«Wie im falschen Film»
Die Geschichte eines Schweizers afrikanischer Herkunft: Mess Barry wird verprügelt und will Anzeige erstatten. Doch die Kapo Bern dreht den Spiess um – und zeigt ihn an.
Veröffentlicht am 14. April 2009 - 15:06 Uhr
Er holt sein Portemonnaie, noch bevor er den Kaffee auf den Wohnzimmertisch gestellt und das Gespräch begonnen hat. «Hier, mein SP-Mitgliederausweis. Hier, das Foto meiner Frau, sie ist Schweizerin, 1999 heirateten wir. Hier, das Foto meiner Tochter, 2000 kam sie zur Welt, sie lebt bei meiner Frau. Hier, mein Pass, seit 2004 bin ich Schweizer.» Er legt die Karten und Fotos auf den Tisch wie ein Spieler ein Superblatt. Sein Deutsch ist fast perfekt. 1998 kam er aus Guinea, Westafrika, in die Schweiz und beantragte Asyl. «Ich bin nicht vorbestraft, seit 1999 arbeite ich», erklärt er. Mess Barry, 27, freundlich, elegant – und seit dem 18. Mai 2008 ständig darum besorgt zu beweisen, dass seine Hautfarbe ihn nicht automatisch zum Kriminellen macht.
18. Mai 2008: Frühmorgens in Bern, Barry ist unterwegs zu seiner Wohnung. Junge Männer mit Baseballschlägern umzingeln und verprügeln ihn. So erzählt er es später in dieser Nacht den Sanitätern, die ihn ins Tiefenauspital bringen, den Ärzten, die seine Kopfwunde nähen, und auch den Polizisten, die gerufen werden und ihn zur Wache begleiten.
Meistens enden solche Geschichten hier. Aber Mess Barrys Geschichte beginnt erst. 18. Mai 2008, 8.11 Uhr, Wache der Kantonspolizei Bern: Statt seine Anzeige gegen die unbekannten Männer aufzunehmen, führen die Polizisten einen Drogenschnelltest durch, einen sogenannten Mahsan-Test. Rassistische Bemerkungen seien gefallen. Wie im falschen Film habe er sich gefühlt, sagt Barry. «Ich habe Hilfe gesucht, aber plötzlich war ich der Kriminelle.» Der Drogentest fällt positiv aus; die Polizei behauptet, Spuren von Kokain in Barrys Urin gefunden zu haben. Das Resultat wird Barry nicht mitgeteilt, er soll lediglich ein Dokument unterschreiben, weigert sich jedoch. Immer wieder betont er, dass er noch nie Drogen konsumiert hat. Die Polizisten entlassen ihn, und einige Tage später zeigen sie ihn wegen Drogenkonsums an. Barry selbst hat seine Anzeige gegen die unbekannten Schläger bis heute nicht eingereicht: «Ich habe das Vertrauen in die Polizei verloren.»
Das ist Barrys Version der Geschichte. Zu sagen ist: Sicher, Drogenkonsum ist ein Offizialdelikt, die Polizei muss beim kleinsten Verdacht handeln. Aber was rechtfertigt den Drogenschnelltest bei einem, der soeben zusammengeschlagen und im Spital behandelt wurde? «Der Mahsan-Test wurde vom zuständigen Untersuchungsrichteramt verfügt», schreibt die Polizei. Kein Wort darüber, dass der Untersuchungsrichter einen Test nur verfügt, wenn die Polizei ihn beantragt. Warum wird die Urinprobe nicht ins gerichtsmedizinische Labor geschickt, um dort eine Bestätigungsanalyse vorzunehmen – eigentlich das übliche Prozedere, wenn der Getestete das Resultat nicht akzeptiert? «Aus den Unterlagen ist nicht ersichtlich, dass Mess Barry das Testergebnis bestritten hat», schreibt die Kantonspolizei Bern. Und weiter: «Die Schilderungen unserer Mitarbeitenden weichen wesentlich von der Darstellung von Mess Barry ab.»
Am folgenden Tag macht Barry, um sich abzusichern, einen Drogentest beim Hausarzt. Kokain ist mehrere Tage im Urin nachweisbar. Dieser zweite Test fällt negativ aus. Einige Wochen später wird die Anzeige fallen gelassen. Doch Barry ahnt nicht, was noch folgen wird.
27. September 2008: Nachmittags, Barry gerät in eine Kontrolle der Kantonspolizei, wird ohne Grund zu Boden gedrückt, in Handschellen gelegt. Wieder rassistische Bemerkungen, etwa: «Schwarze können doch gar keine Schweizer sein.» Und Schläge, Tritte. «Ich hätte nie gedacht, dass so etwas in der Schweiz möglich ist», sagt Barry. Mit dem Bus wird er zur Wache gebracht. Dort wird er wegen seines SP-Mitgliederausweises verhöhnt. Ausländer, Schwarzer zu sein und dann noch bei diesen Linken mitzumachen. Wieder machen die Polizisten einen Mahsan-Test, der positiv ausfällt. Wieder drohen sie mit einer Anzeige, schubsen ihn aus dem Büro: «Hau ab!» Wieder macht er einen zusätzlichen Test, diesmal nur eine Stunde nach dem ersten. Wieder ist er negativ. Barry erhält eine Anzeige wegen Drogenmissbrauchs und Bedrohung von Beamten. Er selbst zeigt zwei Polizisten an. So erzählt es Mess Barry. Die Polizei darf und will sich nicht äussern, da das Verfahren noch läuft.
Zweimal derselbe Alptraum. Zweimal in Folge fällt der Test der Polizei positiv, jener des Arztes negativ aus. Im ersten Fall muss die Polizei zurückkrebsen, die Anzeige zurückziehen, im zweiten ist noch alles offen. Wie kann so etwas passieren? Wenn es Zufall ist, dann ein fast unmöglicher. Zumal die Mahsan-Tests als sehr sicher gelten. «Sie haben eine minimale Fehlerquote», sagt Peter Iten, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich.
Mess Barry, der Mann unter Generalverdacht, steckt Ausweise, Fotos, Pass – sein Superblatt – wieder zurück ins Portemonnaie. Er setzt sich zurück aufs Sofa, streicht die Falten seiner Hose glatt. Hört nicht auf damit.
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