Matthias Riesen ist verunsichert. Er behandelt seine Leukämie derzeit mit Medikamenten, wird eines Tages aber vielleicht eine Knochenmarktransplantation benötigen. Er würde sie am Universitätsspital Zürich vornehmen lassen. Dort hat der leitende Arzt Urs Schanz die Abteilung für Knochenmarktransplantation aufgebaut. «Ich habe grosses Vertrauen zu ihm, und in den Gesprächen haben wir sofort eine gemeinsame Ebene gefunden», sagt Riesen.

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Doch ob der Eingriff wirklich in Zürich stattfinden wird, ist jetzt unsicher, nachdem Schanz Opfer einer Reorganisation geworden ist. Er ist neu dem umstrittenen Leiter der Abteilung für Onkologie, Professor Alexander Knuth, unterstellt. Gekündigt ist Schanz nicht, doch ihm wurde bereits mitgeteilt, dass er dereinst seinen eigenen Nachfolger einarbeiten solle. Ob der beliebte Arzt diesen Affront akzeptieren und an der Klinik bleiben wird, ist zweifelhaft. Etliche Patienten, die vor der Entscheidung zur Operation stehen, sind in dieser Situation verunsichert.

So auch der 52-jährige Joe Marty. Er muss sich möglicherweise bald Knochenmark transplantieren lassen. Zusammen mit seiner Ehefrau Piera hat er den Schritt mit Urs Schanz besprochen. Sie haben grosses Zutrauen zu ihm gewonnen, sind aber dennoch verunsichert: «Bei einer solchen Operation geht es um Leben und Tod. Ich habe Angst, dass eher etwas passieren kann, wenn das Klima in einer Abteilung nicht mehr stimmt», gibt Piera Marty zu bedenken. «Ich verstehe das», sagt ein Arzt dieser Abteilung, «wenn sich die Patienten deswegen Gedanken machen.»

Das Klima in der Onkologie unter Professor Alexander Knuth ist nachhaltig gestört und sorgte schon früher für öffentliches Aufsehen (siehe Artikel zum Thema «Unispital Zürich: Abrechnung unter Ärzten»). Knuth wird vorgeworfen, dass er einen rüden Umgangston pflege, mit Drohungen und Einschüchterungen seine Abteilung führe, schlecht kommuniziere und willkürliche Entscheide treffe. Etliche Angestellte haben bereits gekündigt. Knuth gilt eher als der Forschertyp. Was er allerdings in Zürich geforscht hat, ist auch Kollegen nicht klar, und er selber bleibt vage. Über Knochenmarktransplantationen hat er nicht publiziert.

Schanz und mit ihm Dutzende von Ärzten, Angehörigen des Pflegepersonals und Patienten wehrten sich vergeblich, dass die Knochenmarktransplantation Knuth unterstellt wird, wie es diesem bei der Berufung vor zwei Jahren versprochen worden war. «Was mit dieser Reorganisation passiert, zeugt von Ignoranz», sagt Professor Christian Sauter, Knuths Vorgänger als Leiter der Onkologie.

«Wut und Ohnmacht» ist spürbarPatienten, die erfolgreiche Behandlungen bei Schanz hinter sich haben, sind voll des Lobes über ihn. Der an einer akuten Leukämie erkrankten 31-jährigen Susi Duff setzte Schanz Stammzellen aus Nabelschnurblut ein – ein Eingriff mit ungewissen Folgen, der damals in Zürich zum ersten Mal durchgeführt wurde. «Hätte mich Dr. Schanz nicht transplantiert, wäre ich in kurzer Zeit gestorben», sagt Susi Duff.

Sie ist zuversichtlich, dass sie nächstes Jahr wieder ihren Beruf als Gärtnerin aufnehmen kann. Von Schanz und seinem Team, das etwa 300 Transplantationen durchgeführt hat, ist sie nicht nur fachlich überzeugt: «Das Personal in der Sterilpflege war sehr einfühlsam und hat sich viel Zeit genommen. Und Dr. Schanz war als Ansprechperson immer für mich da.» Trotz den Turbulenzen in jüngster Zeit fühlte sie sich gut betreut, meint aber: «Man merkte manchmal, dass Spannung in der Luft lag. Und bei vielen stellte ich Wut und Ohnmacht über diese Entwicklung fest.»

Gespürt, dass etwas nicht stimmt, hat auch die 36-jährige Liegenschaftsfachfrau Andrea Geiger, die vor acht Jahren transplantiert wurde und regelmässig zur Nachkontrolle ins Unispital Zürich geht. «Die Stimmung im Team war letztes Mal nicht wie sonst.» Dennoch rühmt sie die hervorragende Betreuung. Sie fände es extrem schade, wenn das Team durch Abgänge auseinander gerissen würde.

«Es ist besorgniserregend», so Candy Heberlein, Präsidentin der Stiftung zur Förderung der Knochenmarktransplantation, «dass sich Patienten beklagen, Professor Knuth kümmere sich nicht um sie. In den zwei Jahren seiner Amtstätigkeit konnten sie mit ihm keinen Dialog finden. Empathie fehlt vollständig. Patienten mit lebensbedrohenden Krankheiten leiden unter mangelnder Kommunikation.» Anders sieht es Knuth: «Ich komme bei den Patienten gut an, das ist meine Stärke.»

Sorge herrscht auch bei der Schweizerischen Patientenorganisation (SPO). «Wir haben noch keinen Grund zu einer Intervention gesehen», so Präsidentin Margrit Kessler, «aber die Vorgänge beschäftigen uns dennoch, weil hier wiederum ein Machtspiel auf dem Rücken der Patienten ausgetragen wird, wie wir es immer wieder an Spitälern beobachten.» Wenn Betroffene es wünschten, würde sie die SPO unterstützen. Auch für Candy Heberlein ist klar: «Es geht um einen Machtkampf, der zur Folge hat, dass Unruhe in einem gut eingespielten Team entstanden ist.»

Ähnlich wird der Knatsch von Patienten empfunden. So schrieb Andrea Geiger an Spitaldirektorin Christiane Roth: «Einmal mehr geht es um die Machtfülle eines nach Zürich berufenen Spezialisten. Dafür werden eingespielte Teams und anerkannte Fachleute geopfert.» Dieses Team ist in der Tat am Auseinanderfallen. Der engste Mitarbeiter von Schanz wird ans Kantonsspital Basel gehen, eines von drei Transplantationszentren in der Schweiz. Auch andere haben gekündigt oder sind auf dem Absprung. Die Mitarbeiter können ihre Sicht der Dinge nicht darstellen, da sie einen Maulkorb verpasst erhalten haben. Nur Knuth darf sprechen.

Heinrich Zingg ist einer der Patienten von Schanz und hat jahrzehntelange Berufserfahrung in Teamentwicklung. Aus eigener Initiative hat er mit etlichen Beteiligten über die Situation gesprochen: «Am schlimmsten finden sie, dass überhaupt kein Hoffnungsschimmer auszumachen ist, dass sich etwas verbessert.»

Ansehen und Qualität eingebüsst
Nach etlichen Affären und Skandalen der vergangenen Jahre büsst das Unispital Zürich mit diesem Gezerre noch mehr Ansehen und Qualität ein. Auch bei der Ausbildung: In der alljährlich von der Ärztevereinigung FMH durchgeführten Umfrage bei 1200 Assistenzärztinnen und -ärzten zur Qualität der Ausbildung erreichte die Onkologie in Zürich mit der Note 2,9 einen katastrophal tiefen Wert. Der Durchschnitt aller Krebskliniken liegt bei 4,7. Für Knuth ist das Rating von Emotionen geprägt und widerspiegelt die schlechte Stimmung in der Abteilung, nicht aber die Ausbildungsqualität. Die FMH hat eine Inspektion angekündigt. Knuth meint: «Ich freue mich auf diesen Besuch.»

Für die Verantwortlichen der Medizinischen Fakultät scheint Ruhe das oberste Gebot. Als an der Fakultätssitzung vom 25. Mai ein Mitglied der Fakultät die Vorgänge rund um die Onkologie thematisieren wollte, verweigerte ihm Dekan Walter Bär das Wort. Jetzt möchten Patienten den Verantwortlichen Beine machen: In rund zehn Briefen an die Spitaldirektion wehren sie sich für Urs Schanz. «Uns Patienten», sagt Susi Duff, «liegt sehr viel daran, dass er in Zürich bleibt.» Das möchte auch das Unispital: «Wir nehmen diese Briefe ernst», sagt Spitaldirektorin Christiane Roth. «Dass diese Veränderungen bei Patienten Besorgnis auslösen, verstehe ich, doch letztlich dienen sie der Verbesserung der Betreuung.» Die Patienten allerdings befürchten eher das Gegenteil.

Nachtrag

Die Uni Zürich gab bekannt, dass die Knochenmark- Transplantation doch nicht dem Chef der Onkologie unterstellt wird. Wir bedauern, dass wir dies nicht mehr im Artikel berücksichtigen konnten.