Schneekanonen: Ökologie ist Schnee von gestern
Trotz Finanzproblemen investieren Skiorte kräftig in Beschneiungsanlagen. Ökologische Bedenken sind definitiv passé, Schneekanonen sind schick und machen sich gut im Werbeprospekt.
Veröffentlicht am 2. November 2000 - 00:00 Uhr
Schneekanonen brauche man in «seinem Skigebiet» eigentlich nicht, sagt Martin Kreiliger, Vizedirektor der Bergbahnen Disentis. Die Piste beginnt erst ab 1800 Meter über Meer. In den letzten dreissig Jahren mussten die Bahnen des Bündner Skisportorts den Betrieb gerade mal eine Woche wegen Schneemangels einstellen. Schneekanonen sind hier also grundsätzlich überflüssig.
Aber eben nur grundsätzlich. «Aus Marketinggründen kommen wir früher oder später nicht darum herum», glaubt Martin Kreiliger. «So wie zu einem Fünfsternehotel ein Pool gehört, wird ein Skiort, der etwas auf sich hält, Schneekanonen haben müssen.»
Deshalb haben die Bahnen im benachbarten Sedrun diesen Sommer für 2,5 Millionen Franken Schneekanonen installiert. 12,5 Hektaren wollen die Sedruner künftig mit dem Weiss aus der Maschine berieseln. «Jetzt können wir den Gästen sagen, dass wir Schneekanonen haben», sagt Silvio Schmid von den Sedruner Bergbahnen. «Obwohl», fügt er rasch hinzu, «wir waren schon vorher schneesicher.»
Das Credo von Leysin bis St. Moritz lautet: Wer gegen die Konkurrenz Schritt halten will, kommt um Schneekanonen nicht herum – natürliche Schneesicherheit hin oder her.
Vorbei sind die Zeiten, in denen Bergbahnen und Tourismusverantwortliche betonten, Schneekanonen würden nur im «äussersten Notfall» eingesetzt. Heute wird offen damit geworben. «Zermatt – dank Beschneiungsanlagen das ganze Jahr sicher», werben beispielsweise die Matterhornbahnen im Internet, und im Prospekt sind die künstlich beschneibaren Pisten mit Gelbstift markiert.
Der moderne Skitourismus verlangt kategorisch nach einer zuverlässigen Schneedecke – am liebsten bereits ab Mitte November. Die meisten Schneekanonen stehen denn auch nicht in jenen tief gelegenen Gebieten, die den Kunstschnee am nötigsten hätten, sondern in hohen Lagen wie etwa im Davoser Parsenngebiet, in der Matterhornregion oder auf der Bettmeralp. Schliesslich sollen nicht nur die Launen der Natur, sondern auch Konkurrenten ausgeschaltet werden.
Es wird aufgerüstet wie noch nieUnd so wird munter gebaut: Im Kanton Graubünden hat die bewilligte Kunstschneefläche seit 1997 um 60 Prozent zugenommen, 40 Prozente allein im letzten Jahr. In St. Moritz, wo 2003 die Ski-WM stattfinden soll, werden zusätzliche 32 Hektaren Piste mit Schneekanonen ausgerüstet.
Der Sanktgaller Tourismusprofessor Thomas Bieger schätzt den Investitionsbedarf für die künstliche Beschneiung in der Schweiz in den nächsten Jahren auf 500 bis 600 Millionen Franken.
Kunstseen werden ausgebaggert
Mit dem Aufstellen von Schneekanonen allein ist es jedoch nicht getan. Um eine Skipiste von einem Kilometer Länge und 40 Metern Breite mit 30 Zentimetern Kunstschnee zu bedecken, braucht es rund acht Millionen Liter Wasser. Dieses wird meist Bergseen, Bächen oder gar der Trinkwasserversorgung entnommen. Doch da dies bei den grossen Beschneiungsprojekten bei weitem nicht ausreicht, müssen auf bisher unberührten Alpweiden immer öfter künstliche Seen angelegt werden.
So hat der Kanton Graubünden den Davoser Jakobshornbahnen kürzlich die Bewilligung erteilt, auf der Stadleralp einen Speichersee in der Grösse eines Fussballfelds auszuheben und zwölf Kilometer Leitungen zu verlegen. Und auch die Lenker Bergbahnen im Berner Oberland wollen in der Rütti auf 1450 Meter einen Speichersee bauen. Bereits mit einem Kunstsee ausgerüstet sind Laax und das Lauberhorn.
Die Naturschützer ärgern sich zwar über die Flut von Beschneiungsanlagen. Doch Resignation macht sich breit: «Wir können zwar Einsprache um Einsprache einreichen, aber wir haben einfach zu wenig rechtliche Möglichkeiten», sagt Brigitte Wolf vom WWF Graubünden. «Die Verschwendung von Energie und Wasser ist deswegen jedoch nicht kleiner geworden.» Und Hans Fritschi von Pro Natura Berner Oberland ärgert sich: «Die Branche ist so stark und betreibt so viel Lobbying, dass wir kaum dagegen ankommen.»
Das dürfte künftig nicht besser werden. Der Grund: Die Bergkantone haben ihre Gesetze in den letzten zwei Jahren stetig gelockert. So durften die Bergbahnbetreiber im Kanton Bern Kunstschnee bisher nur punktuell einsetzen, um «Schwachstellen im Pistensystem» zu vermeiden.
Bürger fühlen sich verschaukelt
Doch vor einem halben Jahr setzte der Oberländer SVP-Regierungsrat Werner Luginbühl eine Aufweichung des Gesetzes durch: In Zukunft dürfen die Berner die Pisten auch ganzflächig beschneien – egal, ob die Umgebung ein natürliches Schäumchen Schnee aufweist oder ob sich der Kunstschnee als weisses Band über grünbraune Matten schlängelt.
Vielen Bernerinnen und Bernern stösst dieser Entscheid sauer auf: «Wieso geht man eigentlich noch abstimmen, wenn dann doch nicht nach dem Willen des Volkes gehandelt wird?», ärgert sich eine Leserbriefschreiberin in der «Berner Zeitung». Sie spielt auf die Volksabstimmung von 1993 an. Damals lehnten die Stimmberechtigten die Initiative «Schneekanonen Ja – aber mit Mass» ab – nicht zuletzt, weil die Regierung im Vorfeld der Abstimmung strenge Regelungen versprach.
Vor zwei Jahren spielte sich mehr oder weniger dasselbe auch im Kanton Graubünden ab. Die Statistik zeigt, dass die beschneiten Flächen seither massiv zugenommen haben.
Auch der Kanton Luzern hat den betreffenden Artikel im Energiegesetz gestrichen. Motivation für die Gesetzesänderung war ein Schneekanonenprojekt in Sörenberg. Wegen der bisherigen Gesetze mussten die Bergbahnbetreiber lang zuwarten. Doch jetzt dürfen die Bagger auch in Sörenberg auffahren.
Illegale Schneekanonen im Wallis Egal, ob Bern, Luzern oder Graubünden: In allen Kantonen berufen sich die Schneekanonen-Befürworter auf den Kanton Wallis. Denn die Walliser handhaben den Umgang mit Schneekanonen seit jeher sehr freizügig. Nirgendwo in der Schweiz stehen so viele Schneekanonen. Rund 90 Prozent davon wurden allerdings illegal erstellt. Doch das verwundert niemanden, denn Bussen haben Seltenheitswert und Bewilligungen gibt es auch nachträglich.
Zufrieden über die Lockerung der Gesetze ist man beim Verband der Schweizer Seilbahnunternehmungen (SBS). «Der Kanton Bern hat einen grossen Nachholbedarf», sagt Peter Feuz, SBS-Präsident und Chef der Schilthornbahnen. Man habe schliesslich auch lang für eine einheitliche Praxis in allen Kantonen gekämpft.
Gegen eine einheitliche Praxis hätten auch die Umweltverbände nichts einzuwenden. Nur: «Es ist fatal, wenn man das schlechteste Beispiel zum Vorbild nimmt», ärgert sich Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz.
Kommt dazu, dass die Klimaprognosen wärmere Winter voraussagen. Eine Nationalfondsstudie schätzt, dass die Grenze der Schneesicherheit in den nächsten Jahren von 1200 auf 1500 Meter steigen wird. Den Skigebieten unter dieser Grenze droht das Aus. In der Studie heisst es zwar auch, dass Schneekanonen keine Lösung seien, denn selbst für diese wären die Temperaturen oft zu hoch. Doch Rodewald befürchtet, dass es die Skiliftbetreiber trotzdem versuchen werden: «Dann kommen noch mehr künstliche Schneezusätze zum Einsatz.» Zum Beispiel der Eiskeim bildende Zusatz Snowmax: Damit ist eine Beschneiung auch bei höheren Temperaturen möglich.
Stimmbürger müssen zahlen
SBS-Direktor und SP-Nationalrat Peter Vollmer will von einem Boom nichts wissen: «Die Finanzlage der Bergbahnen lässt dies gar nicht zu.» Tatsächlich können sich viele Bahnen den Bau von Beschneiungsanlagen nicht leisten. Nur: Fehlt den Bahnen das Geld, werden halt die Stimmbürger zur Kasse gebeten. So geschehen in Braunwald GL, Meiringen BE oder Tschiertschen GR.
Zudem gibt es seit einigen Jahren für den Bau von Schneekanonen sogar Bundessubventionen – dank dem Investitionshilfegesetz. Seit 1994 steckte der Bund bereits 5,5 Millionen Franken in 20 Beschneiungsprojekte, Tendenz steigend.