Ex-Bobpilot muss einstecken
Polizisten verwechseln Fritz Lüdi mit einem Unfallverursacher, legen ihn in Fesseln und wenden Gewalt an. Jetzt droht dem WM-Medaillengewinner sogar ein Strafverfahren.
Veröffentlicht am 20. April 2007 - 12:12 Uhr
Hotel Anker in Islikon TG, 14. September 2006, kurz nach 22 Uhr. Ob er Karl Scherrer (Name geändert) sei, wollen zwei Beamte der Thurgauer Kantonspolizei vom 71-jährigen Fritz Lüdi wissen. «Da ich nicht Scherrer bin, zuckte ich mit den Achseln», erzählt der Unternehmer und frühere Spitzen-Bobfahrer, «die Sache ging mich ja nichts an.» Die Polizei, für einmal nicht Freund und Helfer, sieht das derweil ganz anders - Lüdi erlebt eine Nacht, die er nicht mehr vergessen wird.
Doch der Reihe nach: An jenem Tag hat Lüdi bei sich zu Hause ein Betriebsfest veranstaltet. Um 22 Uhr gehts nach Frauenfeld, wo für die rund zehn Angestellten Hotelzimmer reserviert sind. Damit niemand alkoholisiert Auto fährt, hat Lüdi einen Transport per Kleinbus organisiert. Karl Scherrer und ein Arbeitskollege fahren dennoch im eigenen Auto. Unterwegs touchieren sie eine Bauabschrankung und verursachen einen geringfügigen Schaden.
Weil Lüdi annimmt, Scherrer habe auf dem Weg nach Frauenfeld im Restaurant Anker in Islikon haltgemacht, fährt er dorthin und trifft seine Angestellten tatsächlich an. Er heisst die beiden, zusammen mit weiteren Kollegen im Kleinbus nach Frauenfeld zu fahren. Weil nicht für alle Platz ist, bleibt Lüdi selbst im Restaurant. Kurz darauf treffen die Polizisten im «Anker» ein und fordern Lüdi auf, im Polizeiauto einen Alkoholtest zu machen. Erst danach kommen sie auf die Idee, die Identität des Mannes zu überprüfen.
«Es ist dumm gelaufen»
Lüdi reicht ihnen seine Jacke mit den Ausweisen. Da endlich merken die Polizisten, dass sie den Falschen vor sich haben. Lüdi sagt: «Nachdem sie meinen Ausweis kontrolliert hatten, wollte ich meine Jacke zurückhaben, weil mir kalt war.» Was sich dann abspielt, schildern die Beamten in einem Bericht zweieinhalb Monate später so: «Er wurde absolut aggressiv und zeigte sich gewaltbereit.» Und: «Nachher zerrten wir ihn aus dem Auto und legten ihn bäuchlings auf den Boden.»
Obwohl klar ist, dass Lüdi nicht Scherrer ist, drangsalieren ihn die Polizisten weiter. Lüdi werden - was Zeugen bestätigen können - Haare ausgerissen, sein Kopf wird dreimal auf den Boden geschlagen. Inzwischen liegt er bereits eine halbe Stunde gefesselt auf dem Bauch. Ein Ellbogen schmerzt ihn nachher noch sechs Wochen lang, er hat starke Kopfschmerzen und massive Konzentrationsstörungen, wie ein Arzt später feststellt. «Als ich die Polizisten bat, die Handfesseln zu lockern, zogen sie diese noch stärker an», sagt Lüdi. Die inzwischen im «Anker» eingetroffenen Mitarbeiter sind Zuschauer dieser und weiterer Demütigungen.
Doch es soll noch schlimmer kommen: «Zwecks Abklärungen, in welchem Zusammenhang Lüdi Fritz mit dieser Sache stand, begaben wir uns zum Polizeikommando Frauenfeld zur sachdienlichen Befragung», rapportiert ein Polizist. Obwohl Lüdi, der nach wie vor und insgesamt zwei Stunden lang Handfesseln trägt, keine Straftat vorgeworfen wird, befragen ihn die Polizisten bis vier Uhr morgens. «Die dreieinhalbstündige Einvernahme wurde zur Einschüchterung Lüdis missbraucht, um sich einer Verfolgung der eigenen Übergriffe zu entziehen», moniert sein Anwalt Bruno Pellegrini. Im Lauf der Befragung wird Lüdi klar, worauf die Polizisten hinauswollen: Sie werfen ihm vor, Scherrer zu decken und zu begünstigen. Ein Delikt, das sie von Amts wegen verfolgen müssten, doch die Polizisten unterlassen dies. Morgens um vier Uhr kann der Unternehmer schliesslich gehen. «Es ist dumm gelaufen», sagte einer der Polizisten zu Lüdi.
Eine Retourkutsche?
«Das Verhalten der beiden Polizisten war absolut unverhältnismässig», ärgert sich der Unternehmer auch heute noch. Dennoch hätte er sich mit einer Entschuldigung und einer Disziplinaruntersuchung zufriedengegeben. Doch der Polizeikommandant wäre nur bereit, eine solche durchzuführen, wenn Lüdi auf eine Strafanzeige verzichten würde. Der aber hat jetzt endgültig genug: Mitte Dezember reicht er eine Strafanzeige wegen Körperverletzung ein. Die Reaktion der beiden Polizisten lässt nicht lange auf sich warten: Sie zeigen Lüdi wegen Irreführung der Rechtspflege und Begünstigung an. «Diese Anzeige war ganz klar als Retourkutsche gedacht», kritisiert Bruno Pellegrini.
Die Mühlen der Justiz beginnen zu mahlen, allerdings erst sechs Monate später und erst nachdem sich Lüdis Anwalt eingeschaltet hat. Der Diessenhofener Untersuchungsrichter Peter Rütimann erklärt sich endlich bereit, die Beteiligten vorzuladen. Weil es ein laufendes Verfahren ist, will Rütimann nichts zum Fall sagen und gibt lediglich eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit preis: «Ich werde das Verfahren in voller Unabhängigkeit und ohne Bevorzugung einer Partei führen.»
Ob die Voruntersuchung wirklich unabhängig war, bezweifelt Anwalt Pellegrini. Er wirft den Untersuchungsbehörden zudem vor, die Angelegenheit verschleppt und nichts getan zu haben, um Absprachen unter den Polizisten zu verhindern. Weil er die Thurgauer Untersuchungsbehörden in dieser Sache als befangen erachtet, hat er beim zuständigen Regierungsrat eine Aufsichtsbeschwerde eingereicht.