Wie wäre es mit heimischer Föhre? Oder Pappel, gebeizt, versehen mit Kehlungen und Ziernut? Särge gibts in grosser Auswahl im Angebot - es sei denn, der Verstorbene war sehr dickleibig - oder adipös, wie es im Ärztejargon heisst. So jemand passt in keinen Standardsarg, nicht mal in den überbreiten.

Ricco Biaggi, seit bald 20 Jahren Bestatter in Gipf-Oberfrick AG, stand kürzlich vor seinem buchstäblich schwersten Fall: Er musste einen Menschen einsargen, der 180 Kilo wog. Sogar die Hydraulik des Spitalbetts hatte ob dieser Last kapituliert. «Eine so schwere Leiche kann auch im Team nicht mehr würdig angehoben und eingebettet werden. Mit Bändern müssen diese Verstorbenen eingebunden werden.» Hatte Biaggi früher stets drei überbreite Särge in seinem Schuppen an Lager, sind es heute doppelt so viele: «Solche Fälle nehmen eindeutig zu.»

Krematoriumsintern werden Breiten über 80 Zentimeter «Mammut» genannt. Werner Berger vom Aarauer Bestattungsinstitut Caminada bestätigt die zunehmende Zahl solcher Mammuts: «Es ist schon so, dass wir auch unter den Toten vermehrt Fälle von Dickleibigkeit haben», sagt Berger, der seit 15 Jahren in der Bestattungsbranche arbeitet. «Ab 100 Kilo wirds im Normalsarg eng. Das sieht dann auch bei der Aufbahrung nicht mehr gut aus.» Das Aarauer Krematorium muss ab und zu sogar Särge ablehnen, weil sie zu breit sind: Sie hätten im Ofen keinen Platz. «Ab 78 Zentimeter müssen wir nach Baden oder nach Langenthal ausweichen.»

Nicht nur die Bestatter, auch das Gesundheitspersonal stellt sich auf immer mehr Dickleibige ein. Rettungssanitäter etwa müssen vermehrt ihre Kollegen von der Feuerwehr aufbieten. 15. Dezember 2005: An der Zürichstrasse in Luzern heulen die Sirenen. Feuerwehrleute fahren die Drehleiter aus, über den Balkon wird ein Mann evakuiert. Es handelt sich um einen medizinischen Notfall. Der Patient ist so schwer und das Treppenhaus derart eng, dass er nicht über diesen normalen Weg geborgen werden kann. «Diese Fälle nehmen zu», sagt Rettungsdienstleiter Günther Becker vom Kantonsspital Luzern.

Soeben hat auch das Kantonsspital St. Gallen aufgerüstet. Der Rettungsdienst brauchte neue Untergestelle und Tragbahren, die nun 250 respektive 180 Kilogramm aushalten. «Noch breitere Tragen können wir nicht verwenden, sonst passen sie nicht mehr in den Rettungswagen. Das Potenzial ist nun ausgeschöpft», sagt Mediensprecherin Angelika Heuberger. «Mit den alten Bahren und Gestellen riskierten wir einen Totalzusammenbruch.»

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Operationstische werden verstärkt
Zwischen 1992 und 2002 erhöhte sich der Anteil der übergewichtigen 65- bis 74-Jährigen in der Schweiz von 45 auf 53 Prozent. Kein Wunder, nehmen auch die extremen Fälle zu.

Sogar Operationen werden mitunter zum besonderen Risiko. Im Spital Uster ZH sollten vor zwei Jahren einem Patienten die Scheidewände der Nase gerichtet werden. Er wartet bereits auf den Eingriff, in wenigen Minuten steht die Narkose an. Plötzlich kommt Hektik auf, die Operation wird abgesagt. Der Grund: Der Patient ist mit 149 Kilogramm zu schwer für den Operationstisch.

«Heute sind alle Tische für über 200 Kilogramm ausgelegt», sagt Spitaldirektor Andreas Mühlemann. «Weil wir auch Notfallversorgung anbieten, müssen wir für solche Fälle gerüstet sein.»

Auch im Zürcher Universitätsspital hat man die Säulen einiger Operationstische verstärkt - sie halten nun einer Belastung von 250 Kilogramm stand. Früher lag die entsprechende Grenze bei 130 Kilo. Jedes Jahr landet eine Hundertschaft von schwer übergewichtigen Patienten auf einem der Tische. «Das ist auch eine Haftpflichtfrage», gibt der leitende Chirurg Markus Weber zu bedenken.

Pflegepersonal und Internisten spüren die infrastrukturellen Nebenwirkungen der Adipositas ebenfalls. Die kunstgerechte Lagerung dickleibiger Patienten ist eine schwierige und schwerste Handarbeit. Spezialwaagen ersetzen oft Standardwaagen, denn diesen geht über 130 Kilogramm der Schnauf aus. Und selbst Hightechgeräte für die Diagnose versagen: Laut Weber kollabierte ob der Zentnerlast auch schon mal das Förderband, das den Patienten in den Computertomografen schiebt. «Nun haben wir Anlagen, die auch bei hohen Körpergewichten funktionieren.»

Das Aufrüsten der schweizerischen Spitäler und der Rettungssanitäter wird sich auf lange Sicht auszahlen. Leider, denn die dicken Patienten von morgen drücken bereits die Schulbank.

«Heute ist fast jedes vierte Schulkind zu dick», heisst es jedenfalls zu diesem Thema im neuen Schweizerischen Ernährungsbericht. «Übergewicht mit seinen Folgen ist einer der grössten Kostenverursacher im Gesundheitswesen», sagt auch der Adipositas-Spezialist Markus Weber. «Extreme Fälle von Übergewicht nehmen nicht nur in den USA, sondern auch bei uns eindeutig zu.» Den Rekord am Zürcher Universitätsspital hält ein 1,45 Meter grosser Patient: Er wog 183 Kilo.