Eine Trainkolonne mit rund 100 Pferden steigt den Gebirgspfad an der Flanke des Falknis empor. Ein Pferd schnaubt, ein schwitzender Rekrut redet ihm gut zu. Ab und zu gibt der Wald einen Blick auf die Kaserne St. Luzisteig frei.

Das ist keine Szene aus einem nostalgischen Armeefilm der sechziger Jahre, sondern Schweizer Wirklichkeit von heute. Dennoch kommt Nostalgie auf, wenn Soldaten mit Pferden auftauchen – auch wenn die Rekruten im Kampfanzug das Sturmgewehr 90 vorgehängt tragen.

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Mittlerweile ist die Kolonne beim «Abrutsch» angelangt. 40 Meter gehts nun über Steine und Wurzeln steil bergab – eine nicht ungefährliche Aufgabe. Transporte in unwegsamem Gelände müssen geübt werden; das ist schliesslich die Kernkompetenz dieser Truppe. «Sie müssen in der Falllinie hinunter. Steht ein Pferd einmal quer, droht ein Sturz», erläutert der Schulkommandant Oberst Thomas Huber.

Der Zug mit den Romands macht den Anfang. Voran der Mann, dicht gefolgt vom Pferd – immerhin 600 Kilogramm schwer, dazu eine Last von 150 Kilogramm. Zweimal gehts gut. Beim dritten Mann bockt das Pferd, die Hufe klirren im Geröll, das Pferd droht in Querlage zu kommen. «Attention! Regardez, gopfertami!», brüllt Huber. Der Mann kriegt den Gaul wieder in den Griff und erreicht flacheres Gebiet. Beim nächsten Rekruten wirds kritisch: Er stürzt – das Pferd schlittert bergab und begräbt ihn beinahe unter sich. Doch er rappelt sich wieder auf und bewältigt den Rest des Abrutsches.

Der Schulkommandant hält nun den Zeitpunkt für gekommen, um zu zeigen, wies gemacht werden muss. Er übernimmt den Freiberger des nächsten Rekruten und steigt ruhig bergab, dicht gefolgt vom Pferd. Doch am steilsten Ort strauchelt das Pferd und droht von der Falllinie abzukommen. Huber lässt die Zügel schleifen. Beängstigend schnell bewältigt das Pferd den Rest des Hanges allein und jagt an wartenden Männern und Pferden vorbei, ehe ein Rekrut beherzt in die Zügel greift. Darauf ändert der Kommandant die Route. «Die Pferde gleiten auf den nassen Wurzeln, das ist zu gefährlich.»

Oberst Huber hat über ein Pferd die Kontrolle verloren – ein kleines Missgeschick ohne Folgen. Gehts aber nach den Planern der Armee XXI, wird er in den nächsten Jahren das Kommando über die einzige Trainschule der Schweiz verlieren. Der Train soll abgeschafft werden; er passe nicht mehr in eine Hightech-Armee, heisst es. «Ehe man einem Pferd die Schutzmaske angezogen hat, ist der Krieg bereits vorbei», liess Oswald Sigg, Informationsbeauftragter des VBS, am Fernsehen verlauten. Knurrt Trainoberst Huber: «Dummes Zeug, die Schutzmaske für Pferde verwenden wir seit 20 Jahren nicht mehr.»

Huber, Berufsoffizier, studierter Agronom, in letzter Zeit zudem PR-Fachmann, kämpft mit Leib und Seele für den Erhalt seiner Truppe. Mit den Planern der Armee XXI hat er seine liebe Mühe. «Die meisten dieser jungen Offiziere haben sich ihr Rüstzeug in den Vereinigten Staaten geholt. Dass die hoch technisierte US Army inzwischen aber wieder Tragtiere einführt, scheint ihnen nicht aufgefallen zu sein.»

Die Planer setzten auf die Panzer, sagt Huber. Dabei sei deren Zeit vorbei. Der Panzer habe gegen die moderne Panzerabwehr absolut keine Chance. «Weil wir jedoch in den achtziger und neunziger Jahren massiv Panzer gekauft und nun keine Mannschaft mehr dafür haben, muss der Train verschwinden.»

Huber argumentiert mit den vergangenen Kriegen auf dem Balkan und in Afghanistan. «Die mechanisch überlegenen Russen konnten mit ihrer Luftwaffe die Nachschublinien der Widerstandskämpfer niemals für längere Zeit unterbrechen. Deshalb verloren sie den Krieg.» Nur dank den Lasttieren hätten auch die Kosovaren ihren Krieg führen können. In den Alpen funktioniere der Nachschub ebenfalls nur mit Lasttieren, könnten doch die Helikopter während rund 100 Tagen gar nicht starten.

Wer aber will in den Alpen Krieg führen? Huber: «Wasser ist kostbarer als Öl, und wir sitzen auf dem Wasserschloss Europas, einem strategisch wichtigen Gebiet. Und die Alpentransversalen müssen auch geschützt werden.»

Den Train brauchts: Diese Haltung vertreten Hubers Schützlinge samt und sonders, von Stellvertreter Oberstleutnant Christoph Maret bis zum Soldaten aus dem Baselbiet. Hier ist jeder und jede ein Werbemann und eine Werbefrau für den Train. «Das Pferd ist der sparsamste Motor. Fürs Futter braucht es während neun Monaten nur die Beine zu spreizen und den Kopf zu senken», sagt beispielsweise Oberst Huber. Und ein Emmentaler Rekrut ergänzt: «Der Dienst mit Pferden ist doch das Schönste, was man sich vorstellen kann.»

Wirklich? Die äusseren Bedingungen sind nicht eben idyllisch. «Wir haben einmal pro Woche Kantinenausgang bis 22 Uhr und einmal Ausgang bis nach Bad Ragaz.» Der Dienst selber sei einer der strengsten, die die Armee zu bieten habe. Das habe selbst Bundesrat Samuel Schmid gesagt.

Für die Strapazen entschädigt die Beziehung zum zugeteilten Pferd – entweder eine Stute oder ein Wallach. «Die Freiberger sind wirklich angenehme und willige Pferde, da hat man keine Probleme», meint eine Rekrutin. «Und meiner ist der beste.»

Zwei Züge der Trainkolonne sind inzwischen zu den Stallungen zurückgekehrt und beginnen abzuladen. Der «Sternhalter» hält fünf bis sechs Pferde und kommandiert seine Kollegen: «An die Oberlast – auf – und weg! An die Seitenlast – auf – und weg!» Eine schweisstreibende Arbeit für die Ablader, wiegen doch die Oberlast und die beiden Seitenlasten je 40 bis 50 Kilo. Es folgt der ID (innere Dienst) am Pferd, zivil ausgedrückt: Rosse putzen. «Nirgends reinigt man Pferde so kompliziert wie im Militär», kommentiert ein Rekrut. Ein kritischer Einwand mit Seltenheitswert.

Der Einsatz der Rekruten ist beinahe beängstigend. «Äifach prima, wie mini Buebe schaffed», lobt Oberst Huber. Das Wort «Buebe» gefällt ihm, er sagt es ein Dutzend Mal. «Meitli» dagegen kommt ihm nur einmal über die Lippen.

Dabei sind die «Meitli» das Besondere hier: Sie nämlich sind die echten Freiwilligen. Zwar melden sich auch fast alle Männer freiwillig zum Train, doch die müssen so oder so Militärdienst leisten – ausser sie treiben ein geeignetes Arztzeugnis auf.

Warum melden sich junge Frauen überhaupt zum Train? Damaris Fröhlich, Trainrekrutin aus St. Gallen: «Ich will eine echte Herausforderung, ich will eine körperliche Leistung erbringen. Büro- oder Sanitätsdienst liegen mir nicht. Ansonsten ist die Auswahl in der Armee für Frauen nicht gerade gross.» Für die Kickboxerin und Reiterin, die eben die Matur bestanden hat, drängte sich der Train auf.

Eine physische Herausforderung suchte auch Korporal Sabine Bregy, eine Psychologiestudentin, als sie sich zum Train meldete. Als Unteroffizier hat sie keine Probleme mit den Rekruten: «Das geht gut, die haben den nötigen Respekt.»

Korporal Bregy setzt sich durch, auch stimmlich. «Los, mached, üse mit dene Ross», brüllt sie in ihrem melodiösen Walliser Dialekt. Frauen als Vorgesetzte sind beim Train im Vormarsch. In der Rekrutenschule leisten zwei Frauen als Korporale Dienst. Sieben Frauen absolvieren zurzeit die Offiziersschule.

Heute ist eine Nachtübung angesagt. Dauer: bis Mitternacht. Diesmal solls wirklich Mitternacht werden, nicht ein Uhr wie letztes Mal; so viel ist zu den Rekruten durchgedrungen. Auch soll es heute Röschti zum Znacht geben und nicht wieder Notportionen. Die Stimmung ist deshalb aufgekratzt – trotz der Anstrengung.

Erneutes Ausrücken, erneut: «An die Oberlast – auf – und weg!» Zum Auf- und Abladen sind die Freiberger ideal, ihre Risthöhe ist niedriger als die der Halb- und Vollblüter. Einige Zentimeter ersparen den Trainsoldaten viel Kraft. «Dies ist ein Erfolg der Zucht», sagt Huber. «Die Fortschritte der letzten 20 bis 30 Jahre sind gewaltig.»

Los gehts zum Biwakbau. Ein Biwak ist eine hufeisenförmige Abschrankung zum Anbinden der Pferde im Gelände. Nötig dazu sind einige Stricke und Pfähle sowie kräftige Männer, die diese unter Ausstossen von Urlauten einschlagen. Für die Übung steht nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung: Ein Biwak für sechs Pferde muss in zwölf Minuten erstellt werden. Doch für die Praktiker, die hier am Werk sind, ist das kein Problem; in der Truppe dominieren die handwerklichen Berufe.

Hochstimmung beim Obersten. Diesmal nicht wegen der Arbeit der «Buebe», sondern wegen eines «Blick»-Artikels. «Samuel Schmid hat angetönt, der Train bleibe. Nun kann er nicht mehr zurück.» Stellvertreter Oberstleutnant Maret und Kolonnenkommandant Oberleutnant Simon Lepori strahlen ebenfalls. Aus rein militärischen Gründen, wie Lepori betont. «Wir transportieren das Material der Kampftruppen nahe an den Gefechtsort. Wenn sie das selber tragen müssen, in unwegsamem Gelände, sind sie nicht mehr einsatzfähig.»

Huber, Maret, Lepori – die Namen deutens an: Drei Sprachregionen der Schweiz sind in der Trainkolonne vertreten. Nicht nur im Kommando, sondern auch bei der Mannschaft. Die Aushebungsquoten pro Kanton sind vorgegeben. Drei Trainrekruten darf zum Beispiel Baselland stellen, 17 dagegen Luzern. Die Auserwählten schätzen sich glücklich. Jeder Dialekt ist auf der Luzisteig zu hören. Und alles ohne Röschtigraben. «Aucun problème avec les Suisses allemands et les Tessinois», sagt ein Rekrut aus Lausanne. Eine Trainkolonne als Mikrokosmos der harmonischen Schweiz.

Doch die Moderne ist da, in Form von Truppentransportern, denen Pferdetransporter angehängt sind. Soldaten und Pferde werden motorisiert möglichst nahe an den Einsatzort gebracht. «Wo ein Rad drehen kann, soll kein Pferd im Einsatz sein», erklärt Oberst Huber. Die alten Wägelchen, noch in den sechziger Jahren von Trainpferden über die Pässe gezogen, sind längst Museumsstücke.

Nur ausserhalb des Dienstes kann man die Trainpferde noch einspannen. Trainrekruten können am Ende der RS ihr Tier kaufen. Kaufen sie es nicht, so gilt es, nach 15 Wochen Dienst Abschied vom vierbeinigen Kumpel zu nehmen. «Da kann einer noch so gross und stark sein, ohne Augenwasser geht das jeweils nicht ab», berichtet ein Korporal.

Nur von den wenigen Maultieren nehmen die «Buebe» und «Meitli» leichten Herzens Abschied. «Die sind einfach unberechenbar, die können nach allen Seiten ausschlagen», sagen die Rekruten. Wieder ist ein Trainzug ausgerückt, diesmal um das Verladen in den Tier- und Mannschaftstransporter zu üben. Zehn Minuten ist die vorgegebene Zeitlimite. «Das schaffen wir in sieben Minuten», feuert ein Korporal seine Gruppe an. Und sie schaffen es. Und das alles vor der Nachtübung. Kein Zweifel: Die Leute wollen eine gute Leistung erbringen, sie wollen perfekt mit den Rossen arbeiten.

«Das kommt auch der Zivilgesellschaft zugute», meint ein Korporal. In steilen Waldgebieten habe schliesslich nur der Train die Sturmschäden von «Lothar» und «Vivian» beseitigen können. Sogar die Klimaerwärmung ist zum «Verbündeten» des Trains geworden: Dann, heisst es, gebe es noch mehr Schäden, die nur der Train aufräumen könne. «Im Dienst etwas Nützliches zu tun befriedigt schon», sagt eine Emmentaler Rekrutin.

Zum Abschluss ein Besuch in der Militärkantine St. Luzisteig. Hier sitzen einige Rekruten, die etwas sauertöpfisch dreinschauen. Ja, sie müssten die vor einem Jahr abgebrochene RS hier zu Ende führen. Nicht im Train, sondern als Büroordonnanzen. «Dann machen wirs halt», lautet der allgemeine Tenor. Schön, dass es die traditionellen Schweizer Soldaten noch gibt – etwas missmutig und immer bestrebt, sich in die nächste Beiz abzusetzen.