Fahrt in den Ruin
Viele Taxifahrer verdienen nicht einmal das Existenzminimum. Der Markt ist übersättigt, die Konkurrenz auf der Strasse brutal - oft helfen zum Überleben nur illegale Tricks.
Veröffentlicht am 8. Februar 2007 - 14:10 Uhr
«Was? Eine Zwanzigernote für ein paar Minuten Fahrt!», ärgert sich der Taxigast und findet, das grenze an Wucher. Auf der Seite des Fahrers sieht die Rechnung allerdings anders aus. «Am 1. Februar habe ich während einer 12-Stunden-Schicht ganze 100 Franken Umsatz gemacht und davon 38 Franken als Lohn behalten können», sagt Beat Koch, Taxifahrer aus Bern.
Dieselbe Erfahrung macht Roland Schön. Seit 13 Jahren fährt der 50-Jährige als Angestellter Taxi, und in dieser Zeit ist es immer mehr bergab gegangen: «Als ich anfing, kam ich auf ein Einkommen von über 3500 Franken pro Monat, heute sind es noch etwa 2000 Franken, obwohl ich rund 50 Stunden pro Woche fahre», sagt Schön. Weil ein solcher Verdienst nicht ausreicht, greift ihm das Sozialamt unter die Arme. Mit rund 2500 Franken stockt es sein Einkommen auf, damit die vierköpfige Familie aufs Existenzminimum kommt.
Ähnlich prekär ist die Lage bei selbstständigen Fahrern wie Benny Freund: «Es gibt Tage, an denen ich vielleicht 140 Franken Umsatz mache», sagt der Vizepräsident des Taxiverbands Zürich, der seit 17 Jahren fährt. Wenn es gut laufe, dann seien es eventuell 300 Franken. Doch Umsatz ist nicht gleich Verdienst. Selbstständige können vielleicht gut die Hälfte der Einnahmen als Reingewinn behalten, der Rest geht für Auto, Sozialversicherung und Steuern weg. «Ich habe sogar meine Ersparnisse aufgebraucht, die ich angelegt hatte, als ich noch Musik machte», sagt Freund. Noch karger sieht es bei den angestellten Fahrern aus; ihnen bleiben gerade mal rund 40 Prozent des Umsatzes.
Nachwuchs aus dem Sozialamt
Taxifahrer ärgern sich oft auch darüber, dass die staatlichen Arbeitsvermittler oder Sozialämter Erwerbslosen eine Taxiausbildung ermöglichten - obwohl der Markt längst gesättigt ist. Immerhin: Einige Behörden kennen das Problem. «Wir machen das gerade nicht», sagt David Gilbert von der Abteilung Soziales der Stadt Biel, «weil wir wissen, dass das Taxifahren in den meisten Fällen nicht existenzsichernd ist.»
Schlecht zu sprechen sind viele Fahrer auf Taxizentralen: Wer sich dort Fahrten vermitteln lassen wolle, müsse unanständig hohe Anschlussgebühren zahlen. Zudem hätten Zentralen die besten Standorte für sich reserviert, den andern blieben nur die knappen öffentlichen Plätze. Bei Taxi 444 in Zürich machen die Anschlussgebühren mit Nebenkosten rund 900 Franken pro Monat aus. Dazu kommt ein einmaliger Genossenschaftsanteil von 3000 Franken, der bei Austritt zurückgezahlt wird.
Remo Santi, Geschäftsführer der Taxizentrale 444 AG und Präsident der Stadtzürcher Taxikommission, sieht die Lage weniger dramatisch und legt Zahlen vor: An zufällig ausgewählten Monaten des Jahres 2006 machten die Fahrer im Durchschnitt pro Einsatztag (Tag- oder Nachtschicht) gut 400 Franken Umsatz, was einem Nettolohn von rund 160 Franken entspricht. Der Vermittlungsdienst, dem über 350 Fahrer angeschlossen sind, hat mit etlichen Hotels, Spitälern und Banken in Zürich, aber auch mit dem Hallenstadion und der Messe Zürich Exklusivverträge abgeschlossen. «Ich schaue dazu, dass die bei uns angeschlossenen Fahrer zu ihrem Brot kommen; was die andern machen, interessiert mich weniger», meint Santi.
Benny Freund kritisiert nicht nur die teilweise monopolartige Stellung der Taxizentralen, sondern auch die im Vergleich zu ihren deutschen Pendants hohen Anschlussgebühren. Dort sind diese auf etwa 250 Franken pro Monat beschränkt. «Eine Taxizentrale ist wie eine Lizenz zum Gelddrucken», meint er. Demgegenüber sagt Santi: «Wir sind eine Genossenschaft und nicht gewinnorientiert.» Was an Erlös bleibe, werde wieder investiert, etwa in die Funkzentrale, in die Anmietung von neuen Standplätzen oder ins GPS-System.
Trotz meist bescheidenem Verdienst drängen immer wieder neue Fahrer - oft Zuwanderer - in den Markt. Und gestandene Chauffeure bleiben hängen - wer lange Taxi gefahren ist, hat oft Mühe, in einem andern Beruf Fuss zu fassen. Denn für viele bietet das Taxi noch immer einen Hauch von Freiheit - man ist sein eigener Chef und trifft die verschiedensten Menschen. Etliche hegen wohl auch die Hoffnung auf einen guten Standplatz, etwa am Flughafen Zürich. Die dort Arbeitenden sollen Monatsumsätze von mindestens 10'000 Franken erreichen, meint ein Insider.
«Es ist eine Katastrophe»
Beat Koch fährt seit sieben Jahren Taxi in Bern. Er kommt auf ein Monatseinkommen von weniger als 2000 Franken, möchte aber dennoch keine Sozialhilfe beantragen. «Weil ich allein stehend bin, komme ich knapp damit durch», erklärt er. Auch in Bern, wo das Taxiwesen sogar bei den Tarifen liberalisiert wurde, sind die Fahrer äusserst unzufrieden. «Es ist eine Katastrophe hier», wettert Peter Baumann, Präsident des Vereins Bärner Taxi und der IG Taxi der Stadt Bern, der selber Taxihalter ist und Fahrer ausbildet. «Es gibt zu viele Taxis und zu wenige öffentliche Standplätze, an denen man schliesslich die meisten Aufträge erhält.»
Die Fahrer machen die grosse Zahl von Taxis für ihre Misere verantwortlich - in Zürich sind es knapp 1400. «Im Vergleich zu deutschen Städten ist die Dichte mit vier Taxis pro 1000 Einwohner fast doppelt so hoch», sagt Benny Freund. Zu hoch, meint auch Santi. In Bern sei die Zahl mit 300 Taxis ebenfalls über dem Verkraftbaren, kritisiert Taxifahrer Hansruedi Kull. «Seit zudem das Taxiwesen liberalisiert worden ist, herrscht ein brutaler Preiskampf.» Aber auch in Städten mit einer Bewilligungsbeschränkung klingt es nicht besser. So gibt es in Winterthur gerade mal 50 Taxis, doch Fahrerinnen und Fahrer sprechen auch hier von Tagesumsätzen von bloss 200 Franken und stundenlangen Wartezeiten. Sie beklagen die sinkende Nachfrage - auch wegen der immer besser ausgebauten Angebote des öffentlichen Verkehrs nachts und an Wochenenden.
Drehen am Fahrtenschreiber
Angesichts der Misere behelfen sich viele Fahrer mit anderen Mitteln. Dazu gehört etwa, dass sie an Bahnhöfen kürzere Fahrten ablehnen, weil sich diese nach einer längeren Wartezeit nicht lohnen - auch wenn das verboten ist. Etlichen bleibe oft auch nichts anderes übrig - so hört man immer wieder -, als mit unerlaubten Tricks das Einkommen aufzubessern. So würden etwa die Fahrtenschreiber manipuliert, um länger arbeiten zu können, man vereinbare mit einem Gast einen Pauschalpreis, ohne dies zu registrieren, oder man transportiere auch bei einer angeblichen Leerfahrt einen Passagier. Taxihalter Baumann wundert das nicht: «Ohne dass sie Tricks anwenden, kommen viele nicht auf ein genügendes Einkommen.»