschüler. Kein Eintrag im Zentralstrafregister, auch nicht bei Polizei, Migrationsamt, Betreibungs- oder Steueramt. Nicht einmal eine Verkehrsbusse förderten die Nachforschungen des Einbürgerungsrats zutage. Mergim Ahmetis Zahlungsmoral ist makellos. Auch in den «Fächern» Staatsaufbau und Schweizer Geschichte konnte das Gremium kein Manko feststellen.
Im abschlägigen Bescheid steht als Begründung: «Die Integration im Dorf ist schwach vorhanden. Er bemüht sich zu wenig, sich voll und ganz im Dorf zu integrieren. Beispielsweise kennt er die Restaurants in Montlingen nicht, obwohl er dort aufgewachsen ist. Diverse Restaurants liegen im Zentrum und befinden sich auf dem Schulweg.»
«Tatsächlich kam mir gerade nur der ‹Hirschen› in den Sinn», erzählt Mergim Ahmeti. «Aber wenn ich alle Restaurants genannt hätte, hätte es vielleicht geheissen, ich hänge nur in der Beiz rum.»
«Tatsächlich kam mir gerade nur der ‹Hirschen› in den Sinn.»
Mergim Ahmeti, Einbürgerungswilliger
Gemeindepräsident Rolf Huber dürfte die Restaurants besser kennen. Er, der auch schon mal an der Oberrieter Chilbi aus dem Festzelt des Ringerklubs geworfen wurde – «auf dem Höhepunkt seiner eigenen Festlaune», wie das «St. Galler Tagblatt» damals kolportierte.
Zudem sei Ahmeti in keinem Verein dabei, hält der Einbürgerungsrat fest. Von denen gibt es fünf in Montlingen: Fussballklub, Pfadi, katholischer Frauenverein, Musikgesellschaft und Turnverein. Zwei fallen für den 22-Jährigen aus Alters- oder Geschlechtsgründen weg. Im Fussballklub war er als Jugendlicher sieben Jahre lang aktiv. «Ich musste aber aufhören. Die Arbeit und das Pendeln fressen fast meine ganze Freizeit weg», erklärt Ahmeti. Dass die Dorfmusik, die zwischen «Neujahrsblasen» und «schmissigen Melodien aus Film und vom Broadway» oszilliert, nicht zwingend jedermanns Geschmack trifft, dürften auch Rheintaler Urschweizer nachvollziehen können. Bleibt noch der Turnverein. Doch seine Fitness holt sich der junge Bodybuilder anderweitig.
Es ist nicht Ahmetis erster Anlauf, den Schweizer Pass zu erhalten. Vor einigen Jahren versuchte seine Familie, sich einbürgern zu lassen. «Den abschlägigen Bescheid begründete der Einbürgerungsrat damit, dass meine Mutter – als Einzige von uns – nur gebrochen Deutsch spricht.» Auch seine ältere, damals bereits volljährige Schwester reichte ihr Gesuch umsonst ein.
Gegen den jetzigen Entscheid hat Mergim Ahmeti Rekurs eingelegt. Dem Schreiben liegt unter anderem ein Begleitbrief seines Arbeitgebers bei, der die Ablehnung des Einbürgerungsgesuchs «mit grosser Betroffenheit» zur Kenntnis genommen hat und dem jungen Mann «hervorragende Leistungen» und beste Karrierechancen attestiert.
Präsident Rolf Huber ist kein Mann der leisen Töne, das wissen alle in der Gemeinde. Zum Fall Mergim Ahmeti will er sich trotzdem nicht äussern. Es handle sich um ein laufendes Verfahren.
Viele Ausländer, die schon länger in der Schweiz leben und die Voraussetzungen zur Einbürgerung erfüllen würden, schrecken vor dem komplizierten und langwierigen Verfahren zurück. Beobachter-Mitglieder erhalten Tipps für die Gesuchstellung, um sich nicht entmutigen zu lassen.
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