Rolf Schatzmann: «Bundesräte sind nicht ungeschützt»
Der «Schutzpatron» der Bundesräte heisst Rolf Schatzmann. Wer glaubt, unsere Magistraten bewegten sich frei, «der kann sich täuschen», sagt der Chef des Bundes-Sicherheitsdienstes.
Beobachter: Herr Schatzmann, was jagt Ihnen Schrecken ein?
Rolf Schatzmann: Keine leichte Frage. Ich bin kein schreckhafter Mensch und lasse mich auch nicht so schnell aus der Ruhe bringen.
Beobachter: Auch nicht, wenn Bundesräte allein im öffentlichen Bus zur Arbeit fahren?
Schatzmann: Nein. Die Tatsache, dass man keine Schutzperson sieht, heisst noch lange nicht, dass niemand dabei ist.
Beobachter: Bundesräte laufen in Bern scheinbar ungeschützt umher. Täuscht das?
Schatzmann: Ja, es kann täuschen. Wir beurteilen die Lage für jeden Bundesrat ständig neu und entwerfen ein massgeschneidertes Schutzkonzept. Mehr sage ich dazu nicht.
Beobachter: Warum so diskret?
Schatzmann: Allein die Tatsache, dass man unser Konzept nicht kennt, ist ein guter Schutz. Würden wir darüber Auskunft geben, müssten wir es sofort wieder ändern.
Beobachter: Und die Bundesräte selber – wissen sie in jeder Situation, ob sie allein unterwegs sind oder geschützt werden?
Schatzmann: Selbstverständlich. Generell muss ich aber sagen, dass wir in der Schweiz im Vergleich zum Ausland in einer guten Situation sind.
Beobachter: Nämlich?
Schatzmann: Zwei Effekte federn die Bedrohung unserer Regierungsmitglieder massiv ab. Erstens erlaubt die direkte Demokratie den Bürgerinnen und Bürgern immer wieder, ihre Meinung an prominenter Stelle kundzutun. Zweitens ist der Bundesrat eine Kollegialbehörde. Damit sind Entscheide weniger personenabhängig als in Regierungen mit anderen Systemen.
Beobachter: Dennoch staunen viele Leute im Ausland, wie frei sich unsere Bundesräte und andere exponierte Personen bewegen können. Wird Ihre Arbeit damit einfacher?
Schatzmann: Überhaupt nicht. Das merke ich immer wieder, wenn ich mit ausländischen Kollegen spreche. Die können aus ihrem Katalog mit Schutzkonzepten für jede Person eines auswählen, eine permanente Schutzequipe zuteilen, und damit ist ihre Arbeit getan. Wir aber versuchen, die Bedrohungskurve täglich abzutasten und den Schutz anzupassen. Diese Arbeit ist viel schwieriger.
Beobachter: Wie viele Personen stehen Ihnen für Analyse und Schutz zur Verfügung?
Schatzmann: Da sind wir sehr flexibel. Für die Lagebeurteilung sind es im Normalfall zwei oder drei Leute, in speziellen Situationen können es aber 20 bis 30 sein. Für den Personenschutz ziehen wir bei den Polizeikorps der Kantone und Städte so viele Leute bei, wie wir brauchen. In der Schweiz gibt es knapp 900 Polizeibeamte, die im Personenschutz ausgebildet sind.
Beobachter: Und wie viele Personen werden von den Spezialisten geschützt?
Schatzmann: Dazu sage ich nichts. Zuständig sind wir für eine Reihe von Personengruppen: für eidgenössische Parlamentarier, für Bundesräte und die Bundeskanzlerin, für Bundesrichter und Versicherungsrichter. Hinzu kommen Beamte, die aufgrund ihrer Arbeit bedroht sind. Weiter schützen wir die in der Schweiz akkreditierten ausländischen Diplomaten sowie ausländische Besucher auf Minister- oder Regierungsstufe.<
Beobachter: Ex-Bundesanwältin Carla Del Ponte hat noch Jahre nach ihren Ermittlungen gegen die Mafia ständigen Personenschutz. Ein Einzelfall?
Schatzmann: Mit so hohen Schutzmassnahmen über längere Zeit war sie bisher ein Einzelfall. Es gab allerdings Personen, die temporär mindestens ebenso gut geschützt wurden. Die ständige Begleitung ist ohnehin nur die extremste Form des Personenschutzes. Oft reichen bereits flankierende Massnahmen, zum Beispiel der Verzicht auf einen Eintrag im Telefonbuch.
Beobachter: Was war die brenzligste Situation?
Schatzmann: Da gibt es mehrere. Jede Bombendrohung ist brenzlig und eine neue Herausforderung. Generell heikel sind für uns Grosskonferenzen mit breiter internationaler Beteiligung – etwa die Konferenz der Welthandelsorganisation in Genf.
Beobachter: Warum?
Schatzmann: Weil viele Teilnehmer ihre bewaffneten Bodyguards mitbringen, die sich gegenseitig nicht kennen. Wenn in einer solchen Situation jemand eine Waffe zieht, kann durchaus einmal etwas Gravierendes passieren. Ich erinnere mich gut an das Treffen zwischen US-Präsident Clinton und dem syrischen Staatschef Assad 1994 in Genf. Als Clinton die Hotelhalle betrat, war es totenstill – man hätte eine Nadel fallen hören. Dabei waren sicher 400 Personen anwesend, darunter 80 bis 90 bewaffnete Bodyguards. Hätte jemand in einen Ballon gestochen – ich wage nicht daran zu denken.
Beobachter: Letztes Jahr erzürnte die Schweiz den chinesischen Präsidenten, weil Tibeter während des Staatsbesuchs auf den Dächern am Bundesplatz demonstrierten. Haben Sie Blut geschwitzt?
Schatzmann: Blut geschwitzt? Nein. Denn der chinesische Präsident war in dieser Situation nicht an Leib und Leben gefährdet. Nirgends auf der Welt sind Tibeter bisher bei solchen Aktionen gewalttätig geworden. Aber die Würde des Gastes wurde massiv verletzt.
Beobachter: Haben Sie dennoch einen Rüffel eingefangen, weil die Demonstranten so weit vordringen konnten?
Schatzmann: Bei diesem Anlass gab es Pannen und unglückliche Entscheide auf verschiedenen Ebenen – auch bei uns. Jeder bekam dafür ein Stück des Rüffels ab und zog daraus die Lehren.<
Beobachter: Welche Lehren haben Sie gezogen?
Schatzmann: Unser Dispositiv für Staatsbesuche wurde angepasst. So richten wir unser Augenmerk seit dem Vorfall verstärkt auf die Dächer rund um den Bundesplatz.
Beobachter: In diesem Fall wurde eine Schwachstelle sichtbar. Wo hat der Bund punkto Sicherheit seine Achillesferse?
Schatzmann: Wenn ich das als Sicherheitschef öffentlich kundtun würde, hätte ich meine Aufgabe schlecht erfüllt.
Beobachter: Der Berner Liedermacher Mani Matter besang vor gut 30 Jahren einen Mann, der sich nachts am Bundeshaus mit Dynamit zu schaffen macht. Fiktion oder Realität?
Schatzmann: Gott sei Dank ist es heute etwas schwieriger als in diesem Lied beschrieben. Für mich ist aber klar, dass das Parlamentsgebäude in einem demokratischen Staat nicht hermetisch abgeriegelt werden kann. Ein Zaun in weitem Abstand vom Bundeshaus, den nur noch Personen mit einem Ausweis passieren können, ist heute undenkbar. Das hätte mit Demokratie nichts mehr zu tun.
Beobachter: Mit all den Politikern, Beamten, Journalisten, Lobbyisten und Zuschauern gleicht das Bundeshaus einem Bienenhaus. Wie halten Sie Personen mit bösen Absichten fern?
Schatzmann: Es gibt eine Zutrittskontrolle, die wir mit einigermassen vernünftigem Aufwand zu betreiben versuchen. Das Prozedere am Eingang hat zwei Seiten: Aus Sicherheitsgründen müssen wir den Zugang restriktiv kontrollieren. Anderseits muss der Empfang «kundenfreundlich» sein, damit wir die Schwellenangst der Bürger vor den Institutionen nicht vergrössern.
Beobachter: Wer aber entschlossen reinläuft und freundlich grüsst, wird
Schatzmann:kaum behelligt. Täuschen Sie sich nicht. Die Leute am Empfang haben ein gutes Gedächtnis. Vielleicht muss eine neue Person am Anfang zwei-, dreimal den Ausweis zeigen. Dann kennt man sie. Es kommt aber immer wieder vor, dass Leute herausgefischt werden, die zügig reinmarschieren und sich nicht ausweisen wollen.
Beobachter: Keine Skandale, wenig Hektik. In der Schweizer Politik gehen die Wellen derzeit nicht so hoch. Ruhige Zeiten also für Sie?
Schatzmann: Ja und nein. Der Parlamentsbetrieb läuft zurzeit relativ ruhig. Allerdings stehen am 6. Dezember wieder Bundesratswahlen an; das ist jeweils ein besonderer Tag. Man darf aber unser tägliches Geschäft nicht unterschätzen. Ich bin seit 12 Jahren auf diesem Posten, und in dieser Zeit haben wir bei den Sicherheitsmassnahmen mindestens zwei Zacken zulegen müssen.
Beobachter: Weshalb?
Schatzmann: In der Gesellschaft ist eine zunehmende Aggressivität festzustellen. Das wirkt sich auch bei uns aus. Deshalb haben wir mehr und besser ausgebildete Leute als früher.
Beobachter: Wie beurteilen Sie generell die Sicherheitslage im Land?
Schatzmann: «Ernst nehmen, aber nicht dramatisieren», lautet mein Motto. Die Polizeikorps müssen sehr darauf achten, dass sie am Ball bleiben. Es darf nicht sein, dass man bei einem Einbruch in der Nacht fast eine halbe Stunde auf die Polizei warten muss. Ein Teil der Bevölkerung überschätzt die Bedrohung aber massiv. Man muss wirklich nicht an jeder Strassenecke Angst haben.