In der Schweiz fehlen gemäss Reto Hauser vom Verband Schweizerischer Polizei-Beamter 7000 Polizisten. Hauser stützt sich für seine Einschätzung auf eine Empfehlung der Uno, die für demokratische Länder eine Polizeidichte von 300 Polizisten pro 100'000 Einwohner empfiehlt. Der Gesamtbestand für die Schweiz liegt aktuell bei 17'000 Polizeibeamten. Die Kriminalprävention kommt dadurch zu kurz: «Die Polizisten fahren weniger Streife, Patrouillen zeigen weniger Präsenz in den Strassen, Quartieren und an den Bahnhöfen», sagt Urs Winzenried, ehemaliger Aargauer Kripochef und Interimsleiter der interkantonalen Polizeischule Hitzkirch.

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Der Unterbestand ist nicht das einzige Problem, mit dem Polizisten in der Schweiz zu kämpfen haben. «Tätliche Übergriffe und Drohungen gegen unsere Mitarbeitenden beschäftigen uns stark und sind nicht zu tolerieren», sagt Stefan Blättler, Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten. In der Schweiz wurden im Jahr 2013 fast 2800 Strafanzeigen wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte verzeichnet. Im Jahr 2000 waren es noch knapp 800 gewesen. Das entspricht einem Anstieg von rund 250 Prozent innert 13 Jahren.

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Quelle: Manuel Winterberger/EQ Images
Infografik: Polizeidichte / Anzahl Straftaten

Mit dem Inkrafttreten der neuen Strafprozessordnung wurden gemäss Polizeikreisen die Rechte der Beschuldigten massiv ausgebaut. So haben sie gemäss dem Prinzip des Anwalts der ersten Stunde bereits bei der ersten polizeilichen Einvernahme Anrecht auf den Beizug eines Verteidigers. Aus Sicht der Beschuldigten ein Vorteil, für die polizeiliche Ermittlungsarbeit bedeutet das neue Recht aber oft einen erheblichen organisatorischen Mehraufwand.

Besonders aufwendig wird das Verfahren, wenn mehrere Beschuldigte involviert sind. Jeder von ihnen hat das Recht, bei der Befragung der anderen in Begleitung eines Anwalts und, falls nötig, eines Dolmetschers anwesend zu sein. Bereits bei einer Gruppe von drei Beschuldigten können so Terminschwierigkeiten die polizeiliche Ermittlungsarbeit stark behindern.

Weil die Fristen mit der neuen Strafprozessordnung knapper geworden sind, stehen die Ermittler unter Zeitdruck. Spätestens nach 96 Stunden muss ein Beschuldigter dem Haftrichter vorgeführt werden. Gestützt auf die bis zu diesem Zeitpunkt ermittelten Beweise, entscheidet dieser, ob der Beschuldigte in Haft bleibt oder auf freien Fuss gesetzt wird. «Bei komplexen DNA-Analysen zur Ermittlung der Täterschaft kann das problematisch werden», sagt Urs Winzenried. Es sei schon vorgekommen, dass ein Haftrichter die Freilassung eines Beschuldigten verfügte. Zwei Tage später sei die DNA-Analyse eingetroffen, die die Schuld belegt habe. Winzenried: «Verhaften konnten wir den ausländischen Täter nicht mehr. Der war nämlich mittlerweile über alle Berge.»

«Bei einem Unterbestand von 7000 Polizeibeamten kann man sich ausrechnen, was das kostet», Daniel Jositsch, SP-Nationalrat

Quelle: Manuel Winterberger/EQ Images
Interview mit Daniel Jositsch

Die Politik verhält sich in Sachen Sicherheit paradox, sagt der Winterthurer Strafrechtsprofessor und SP-Nationalrat Daniel Jositsch.

Beobachter: Polizisten sagen, Staatsanwälte und Richter seien ihnen gegenüber grundsätzlich misstrauisch.
Daniel Jositsch: Das sehe ich nicht so. Ich glaube, es gibt durchaus ein grosses Verständnis für die Arbeit der Polizei. Aber ein Gericht muss auch in Fällen, wo Polizisten beschuldigt werden, objektiv der Sache nachgehen. In der öffentlichen Wahrnehmung stehen die Gerichte ja eher unter dem Verdacht einer zu grossen Nähe zur Polizei. Deshalb besteht möglicherweise eine Tendenz, zu zeigen, dass sie objektiv sind.

Beobachter: Hat das Wort eines Polizisten vor Gericht eventuell sogar mehr Gewicht?
Jositsch: Nein. Aber es ist natürlich so, dass sich bei jedem Bürger, sei er Polizist oder nicht, die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Persönlichkeit stellt – und die Polizeibeamten haben natürlich, wie andere aber auch, eine hohe Glaubwürdigkeit.

Beobachter: Praktisch alle kantonalen Polizeikorps müssen mit einem Unterbestand klarkommen. Warum gibt ihnen die Politik nicht mehr Mittel?
Jositsch: Es ist paradox: Zum einen fordert man mehr Sicherheit, zum anderen ist man nicht bereit, Geld zu sprechen dafür. Die SP fordert immer, dass man den Sollbestand erfüllt. Im Kanton Zürich hat SP-Regierungsrat Mario Fehr das erreicht. Wenn der politische Wille da ist, kann man das machen. Aber es ist natürlich eine Kostenfrage. Bei einem Unterbestand von 7000 Beamten kann man sich ausrechnen, wie viel das kostet.

Beobachter: Hat der Unterbestand Folgen für die Sicherheit?
Jositsch: Der Einfluss ist sicher da. Präsenz der Polizei gibt Sicherheit. Wenn die Polizei nicht die nötigen Mittel und das nötige Personal hat, um Präsenz zeigen zu können in der Gesellschaft und vor allem an den Brennpunkten, dann wird es schwierig. Sicherheit ist eine Dienstleistung am Bürger. Heute ist es in den Ballungszentren aber so, dass die Polizei nur noch in dringenden Fällen sofort kommt, etwa bei häuslicher Gewalt oder schwerer Gewalt. Für die Bürgerin oder den Bürger ist es natürlich unangenehm, wenn sie nach einem Einbruch etwa in der Freitagnacht anrufen und sich die Polizei nicht blicken lässt, weil der Fall als nicht dringlich eingeschätzt wird.

Beobachter: Werden die föderalistischen Polizeistrukturen dem aktuellen Kriminalitätsgeschehen noch gerecht?
Jositsch: Ich glaube, es gilt das Prinzip, das immer gilt: Was vor Ort gelöst werden kann, wird am besten vor Ort gelöst. Aber auch für schweizweite Probleme verfügen wir über die nötigen Strukturen.

Beobachter: Aktuell ist vor allem die terroristische Bedrohung. Dieses Problem macht vor den Grenzen nicht halt.
Jositsch: Das ist sicher ein Bereich, wo man aufrüsten muss. Aber der Gesetzgebungsprozess ist hier zum Beispiel mit dem Nachrichtengesetz, das im März ins Parlament kommt, und dem Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fermeldeverkehrs in Bewegung. Man muss hier schrittweise vorangehen. Aber das sind natürlich immer auch politische Prozesse, weil es immer darum geht, den Kompromiss zu finden zwischen Bürgerrechten und den Interessen der Strafverfolgungsbehörden.

Beobachter: Ist man mit der Revision der Strafprozessordnung beim Ausbau der Rechte der Beschuldigten zu weit gegangen, weil die Effizienz der Ermittlungsarbeit leidet?
Jositsch: Nein, denn hier hören Sie von der anderen Seite das Gegenteil. Die Verteidigungsrechte wurden in Wirklichkeit sehr stark eingeschränkt. Das ganze Untersuchungsverfahren, wo die Beweise erhoben werden, liegt in der Hand der Staatsanwaltschaften. Vor Gericht, wo der Verteidiger sein Plädoyer hält, ist das Verfahren im Prinzip schon abgeschlossen, weil im Gerichtsverfahren häufig keine Beweise mehr erhoben werden. Doch die Frage stellt sich schon: Ist das Verfahren gut, wie es jetzt läuft? Die beiden Rechtskommissionen haben beschlossen, dass man jetzt einfach einmal Erfahrungen sammelt, nach ein paar Jahren evaluiert und dann eine Gesamtrevision macht.

Beobachter: Wird genug gegen die starke Zunahme von Gewalt und Drohung gegen Beamte unternommen?
Jositsch: Im Parlament gab es mehrere Vorstösse, die härtere Strafen forderten. Sie wurden abgelehnt. Die Frage ist nämlich: Bringt die Verschärfung etwas? Ich glaube eher nicht. Das Problem ist eher, dass die Gerichte meist im unteren Bereich des Strafrahmens bleiben. Nach meiner Einschätzung ist diese Weigerung, den Strafrahmen auszuschöpfen, eine Missachtung des gesetzgeberischen Willens.