Real mehr Lohn in Kleinkantonen
Wie viel verdienen kantonale Angestellte? Die Umfrage des Beobachters zeigt, dass der Kantönligeist auch in der Lohntüte regiert.
Veröffentlicht am 10. August 2000 - 00:00 Uhr
Was glauben Sie: Wo verdient ein Reinigungsangestellter am meisten? Im Kanton Zürich? In Genf? In Basel? Weit gefehlt. Spitzenreiter ist der Kanton Jura: Er zahlt einem «nettoyeur» 4918 Franken brutto im Monat aus – über einen Tausender mehr als die übrigen Kantone im Durchschnitt. Und auch deutlich mehr als die Privatwirtschaft.
Und wie steht es mit der Krankenschwester? Sie erhält am meisten Lohn in Genf: 5486 Franken. Das sind exakt 20 Prozent mehr als im schweizerischen Durchschnitt und gut 10 Prozent mehr als in Privatspitälern. Darum kann ihre Zürcher Kollegin sie nur beneiden: An der Limmat verdienen ausgebildete Krankenschwestern nämlich weniger als im schweizerischen Durchschnitt – ein Flecken im Sozialheft des Wirtschaftskantons!
Sicher, der Lohn ist nicht alles. Aber es geht nichts über einen gerechten Lohn. Das wissen auch Polizisten und Sekretärinnen. Und Lehrerinnen. Oder Regierungsräte. Sie alle können jetzt herausfinden, was der Kollege oder die Kollegin im Nachbars-kanton für ein Einkommen bezieht. Der Beobachter hat in der ganzen Schweiz die Löhne für zehn Berufe in der kantonalen Verwaltung erhoben. Das Ergebnis ist eine repräsentative Lohnlandkarte des Staatspersonals vom Boden- bis zum Genfersee und von Basel bis nach Chiasso.
Anders als in der Privatwirtschaft existiert bei Bund und Kantonen eine fast völlige Lohntransparenz. Besoldungsklassen, Erfahrungs- und Leistungsstufen sowie die Einreihung von Funktionen sind reglementiert – und können eingesehen werden. Dennoch tat sich eine Hand voll Personalämter schwer mit Auskünften. Aus teilweise verständlichen Gründen jenes in Appenzell Innerrhoden: «Das wäre für uns viel zu gefährlich», wehrte Werner Roduner vom Finanzdepartement ab. «Sonst würde zum Beispiel bekannt, was der EDV-Spezialist verdient – und davon haben wir nur einen.» Im Zwergkanton ist denn auch die Lohnskala des Staatspersonals aus Gründen des Datenschutzes geheim.
Weniger einleuchtend begründete Markus Hayoz vom Freiburger Personalamt die Absage an den Beobachter: «Lohnvergleiche allein auf der Grundlage von Ausbildung und Erfahrung machen keinen grossen Sinn.» Ähnlich argumentierten die Verantwortlichen der Kantone Neuenburg und Waadt. Doch die Verweigerer blieben in der Minderheit: Insgesamt 21 Kantone schickten die vollständigen Angaben, der Kanton Solothurn wenigstens die Hälfte.
Am Fuss der Lohnpyramide steht das Putzpersonal. Ein 30-jähriger Reinigungsmann, der beim Kanton angestellt ist, verdient in der Schweiz durchschnittlich 3577 Franken brutto. Nur im Tessin liegt das Einkommen unter der 3000er-Marke: Der Putzlohn von 2930 Franken ist der tiefste Wert überhaupt, der in der Beobachter-Erhebung auftaucht.
Zu den Kleinverdienerinnen gehören insbesondere auch die Krankenschwestern, Telefonistinnen und Sekretärinnen. Das Pflegepersonal, das in Spitälern unter grosser körperlicher und psychischer Belastung kranke und sterbende Menschen betreut, ist gleich gut – oder eben gleich schlecht – bezahlt wie kaufmännische Angestellte, die um 17 Uhr den Computer abstellen und ihre «Problemfälle» bis nächsten Morgen ruhen lassen. Eine Ungerechtigkeit.
Die Durchschnittslöhne der drei Berufsgruppen bewegen sich zwischen 4570 und 4951 Franken. Uberdurchschnittlich gut zahlen die Kantone Baselland und Basel-Stadt. Knausrig geben sich Glarus und Obwalden. Im Vergleich zur Privatwirtschaft sind Telefonistinnen beim Staat besser, Krankenschwestern und Sekretärinnen dagegen schlechter bezahlt.
Eine Sonderstellung nehmen die Informatiker oder IT-Spezialisten (IT für Informationstechnologie) ein. Fast die Hälfte der Kantone hat für junge Berufseinsteiger mit dem eidgenössisch anerkannten Lehrabschluss noch kein Anfangsgehalt festgelegt. In den restlichen Kantonen pendelt der Lohn zwischen 3575 Franken (Graubünden) und 4973 Franken (Jura).
Ob die staatlichen Verwaltungen mit diesen vergleichsweise bescheidenen Löhnen in naher Zukunft mithalten können, ist fraglich. Bereits heute ortet der Kanton Zürich bei der Personalrekrutierung einen Nachholbedarf (siehe Interview). Der Zürcher Regierungsrat Christian Huber unterscheidet denn auch: «Ein IT-Spezialist mit Zusatzausbildung verdient im Kanton Zürich rund 2500 Franken mehr als ein Informatiker, der neu einsteigt.» Deutlich höhere Löhne zahlt die Privatwirtschaft: Hier liegt allein schon der Durchschnittslohn eines IT-Spezialisten bei 6817 Franken.
Zu den seit jeher gut bezahlten Berufen gehören Polizisten, Lehrerinnen und Steuerkommissäre. Ein 40-jähriger Verkehrspolizist im Rang eines Korporals oder Wachtmeisters mit 15 Dienstjahren verdient in der Schweiz durchschnittlich 6328 Franken. Knapp zehn Prozent darunter liegt der tiefste Lohn (Obwalden), gut 15 Prozent darüber der höchste (Baselland).
Warum aber ausgerechnet die Ordnungshüter in Sissach und Liestal ein paar Hunderter mehr verdienen als ihre Kollegen in Basel, Genf oder Zürich, bleibt ein Geheimnis. Kurt Stucki, Kommandant der Polizei Basel-Landschaft, freut sich über den Salär-Föderalismus denn auch nur halbwegs: «Es mag sein, dass unser Kanton bei diesen mittleren Löhnen am besten abschneidet. Wir wissen aber, dass es beim Kader anders aussieht: Da werden"die Höheren"bei uns deutlich"günstiger"gehalten als in anderen Kantonen.»
Neben der Wahrung der Sicherheit gehört auch die Bildung zu den Kernaufgaben des Staats. Deshalb werden Lehrkräfte in der Schweiz – im Unterschied zu allen andern europäischen Staaten – sehr gut entlöhnt. Doch beim Dachverband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer LCH will man darüber nicht reden. Die Zahlen seien nicht für die Allgemeinheit bestimmt, «schon gar nicht für die Presse», lässt LCH-Zentralsekretär Urs Schildknecht ausrichten. Und der Vergleich sei «sowieso nicht interessant».
Da könnte sich der Schulmeister täuschen. So verdient eine 40-jährige Lehrerin mit 15 Jahren Berufserfahrung im schweizerischen Mittel 7126 Franken, im Kanton Solothurn gar 7835 Franken. Das entspricht einem Jahresbruttolohn von gut 101'000 Franken. Selbst die Lehrkraft im Kanton Obwalden mit der kleinsten Lohntüte erhält noch 85'000 Franken pro Jahr.
Noch besser entschädigt werden die Angestellten des Fiskus: Ein Steuerkommissär mit Buchhalterdiplom und zehn Dienstjahren verdient in der Schweiz durchschnittlich 8403 Franken. Fast 2000 Franken weniger sind es in Appenzell Ausserrhoden, gut 1000 Franken mehr im Kanton Zürich. Relativ gute Löhne zahlen auch die Kantone Aargau, Graubünden, St. Gallen, Thurgau und Zug. Linus Lüthold vom Thurgauer Personalamt gibt sich denn auch etwas erstaunt über den Durchschnittswert: «Ich kann mir kaum vorstellen, wie man für 8400 Franken einen guten Steuerexperten findet, der solch komplizierte Buchhaltungen wie jene von Ärzten und Rechtsanwälten prüft.» Der Thurgau selbst zahlt dem Steuerkommissär 9000 Franken.
Die höchsten Gehälter in allen Kantonen beziehen Richterinnen und Richter sowie Regierungsmitglieder. Magistratspersonen erhalten in der Regel einen fixen Lohn, unabhängig von Alter, Dienstjahren und Qualifikation. In einigen Kantonen werden diese Funktionen – ausser dem Präsidium – lediglich im Neben- oder Teilamt ausgeführt. Eine vollamtliche Kantonsrichterin verdient im Jura monatlich 9282 Franken, in Basel-Stadt mehr als das Doppelte: 19'700 Franken. Das schweizerische Mittel liegt bei 15'103 Franken.
Nur knapp darüber rangieren die Regierungsräte: Topverdiener sind die Zürcherinnen und Zürcher mit 23'520 Franken – so lang jedenfalls, als ihnen der «Bund der Steuerzahler» nicht auch das Salär anknabbert wie kürzlich den Mitgliedern des Zürcher Stadtrats. Schlusslichter bei den Regierungsgehältern sind die Kantone Nidwalden, Glarus und Obwalden – mit einem Lohn knapp über 10'000 Franken. Hier ist das Regieren allerdings kein Vollamt, sondern ein «Hauptamt» im Umfang etwa eines 80-Prozent-Pensums. In diesen Kantonen darf ein Regierungsrat einem Nebenerwerb nachgehen – etwa als Teilzeitlehrer, Anwältin oder Gewerbetreibender.
Aufschlussreich ist der Vergleich zwischen höchsten und tiefsten Löhnen. Im schweizerischen Mittel verdient ein Regierungsrat 4,6-mal so viel wie ein Reinigungsangestellter. Im Kanton Jura ist es «nur» 3,1-mal, in Basel-Stadt und Zürich dagegen über 6-mal so viel. Gering sind die Lohnunterschiede generell in den kleineren Kantonen: Obwalden, Nidwalden, Uri, Glarus und Appenzell Ausserrhoden.
Die Beobachter-Erhebung zeigt auch, welche Kantone die Niedriglohnempfänger am besten honorieren. Dazu wurde der Durchschnittslohn der vier untersten Einkommensgruppen (Reinigungsangestellter, Krankenschwester, Telefonistin, Sekretärin) berechnet. Auf dem Spitzenplatz rangiert erneut der Uberraschungskandidat Jura: mit dem erstaunlich hohen Wert von 5032 Franken. Erst danach folgen die urban geprägten Stände Zürich, Baselland, Genf und Basel-Stadt mit Durchschnittslöhnen zwischen 4600 und 4900 Franken. Am Ende der Skala liegen die Bergkantone Graubünden, Wallis und Glarus mit Salären unter 4200 Franken.
Gern hätten wir eine Stellungnahme zum «Lohnwunder» Jura eingeholt. Als der Beobachter dem Regierungspräsidenten das erfreuliche Testresultat mitteilen und ihn um einen Kommentar bitten will, ist er aber gerade ausser Haus. Also fragen wir nach einem der vier übrigen Regierungsräte. «Nous regrettons…», wird uns beschieden, aber im Moment seien alle «en vacances». Dann vielleicht der Pressechef? Nein, auch er sei leider in den Ferien. Und seine Sekretärin? Sie arbeite leider nur am Vormittag. Und zu guter Letzt beteuert uns die Telefonistin, sie selber sei Volontärin und wisse auch nicht über alles Bescheid. Wenn das keine schlanke Verwaltung ist…
Ein guter Nominallohn ist das eine. Wesentlicher für das Haushaltsbudget ist jedoch die Frage: Wie viel bleibt mir vom Lohn nach Abzug von Miete und Steuern? Bekanntlich schwanken die Steuerbelastung und die Mietkosten je nach Region und Kanton erheblich. Der Beobachter hat deshalb einen Muster-Arbeitnehmer «konstruiert»: Jahreseinkommen von 60'000 Franken, entspricht einem Brutto-Monatslohn von 4600 Franken, verheiratet, zwei Kinder, Mieter einer 4-Zimmer-Wohnung. In welchem Kanton hat er am Jahresende am meisten auf dem Konto?
Das Ergebnis verblüfft. An der Spitze stehen nämlich Uri und Jura, gefolgt von Tessin, Glarus und Wallis – allesamt eher finanzschwache Kantone. Die wirtschaftsstarken Stadtkantone Zürich, Basel-Stadt und Genf dagegen rangieren unter «ferner liefen»!
Das erstaunliche Phänomen hat unterschiedliche Gründe: Die Kantone Uri, Jura, Glarus und Wallis kennen alle ein weit unterdurchschnittliches Mietzinsniveau. Der Kanton Tessin dagegen belastet niedrige Einkommen mit extrem tiefen Steuern. Mit andern Worten: In diesen Kantonen ist für Kleinverdienerinnen und -verdiener jeder Lohnfranken mehr wert.
Am schlechtesten punkto Realeinkommen schneiden Arbeitnehmer der unteren Lohnklassen in den Kantonen Obwalden und Baselland ab. Dort bleiben ihnen nach Abzug von Steuern und Miete am Jahresende glatte 4300 Franken weniger auf dem Konto als ihren Kolleginnen und Kollegen im Urnerland – immerhin fast ein ganzer Monatslohn.
Was immer man gegen den Kantönligeist ins Feld führen mag, hier zeitigt er einen überraschenden Nebeneffekt. Beim schweizerischen Wettbewerb der Reallöhne wird für einmal die übliche Rangliste auf den Kopf gestellt: die kleinen Kantone sind top und die grossen ein Flop.