Streit unter Kasachen am Genfersee
Ein Exminister aus Kasachstan lebt als angeblich mittelloser Asylbewerber in Genf. Sein Heimatland lässt ihn per Interpol suchen. Es wirft ihm vor, den Staat um Millionen geprellt zu haben.
Veröffentlicht am 5. August 2014 - 08:22 Uhr
Noch bis 2007 gehörte Wiktor Chrapunow zum inneren Machtzirkel Kasachstans, eines ölreichen Staats am Kaspischen Meer. Während sieben Jahren war er Bürgermeister der Millionenstadt Almaty, Energieminister und zuletzt Präsident des Bezirks Ostkasachstan.
Im November 2007 landeten er, Ehefrau Leila und Sohn Daniel mit einem Touristenvisum in Genf. Für Touristen war allerdings ungewöhnlich viel Last im Privatflugzeug: 1100 Kilo Reise- und 100 Kilo Handgepäck. Später erhielt Chrapunow eine Aufenthaltsbewilligung B und untersteht seither der Pauschalbesteuerung. In deren Genuss kommen üblicherweise vermögende Ausländer, die in der Schweiz keiner Erwerbstätigkeit nachgehen.
Chrapunow, jahrelang Mitglied der Elite, sieht sich heute als politisch Verfolgter des kasachischen Herrschers Nursultan Nasarbajew. Mitte 2011 beantragten Chrapunow und seine Frau in der Schweiz politisches Asyl. «Ich wurde bedroht und eingeschüchtert, weil ich mich nicht dem Präsidenten unterwerfen wollte», sagte der Kasache im anderthalbstündigen Gespräch mit dem Beobachter.
Der Staat Kasachstan sieht das nicht so. Für ihn ist die Familie Chrapunow ein Clan, der sich an Hunderten von Millionen Franken Staatsgeldern vergriffen und diese ins Ausland geschafft hat. Die kasachische Finanzpolizei richtete darum mit Hilfe der Zürcher Anwaltskanzlei Homburger ein Rechtshilfegesuch ans Bundesamt für Justiz. Weil es sich um vermutete illegale Geldströme handelt, eröffneten die Schweizer Behörden automatisch auch ein Verfahren wegen Geldwäscherei.
Das Gesuch erwähnt 70 angeblich illegale Transaktionen von Immobilien und Land in kasachischem Staatsbesitz, darunter auch von Naturschutzgebieten, die Chrapunow mit Hilfe willfähriger Beamter an Firmen seiner Frau, an Mittelsmänner und Tarnfirmen verkauft haben soll. Der Gewinn soll über 250 Millionen Dollar betragen haben. Detailliert listet das Gesuch auf, wie Immobilien, die öffentlich hätten versteigert werden müssen, über Firmen, an denen Leila Chrapunowa beteiligt war, in den Besitz der Familie übergingen und später an Dritte verkauft wurden.
Die Erlöse wurden einem Konto bei der Eurasian Bank in Almaty gutgeschrieben. Von 2003 bis 2007 wurden laut Rechtshilfegesuch von diesem auf Leila Chrapunowa lautenden Konto über 40 Millionen Dollar auf Schweizer Bankkonten, vor allem der Credit Suisse Genf und der Bank Schroder, zugunsten von Tochter Elvira Belmadani-Chrapunowa überwiesen. Die mittlerweile geschiedene Gattin bestätigt Geldüberweisungen, nicht aber den Betrag: «Das waren legal erworbene Mittel, die ich mir als erfolgreiche Geschäftsfrau in Kasachstan erarbeitet habe.»
Die Chrapunows sind oder waren laut Rechtshilfegesuch an rund einem Dutzend Schweizer Firmen beteiligt, vorab im Bereich Immobilien – und meist sitzt Sohn Iliyas oder Exfrau Leila im Verwaltungsrat. Manche Firmen wurden gegründet, als Chrapunow senior noch im Amt war, die meisten aber erst nach der Flucht.
Vor der Einreise als Touristen kaufte der Clan im Juli 2007 im Genfer Nobelvorort Cologny für 32 Millionen Franken eine Villa, die Tochter Elvira gehören soll. Laut Rechtshilfegesuch erwarben die Kasachen zudem zwei Wohnungen in Genf zu angeblich je 16 Millionen Franken. Chrapunow entgegnet: «Ich besitze keine Liegenschaften, habe nicht einmal ein Konto in der Schweiz.» Dass er kein Geld habe, wüssten auch die Schweizer Behörden, meint er. Seine Exfrau komme für seinen Anteil an der Pauschalsteuer sowie seinen Lebensunterhalt auf.
Das Konstrukt, mit dem die Chrapunows verflochten sind oder waren, besteht aus Firmen, die teilweise wieder liquidiert wurden. Das Filetstück ist die Swiss Development Group (SDG) SA, die Sohn Iliyas von 2009 bis 2012 präsidierte und die am gleichen Tag gegründet wurde, an dem der Kauf der Villa in Cologny erfolgte. Die SDG kaufte 2008 für 18,5 Millionen Franken das Belle-Epoque-Hotel Du Parc auf dem Mont Pèlerin bei Vevey. Sie baute es zu 22 Luxusappartements um, von denen laut Website «nur sechs für Nichtschweizer erhältliche» für je sechs Millionen Franken auf dem Markt sind. Aus den meisten Verwaltungsräten haben sich die Chrapunows mittlerweile zurückgezogen; teilweise erfolgte der Rückzug zur Zeit des Rechtshilfegesuchs.
Aushängeschild bei etlichen dieser Firmen ist der Genfer Anwalt Marc Gilliéron, der zu Beginn die Aktienmehrheit bei der SDG hielt und in mehreren Verwaltungsräten sass oder sitzt. Gilliéron sagte dem Beobachter, er habe nie für Chrapunow gearbeitet. Vor gut einem Jahr erwarb der Schweizer Investor Philippe Glatz die SDG von Chrapunows Sohn Iliyas.
So weit die offizielle Version. Wie die kasachische Finanzpolizei recherchiert hat, soll Elvira Belmadani-Chrapunowa weiterhin die Mehrheit an der SDG halten und die Firma kontrollieren. Angeblich kauften zwei Schweizer Strohmänner formell 60 Prozent der Aktien, schlossen aber gleichzeitig eine Treuhandvereinbarung mit Belmadani-Chrapunowa, laut der sie weiterhin Dividenden erhält und indirekt die Kontrolle ausübt.
Für Ausländer ist ein Immobilienkauf in der Schweiz nur möglich, wenn es sich um eine Ferienwohnung in einem von den Behörden bezeichneten Touristenort handelt oder wenn eine besonders enge Beziehung zu dem Ort besteht, in dem man die Wohnung kaufen will. Zudem darf die Fläche einer Ferienwohnung 200 Quadratmeter nicht überschreiten.
Wie kommen Ausländer dennoch zu wesentlich grösseren Luxusliegenschaften?
Für die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran, die den Kauf von Immobilien durch Ausländer mittels Fonds und anderer Konstrukte erschweren wollte, ist klar: «Das Gesetz wird oft mit verschachtelten Firmenkonstruktionen umgangen. Für die Behörden ist es dann fast unmöglich, die Herkunft der Gelder zu überprüfen.» Stossend findet Badran, dass ausgerechnet der Immobilienmarkt nicht dem Geldwäschereigesetz unterstellt ist – wo er sich ja «hervorragend eignet, um Geld zu waschen», wie sie sagt.
Hauptsache, das Geld unsauberer Herkunft liegt – erstens – auf einer Schweizer Bank. Dann ist dessen Herkunft – zweitens – für den Hausverkäufer unproblematisch. Und der Käufer gelangt – drittens –, falls er die Immobilie weiterveräussert, erst recht zu «sauberem» Geld. Daher sind Geldwäscher oft auch bereit, mit Verlust zu verkaufen, denn um «sauberes» Geld zu erhalten, lohnt sich ein Defizitgeschäft allemal.
Die kasachische Finanzpolizei verlangt Auskunft über die Geldströme auf etwa ein Dutzend Schweizer Banken, über die wirtschaftlich Berechtigten und Aktienbesitzer von Chrapunow-Firmen und die Rolle seiner Vertrauensleute. Der Fall könnte durch Entwicklungen in den USA Beschleunigung erfahren: Mitte Mai 2014 reichte die Stadt Almaty in Los Angeles gegen ihren Ex-Bürgermeister Chrapunow Klage wegen Unterschlagung von mindestens 300 Millionen Dollar und wegen Geldwäsche ein.
Die Klageschrift listet Besitztümer in Kalifornien, New York, Europa und im Mittleren Osten auf und wirft Chrapunow rund zwei Dutzend Delikte vor. Interpol schrieb den Exilkasachen daraufhin international zur Fahndung aus; in Genf bewegt er sich allerdings unbehelligt.
2011 eröffnete die kasachische Finanzpolizei ein Verfahren gegen Wiktor Chrapunow und weitere. Chrapunow weist jedes illegale Handeln von sich und stellt sich im Gespräch als Wohltäter des kasachischen Volkes dar. Als Bürgermeister habe er gar keine Kompetenz gehabt, Grundstücke eigenständig zu veräussern. Leila Chrapunowa, die sich ihrem Exmann gegenüber betont herzlich gibt und weiterhin mit ihm zusammenlebt, sagt, sie sei eine der ersten Geschäftsfrauen in Kasachstan gewesen und habe ihr Vermögen gemacht, bevor sie ihren Mann kennengelernt habe. Sie könne jede Behauptung, die «durch die kasachische Diktatur konstruiert» worden sei, widerlegen. Bisher gab es im Zusammenhang mit dem Rechtshilfegesuch etwa ein halbes Dutzend Befragungen, auch in Anwesenheit von kasachischen Beamten.
Der Fall Chrapunow hat eine weitere Dimension: Er zeigt, wie gut vernetzt die Elite im Exil ist. Noch im Amt, war Chrapunow ein Freund von Muchtar Abljasow, dem Exchef und Hauptaktionär der grössten kasachischen Bank, BTA. Chrapunows Sohn Iliyas, Mitglied der Genfer CVP, ist mit Abljasows Tochter Madina verheiratet.
Als die BTA 2009 zusammenbrach, war der Schuldenberg rund sieben Milliarden Dollar hoch. Abljasow floh nach Grossbritannien. Dort verurteilte ihn ein Richter im November 2013 zur Zahlung von 400 Millionen Dollar an die Bank BTA. Zivile Kläger und Staatsanwälte werfen dem Kasachen allerdings vor, weit höhere Summen zur Seite geschafft zu haben, und vermuten einen Teil der Gelder in der Schweiz. 2012 wurde Abljasow zu 22 Monaten Haft verdonnert, weil er vor Gericht falsche Angaben zu seinem Vermögen gemacht hatte. Er wartet auf die Auslieferung an Russland. Gegen ihn laufen in mehreren Ländern Strafverfahren.
Abljasows Verteidigung in London kostete ein Vermögen, seine Konten sind gesperrt. Chrapunow bestätigte im Gespräch mit dem Beobachter, dass sich sein Sohn Iliyas für Abljasows «Verteidigung engagiert hat, was für einen Schwiegersohn normal ist». Marc Comina, Chrapunows Mediensprecher, präzisierte einige Tage nach dieser Aussage, damit sei keine finanzielle Unterstützung gemeint.
Kasachstan ersuchte die Schweiz um Chrapunows Auslieferung, was im Juni 2014 vorerst abgelehnt wurde. Solange ein Asylgesuch hängig ist, ist man vor Auslieferung geschützt. Noch besser wäre seine Lage, wenn er und seine Frau in der Schweiz Asyl erhielten. Laut dem auf Migrationsrecht spezialisierten Anwalt Marc Spescha heisst das: «Wenn jemand als Flüchtling anerkannt ist, gilt er als verfolgt und ist qualifiziert schutzbedürftig. Daher kann er selbst dann nicht in ein anderes Land weggewiesen oder ausgeliefert werden, wenn er dort eines Verbrechens angeklagt ist.» Zudem ist es anerkannten Flüchtlingen nicht verboten, Immobilien zu besitzen.
Ob Chrapunow oder seine Exfrau Leila illegal erworbenes Geld gewaschen und mittels Firmenkonstrukten und Schweizer Strohmännern in Immobilien angelegt haben, muss ein Gericht feststellen. Stutzig macht, dass die Exfrau für die Ausgaben ihres Exmanns aufkommt. Die Scheidung hat weiter den für Chrapunow günstigen Effekt, dass sich keine Vermögenswerte blockieren lassen, weil er ja gar nichts habe. Und seine Exfrau Leila hat angeblich alles legal erworben und hatte im Gegensatz zu ihrem Mann auch keine Möglichkeit, ein öffentliches Amt zur privaten Bereicherung zu missbrauchen.
Die «Bilanz» schätzte das Vermögen der Chrapunows vor einigen Jahren auf 300 bis 400 Millionen Franken. «Chrapunow hat das alles sehr professionell eingefädelt», meint ein Anwalt der Zürcher Kanzlei, die Kasachstan im Verfahren vertritt.
Am Genfersee sammeln sich Reiche aus Kasachstan, Usbekistan und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, die ihr Geld – oder das Geld des Volkes – in Luxusbauten investiert haben. Um Gelder illegaler Herkunft zu waschen, setzt man oft Firmenkonstrukte ein. Die Herkunft der Gelder kümmert dabei keinen. Die Immobilienlobby im Parlament verhinderte bisher jeden Versuch, den Immobilienhandel dem Geldwäschereigesetz zu unterstellen.