Marianne Goetz liebt Pferde über alles. Am 9. März letzten Jahres reitet sie mit Kolleginnen aus. Plötzlich bekommt sie stechende Kopfschmerzen und ihr wird schwindlig. Bei den Stallungen legt sich die 47-jährige Sekretärin auf eine Bank. Als es ihr nach zwei Stunden immer noch nicht besser geht, wird sie von den Kolleginnen zum Arzt gebracht. Dieser bestellt umgehend die Ambulanz.

Marianne Goetz wird als Notfall ins Berner Inselspital eingeliefert. Die Diagnose: Hirnblutung. Beim Reiten ist ein Blutgefäss in ihrem Kopf geplatzt. Vor dem Röntgen wird ihr der Schmuck abgenommen: acht Diamantohrstecker und ein Goldcollier mit Diamantanhänger – ihre Verlobungskette. Der Gesamtwert der Schmuckstücke: 8500 Franken. Am nächsten Tag wird sie operiert.

In den folgenden Tagen erholt sich Marianne Goetz im Spital langsam vom schweren Eingriff. Plötzlich merkt sie, dass ihr Schmuck fehlt. Das rote Effektensäckchen, in welches das Pflegepersonal die Wertgegenstände vor dem Röntgen hineingelegt hat, ist verschwunden. Trotz mehrmaligem Nachfragen bei Schwestern und Pflegern taucht das Säckchen nicht mehr auf – es wurde wohl gestohlen. Marianne Goetz muss vom Krankenbett aus eine Schadensmeldung aufsetzen.

Diebstähle kommen in Spitälern des Öfteren vor, im Inselspital laut Fürsprecherin Andrea Eicher «mehrere Male pro Monat». Umso erstaunlicher ist die Reaktion des Inselspitals auf die Schadensmeldung: «Wir müssen leider von einem Diebstahl ausgehen, für den wir nicht versichert sind und der von uns nicht übernommen werden kann.» Marianne Goetz solle den Verlust bei ihrer privaten Versicherung melden.

«Es geht mir nicht nur ums Geld»
Dieses Vorgehen stösst bei der Schweizerischen Patientenorganisation auf Unverständnis: «Wenn ein Patient als Notfall eingeliefert wird, kann er nicht für seine Wertgegenstände verantwortlich gemacht werden. Die sichere Aufbewahrung ist Sache des Spitals», sagt Geschäftsführerin Pia Ernst. Die Haftung bei Diebstahl selbstverständlich auch. Ähnlich klingts bei den Universitätsspitälern Basel und Zürich. Bei beiden kommen bei Diebstählen in Notfallstationen die eigenen Versicherungen auf. «In einer Notfallsituation kann ein Patient nicht auch noch auf seine Wertsachen aufpassen, er hat dann andere Sorgen», sagt Andreas Bitterlin, Informationschef des Basler Universitätsspitals.

Von ihrer Haftpflichtversicherung wird Marianne Goetz mit 3000 Franken entschädigt, höher ist sie nicht versichert. Sie fordert den Restbetrag von 5500 Franken beim Inselspital ein. «Es geht mir nicht nur ums Geld. Der Verlust meiner Verlobungskette ist viel schlimmer.» Das Verhalten des Spitals sei inakzeptabel. Wieder weigert sich das Inselspital, auf ihre Forderung einzutreten. «Wir haften nicht für die persönlichen Effekten der Patienten», sagt Fürsprecherin Andrea Eicher. Die Summe von 8500 Franken sei zu hoch, das könne das Inselspital nicht übernehmen.

Dass es auch anders geht, zeigt ein Fall in der Ostschweiz. Ein 60-jähriger Fabrikarbeiter wird mit einer schweren Beinverletzung als Notfall eingeliefert. Uhr, Ehering und Halsketten im Wert von etwa 4500 Franken werden ihm vom Personal abgenommen. Nach der Operation ist der Schmuck weg – unauffindbar. Er gibt eine Verlustanzeige auf und erstattet Meldung bei der Polizei. Nach sechs Monaten Wartezeit bezahlt ihm die Versicherung des Spitals anstandslos das Geld.

Marianne Goetz wartet noch heute, gut anderthalb Jahre nach ihrer Notfalleinweisung, auf die Rückerstattung.

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