Resozialisierung: Mit Härte gegen Gewalt
Veröffentlicht am 22. Juli 2003 - 00:00 Uhr
Stefans Situation ist aussichtslos: Vier Männer haben ihn in die Ecke gedrängt. Sie beschimpfen ihn, werden handgreiflich. Sein T-Shirt klebt schweissnass am Körper. Er wagt keine Bewegung, gibt keinen Laut von sich.
Das Ganze ist ein Rollenspiel im Rahmen des Anti-Agressivitäts-Trainings (AAT). Es geht Stefan derart unter die Haut, dass er alle eingeübten Vorsichtsmassnahmen vergisst.
Das Aufnahmeheim Basel, eine Kriseninterventionsstelle für Jugendliche, ist die einzige Institution in der Schweiz, die das AAT anbietet. Diese Form des sozialen Trainings wurde in den achtziger Jahren in Deutschland entwickelt und gilt unter Experten als wegweisende Therapie für gewalttätige Jugendliche.
Die Kritik der vier Sozialpädagogen, Stefans «Gegner» im Rollenspiel, ist hart. «Hast du deinen Opfern jemals Geld überwiesen? Natürlich nicht, daran denkst du schon gar nicht!», wird Stefan angeherrscht. Er konnte bis vor kurzem vor allem eins: zuschlagen. Darauf baute er sein Selbstwertgefühl auf. Desgleichen seine sechs Kollegen, die mit ihm seit 22 Wochen im AAT stecken. Hier müssen sie sich ihren Taten stellen, Bilder ihrer Opfer betrachten, Briefe an sie schreiben und Mechanismen zur Verhinderung von Gewalt einüben. «Sie müssen einsehen, wie mies sie gehandelt haben», sagt der Diplompsychologe Hans-Peter Schmoll-Flockerzie, der das Training leitet. Die Erfolgsquote kann sich sehen lassen: Sie liegt zwischen 70 und 80 Prozent.
Der grösste Teil der Resozialisierungsarbeit wird jedoch in Erziehungsheimen geleistet. Rund 1600 Jugendliche leben zurzeit in Schweizer Heimen. Für Christian Crottogini, Leiter des Platanenhofs im sankt-gallischen Oberuzwil, ist es wichtig, dass die Jugendlichen die Hausregeln einhalten. Wer den Betrieb in den Werkgruppen stört, muss einfachere Arbeiten verrichten – etwa den Vorplatz wischen. Will er zurück in die Werkgruppe, muss er einen schriftlichen Antrag stellen. Auch für den Übertritt von der Werkgruppe in die Schule ist ein Gesuch nötig.
Auseinandersetzungen zwischen Sozialpädagogen und Insassen gehören zum Alltag. «Auf ihrem Weg zur eigenen Identität wollen die Jugendlichen den Widerstand der Erzieher spüren. Wir bieten ihnen bewusst diese Reibungsfläche», sagt Crottogini. «Die Jungs müssen aber spüren, dass wir sie gern haben, auch wenn sie sich falsch verhalten.»
Dank Heimerziehung kriegt ein grosser Teil der Jugendlichen die Kurve. Doch nicht alle finden einen Heimplatz: Sehr gefährliche Täter werden nicht aufgenommen. Die Dietiker Jugendanwältin Barbara Schellenberg weiss von einem Jungen, der Raubüberfälle beging. «Kein Heim nahm ihn auf. Jetzt ist er erwachsen und begeht wieder Raubüberfälle.»