«Ich werde niemals aufgeben»
Seit Jahren kämpft Albert Kälin mit dem Schweizer Fernsehen - um die Rechte eines Films, den sein Vater 1960 drehte: das Monumentalwerk «Wilhelm Tell».
Veröffentlicht am 8. September 2006 - 16:10 Uhr
«Urs-Film GmbH. Wir sind am Drehen.» Albert Kälins Stimme auf der Combox klingt unterkühlt: «Ihre Nachricht bitte auf Band.» Der Firmenchef mag nicht sagen, wann er letztmals am Drehen war. Im persönlichen Gespräch aber ist die professionelle Kühle des Beantworters bald verflogen. «Ich werde schikaniert. Behindert. Beleidigt. Durchs Band.» Albert Kälin, Glasmaler, Senn und Schauspieler, breitet die Arme aus, ballt die Faust: «Ich werde niemals aufgeben.»
Sein Widerpart: das Schweizer Fernsehen (SF). Das Unternehmen erklärt, es besitze die Rechte an jenem Film, den Kälins Vater im November 1960 fertig stellte - es war damals der mit Abstand teuerste Schweizer Film aller Zeiten. Der Kostümstreifen «Wilhelm Tell - Burgen in Flammen» blieb das einzige Werk von Josef Richard Kaelin: 1918 geboren, gestorben 1992, Fabrikant, Maler, Erfinder und Gründer der Urs-Film GmbH. Die Firma wurde 1978 liquidiert.
«Gnad Gott dem wilden Peitschenmann», singt ein Narr in einer der ersten Szenen des Films. «Kein Ort, wo er sich bergen kann! Erhebt sich erst der Stier mit Macht, ach, Landvögtlein, dann gute Nacht.»
2001 ruft der Sohn die Gesellschaft erneut ins Leben. Ihr Zweck: das Werk des Vaters zu restaurieren und ihm die verdiente Beachtung zu verschaffen. Als 14-Jähriger hatte er darin immerhin als Statist mitgewirkt: «Die Erinnerungen bleiben das Leben lang. Ganz Uri war auf den Beinen.» Aus München wurde eine Beleuchtungsanlage für 300’000 Franken hergeholt. Die Ausstatter begnügten sich nicht etwa mit Gipsbauten - die Kulisse war aus echtem Material: «Presslufthämmer kündigten den Dekorwechsel an.» Am Drehbuch schreibt Albert Kälins Mutter, unter gütiger Mithilfe von Max Frisch.
«Ich beantrage die sofortige Herausgabe sämtlichen Filmmaterials, über die das Schweizer Fernsehen derzeit verfügt», fordert Albert Kälin im Februar 2002 in einem Schreiben «an den hohen Bundesrat». Kälins Anwalt erklärt drei Monate später dem Schweizerischen Filmarchiv: «Albert Kälin ist der rechtmässige Eigentümer des Films.» Beide Briefe bleiben ohne Folgen. Die Strafanzeige vom November 2005, mit der Kälin dem Sender die Ausstrahlung von «Wilhelm Tell» verbieten will, ist hängig; erst müssen zivilrechtliche Fragen geklärt werden. Mai 2006: Kälin reicht eine Urheberrechtsklage ein - einstweilen ohne Erfolg. Mit ihr erhofft sich der Sohn die Auszahlung des Gewinns, den SF dank dem Film verbucht haben soll.
Walterli und Tell marschieren Seite an Seite dem stiebenden Fluss entlang. «Was ist ein Kaiser?», fragt Walterli seinen Vater. «Ein Kaiser?», sagt Tell: «Ein Mensch, wie wir.» - «Wie wir?» - «Ja, wie du, wie ich.» Tell schultert die Armbrust: «Wie soll er denn sonst sein?»
«Wilhelm Tell - Burgen in Flammen» feiert am 16. Dezember 1960 im Zürcher Kino Corso Premiere. Der «Blick» schreibt von einer «glanzvollen Uraufführung»: anwesend die Darsteller - unter ihnen Robert Freitag, Maria Becker, Hannes Schmidhauser und Zarli Carigiet -, der damalige Justizminister Ludwig von Moos sowie diverse Regierungs- und Nationalräte. «Nun hat auch die Schweiz ihren Monumentalfilm», vermeldet die NZZ: Leider seien «manche Rollen falsch besetzt», andere gingen unter. Im «Lexikon der Schweizer Filmgeschichte» wird die Kritik noch deutlicher. Die Rede ist hier von «gut gebügelten Kostümen» und «hübsch fotografierten Landschaften».
Der Film floppt: Er spielt nur 50 Prozent der Herstellungskosten von 3,5 Millionen Franken ein. Zum Entsetzen namhafter Landsleute gewinnt der Streifen, durchaus ein Kind des Kalten Krieges, ausgerechnet am Festival von Moskau den Regiepreis. Und «Sovexportfilm», ein Verleih hinter dem Eisernen Vorhang, bietet 500’000 Franken für dessen Verwertung. In Bern formiert sich die «Aktion Pro Wilhelm Tell»; sie sammelt Geld, um den Kauf durch den Systemfeind zu verhindern. Wenig später drängt Josef Richard Kaelin das Parlament, sein Defizit von 1,5 Millionen Franken zu tragen - erfolglos. Kaelin will darauf nichts mehr mit dem Film zu tun haben.
Das Hohgantmassiv im Berner Oberland: Seit rund zehn Jahren lebt Albert Kälin hier als Senn mit seiner Frau auf der Alp Gustiweid. Er hat zwölf Rinder, sechs Hühner, fünf Ziegen und zwei zerfranste Schweizer Fahnen vor dem Haus. Seine entfernteren und näheren Älplernachbarn kennt er nicht: «Ich lebe eher zurückgezogen.» Albert Kälin ist Selbstversorger. «Geld ist keines da. Man hat mir ja den Film gestohlen.»
Tell pirscht im Gebirg. Brüsker Wechsel der Musik: Gessler verfolgt ihn. An schmaler Stelle kreuzen sich die beiden: «Auch auf Jagd, Herr Landvogt?» Gessler zittert. Er bleibt versteinert stehen. Tell, verdutzt, marschiert sicheren Schrittes ins Tal.
Als Albert Kälin 1995 von einem längeren Deutschlandaufenthalt in die Schweiz zurückkehrt, beginnt er, den Verbleib der alten Filmrollen zu recherchieren. «Schon bald war mir klar: Die Rechte sind bei mir!» Gesichert ist: Nach der Liquidation der ersten Urs-Film GmbH gingen die Verwertungsrechte an die Nidwaldner Kantonalbank. Der mit der Vermarktung beauftragte Filmverleih wiederum gab Jahre später die vermeintlich bei ihm liegenden Rechte ans Schweizer Fernsehen weiter. Kälin meldet sich nichts ahnend beim Schweizerischen Filmarchiv und erklärt: «Ich nehme jetzt die Filmrollen zu mir auf die Gustiweid ins Käselager.» Darauf bekommt er zu hören: «Ohne Einverständnis des Schweizer Fernsehens passiert nichts.»
Kälin kann es bis heute nicht fassen. «Der Kampf ist eine Riesenbelastung, Tag für Tag»: Seine Frau habe ihn schon ein paar Mal verlassen wollen, «weil ich da so konsequent bin. Aber ich muss das Erbe meines Vaters weitergeben.» Dann sagt er unvermittelt: «In allem, was ich tue, bleibe ich äusserst korrekt.» Und schaut sogleich etwas misstrauisch - als hegte er Zweifel, dass man ihm dies auf Anhieb glaube. «Einmal hat mir einer vom Fernsehen das Telefon aufgehängt.»
Beny Kiser, Mitglied der Geschäftsleitung von SF und Abteilungsleiter Programmdienste, will zum laufenden Verfahren keine Auskunft geben. Im Sinne einer Zusammenfassung erklärt er: «Es gibt kein rechtsgültiges Dokument, das Albert Kälin als Besitzer von ‹Wilhelm Tell› ausweist. SF hält sich tatsächlich für den Inhaber aller Rechte an diesem Film. Dies wurde bis heute von keiner Rechtsinstanz widerlegt.»
Rütli. Nacht. Feuer. Der Kommentator, feierlich: «Die Talleute haben sich versprochen, geschehenes Unrecht wider alle und jeden zu rächen.»