Patienten akut gefährdet
Die Affäre rund um das Kantonsspital Freiburg weitet sich aus: Chirurgen fordern von der Politik rasche Massnahmen und die Schliessung der neurochirurgischen Abteilung. Patienten seien dort gefährdet, bestätigt jetzt auch das Berner Inselspital.
Veröffentlicht am 29. Dezember 2006 - 08:56 Uhr
Der Beobachter deckte in der letzten Ausgabe unhaltbare Zustände am Kantonsspital Freiburg auf (siehe Artikel zum Thema «Spitalaffäre: Ich wurde viel zu spät operiert»). Die chirurgische Klinik steckt seit Jahren in einer tiefen Krise. Kaderärzte hatten Alarm geschlagen: Notfallpatienten seien gefährdet, weil sie stundenlang liegen gelassen und viel zu spät operiert würden. Professor Lukas Krähenbühl, Chefarzt der chirurgischen Klinik, verliess das Spital im Dezember wegen unüberbrückbarer Differenzen mit der Direktion vorzeitig.
Nach dem Beobachter-Bericht verharmlosten die Verantwortlichen die Lage. Spitaldirektor Hubert Schaller versicherte in der «Berner Zeitung», es laufe «alles rund». Die Spitalleitung verkündete in einer Pressemitteilung, die Probleme beschränkten sich auf einen Konflikt zwischen der Direktion und Krähenbühl.
Doch die Recherche des Beobachters zeigt: Weitere Abteilungen sind betroffen. Gravierende Probleme herrschen auch in der Spitalapotheke (siehe nachfolgende Box «Spitalapotheke: Riskante Medikamentenherstellung») und in der Neurochirurgie. Das Spital ist beim Kanton als eine jener Kliniken aufgelistet, die neurochirurgische Eingriffe und Notfälle - darunter heikle Kopfverletzungen - behandeln können. Doch im Spital selbst ist kein ausgebildeter Neurochirurg angestellt. Der für die Abteilung verantwortliche Facharzt Philippe Otten, ein erfahrener Neurochirurg, arbeitet extern am Freiburger St.-Anna-Spital und wird stundenweise zugezogen und bezahlt.
Dies führt für Patienten immer wieder zu lebensgefährlichen Situationen, sagen Spitalärzte, die aus Angst um ihren Job anonym bleiben möchten. «Bei Notfällen oder wenn sich der Zustand eines Patienten auf der Station verschlechtert, ist Otten nicht immer verfügbar», sagt ein Kaderarzt. «Wir müssen ihn jeweils zuerst suchen. Haben wir Glück, ist er nicht gerade am Operieren, in den Ferien oder sonst besetzt.» Die Situation sei alarmierend. «Bei Kopfverletzungen können Minuten über Leben oder Tod entscheiden. Es kommt vor, dass wir Patienten, die in Lebensgefahr schweben, zeitraubend in andere Spitäler verlegen müssen.»
Doch die Verantwortlichen verharmlosen erneut: Es habe nie einen heiklen Vorfall gegeben, so Otten. Auch Staatsrätin Ruth Lüthi von der SP, bis Ende 2006 kantonale Direktorin für Gesundheit und Soziales, sagt: «Bei Notfällen sind die Ambulanzen und die Rega informiert, welche Patienten aufgenommen werden können und welche nicht.» Schwere Fälle würden sofort nach Lausanne oder Bern überführt. Probleme habe es «nie gegeben».
Knapp mit dem Leben davongekommen
Die Realität sieht anders aus. Jetzt bestätigt die neurochirurgische Klinik des Berner Inselspitals die Vorwürfe mit aller Deutlichkeit: «Patienten sind gefährdet», sagt der stellvertretende Chefarzt Luigi Mariani. Es herrsche «ein unhaltbarer Zustand», den man schon länger mit Sorge beobachte. Denn keine Klinik fühle sich für die neurochirurgischen Notfälle von Freiburg zuständig, die Ärzte dort würden «oft verzweifelt nach freien Plätzen herumtelefonieren». Mariani: «Nur mit Glück ist bisher kein Patient zu Schaden gekommen.» Kürzlich sei im Kantonsspital Freiburg ein Patient zwei Stunden unbehandelt im Schockraum gelegen. «Er traf erst spät bei uns im Inselspital ein und kam knapp mit dem Leben davon.» Freiburger Kaderärzte bestätigen den Vorfall.
Staatsrätin Lüthi weiss davon offenbar nichts und ist überzeugt, es sei «eine sinnvolle Spitalpolitik, mit Universitätsspitälern zusammenzuarbeiten und nicht alles selbst zu machen». Doch eine vertragliche «Zusammenarbeit», wie Lüthi glauben machen will, besteht mit den Universitätsspitälern nicht. Freiburger Chirurgen sprechen von einer «verwirrlichen und gefährlichen Pseudolösung», die letztlich die Spitaldirektion zu verantworten habe. «Wir fordern die Politik auf, dieses Missmanagement sofort zu stoppen. Diese Vorfälle müssen von einer externen Stelle untersucht werden.» Ein klarer Entscheid müsse her: Entweder man biete die Neurochirurgie konsequent und sicher an. «Oder aber man betreibt transparent Leistungsabbau, schliesst die Abteilung und verlegt Patienten geregelt in andere Spitäler.»
Das Konfliktmanagement im Spital überzeugt nicht. Schaller zog im Juni 2006 einen Berater zu: Christof Haudenschild, Direktor des Gemeindespitals Riehen BS. Dieser sollte Krähenbühls Arbeit durchleuchten. Staatsrätin Ruth Lüthi erklärt, bei Haudenschild habe es sich um einen «aussenstehenden Experten» gehandelt.
An dessen Unabhängigkeit darf jedoch gezweifelt werden. Er und Spitaldirektor Schaller sind Duzkollegen, sie waren zwischen 1996 und 2001 beide beim Spitalverband H+: Schaller im Vorstand, Haudenschild als Geschäftsführer. Haudenschild, der verschiedene Mängel bei Chefarzt Krähenbühl ortete, weist den Vorwurf zurück, ein Parteigutachten erstellt zu haben: «Ich habe bestehende Konflikte detailliert untersucht und lege Wert darauf, bei meinem Coaching unabhängig von vorgefassten Meinungen arbeiten zu können.» Direktor Schaller sagt, Krähenbühl sei mit Haudenschilds Engagement einverstanden gewesen. Er habe nicht gewusst, dass sich Schaller und Haudenschild schon lange kennen, sagt dazu Krähenbühl.
«Demokratisch einwandfrei verlaufen»Kaum hatte Haudenschild den delikaten Auftrag erledigt, liess er sich vom Freiburger Staatsrat, dem Lüthi angehört, am 30. Oktober 2006 in den Verwaltungsrat des Spitalnetzes wählen. Und eineinhalb Monate später erkoren er und Lüthi als Mitglieder eines sechsköpfigen Gremiums Schaller zum Generaldirektor dieses neuen Zusammenschlusses aller Freiburger Spitäler. «Die ganzen Ernennungen verliefen demokratisch einwandfrei und in vollständiger Transparenz», hält dazu die Direktion für Gesundheit und Soziales fest.
Spitalapotheke: Riskante Medikamentenherstellung
Die Spitalleitung betreibe Missmanagement: Diesen Vorwurf erhebt auch die ehemalige Chefapothekerin des Kantonsspitals Freiburg, Helena Jenzer. Der schwerste Zwischenfall ereignete sich am 24. Januar 2004: Das Krebsmedikament Methotrexat wurde versehentlich in zweifacher Dosis zubereitet und einem kranken Kind gespritzt. «Den Pharmaassistentinnen war es infolge Personalmangels nicht möglich, doppelt zu kontrollieren. Es gab einige solche Zwischenfälle», sagt Jenzer. Angestellte berichten, wegen des enormen zeitlichen Drucks habe ständig die Gefahr bestanden, dass es bei der heiklen und anspruchsvollen Herstellung der Krebsmedikamente zu Fehlern kommt.
Dokumente belegen: Nicht nur Apothekerin Jenzer, auch die kantonale Aufsichtsbehörde und der für die Westschweiz zuständige Inspektor verlangten von Spitaldirektor Schaller mehrmals und über Jahre hinweg, den Personalbestand der Apotheke zu erhöhen. Wegen der hohen Risiken seien zusätzliche Stellen zu schaffen, forderte neben Jenzer am 26. Januar 2005 auch der leitende Arzt der Krebsklinik in einem Brief an Schaller. Mit drei Vollstellen passe man den Personalbestand «dem europäischen Niveau» an.
Doch Schaller erhörte auch diesen Appell nicht. Die Behörden hätten die Bewilligung immer erneuert, sagt er dazu. «Aber nur provisorisch, mit der Auflage, die Mängel zu beheben», entgegnet Helena Jenzer, die Mitte 2006 die Apotheke verliess. «Das Gesamtrisiko aufgrund mangelnder finanzieller, personeller und infrastruktureller Ressourcen ist in der Apotheke nach wie vor gravierend.»