«Blut lief aus Mund, Nase und Augen»
Wegen eines Versäumnisses des Spitals Limmattal muss eine Tochter zusehen, wie ihr Vater einen schrecklichen Tod stirbt.
Veröffentlicht am 12. Februar 2016 - 13:53 Uhr
Als ihre Mutter anruft, ahnt Nicole Weiss* nicht, dass ihr Vater zwei Tage später sterben wird. «Es geht ihm etwas schlechter», sagt die Mutter lediglich. «Der Hausarzt will ihn ins Spital schicken.» Hans Weiss* ist seit längerem krank: Diabetes, Leukämie und drei verkalkte Herzkranzgefässe. Beim Eintritt ins Spital Limmattal in Schlieren ZH macht er noch Witze, doch dann verschlimmert sich der Zustand des 73-Jährigen rapide.
Zwei Tage später setzt sich eine junge Ärztin zu Nicole Weiss, ihrem Ehemann, ihrer Mutter und ihrem Bruder. Hans Weiss werde in den nächsten Stunden sterben, sagt sie. Sie versichert ihnen, dass das Spital nicht mit Morphium geize – man werde es dem Patienten verabreichen, wenn er Schmerzen habe. In der Patientenverfügung des Vaters steht, er wünsche keine Reanimation: Sein Leben soll in Würde zu Ende gehen. Nicole Weiss fragt deshalb nach, ob der eingepflanzte Herzdefibrillator ausgeschaltet werden könne. Die Ärztin verneint.
In den nächsten Stunden setzt sich die Familie ans Sterbebett und nimmt Abschied. Manchmal spricht Hans Weiss normal, dann halluziniert er, sieht in den Infusionsschläuchen Pythonschlangen. In der ganzen Zeit, sagt Nicole Weiss, sei keine Pflegeperson im Zimmer erschienen. Auch dann nicht, als sich ihr Vater plötzlich vor Schmerzen zu krümmen beginnt. «Holt Hilfe», keucht er. «Bitte.»
Auf die Klingel reagiert niemand, auch im Flur findet die Tochter keine Pfleger. Halb hysterisch, trifft sie schliesslich auf eine Hilfsschwester, die in Eile Pflegeperson und Morphiumspritze holen geht. Im Zimmer sitzt der Vater plötzlich aufrecht im Bett. «Er bekam keine Luft», erzählt Weiss mit Tränen in den Augen. «Er schüttelte sich, verdrehte die Augen, ein Gurgeln kam aus seiner Kehle, Blut lief ihm aus Mund, Nase, Augen. Schlimmer als in einem Horrorfilm.» Sein Herz hatte ausgesetzt, worauf sich der Defibrillator einschaltete und mehrere Elektroschocks auslöste – ein schmerzhafter Eingriff, der in der Sterbephase nichts mehr bringt. Eine Viertelstunde später bescheinigt eine Ärztin seinen Tod.
«Bis heute verfolgen mich die Bilder seiner letzten Minuten.»
Nicole Weiss*, Tochter des Verstorbenen
Verstört schauen die Angehörigen ins leblose Gesicht von Hans Weiss, das vor Schmerzen und Angst verzerrt ist. Als Nicole Weiss über ihren Schock sprechen will, wimmelt die Ärztin sie mit den Worten ab: «Sterben ist nie schön.» In den Tagen danach erkundigt sich Weiss beim Unispital Zürich, wo der Defibrillator eingepflanzt worden war, ob man ihn hätte ausschalten können. Natürlich, sagt die Kardiologin. Es genüge, mit einem speziellen Magneten über die Haut zu streichen.
Nicole Weiss ersucht die Verantwortlichen um ein Gespräch – diese erwähnen den Fehler aber nicht. Im Gegenteil: Sie bekräftigen erneut, es sei immer schlimm, den Tod mit anzusehen. Erst als Weiss sie mit dem Versäumnis konfrontiert, versprechen sie, die Sachlage zu klären. Am 2. Dezember 2015 erhält Weiss einen Brief: «Leider haben wir es verpasst, das Vorgehen bezüglich des Defibrillators mit Ihrem Vater zu besprechen.» Es wäre einfach gewesen, den Defibrillator auszuschalten. «Wir entschuldigen uns in aller Form für unser Versäumnis.» Auf Anfrage sagt Mediensprecherin Martina Wagner, dass Beschwerden grundsätzlich sehr ernst genommen würden. Zu Einzelfällen gebe man jedoch keine Stellungnahme ab.
Die Entschuldigung des Spitals hat Weiss wenig geholfen: «Bis heute wache ich in der Nacht auf, weil mich die Bilder seiner letzten Minuten verfolgen», sagt sie. Immerhin ein wenig Trost: Der Fall habe klinikintern zu einer Sensibilisierung im Umgang mit Defibrillatoren geführt, sagt Sprecherin Wagner.
* Name geändert
8 Kommentare