Wie kann man benachteiligten Menschen helfen, sich selbst zu helfen? Jahrelang habe ich dazu Bücher und Theorien studiert. Doch ich bin zum Schluss gekommen, dass zu viel darüber gesprochen und zu wenig getan wird. Bei dem Erdbeben und dem Tsunami in Zentralchile starben vor einem Jahr rund 500 Menschen. Und die Katastrophe hinterliess 1,2 Millionen Obdachlose.

Was das in der Realität bedeutet, wurde mir erst richtig bewusst, als ich nach Pumanque kam. 2500 der 3000 Bewohner verloren hier ihr Zuhause. Das Dorf mit seinen Häusern aus ungebrannten Lehmziegeln lag sprichwörtlich am Boden. Und ich wusste, dass die zentralistischen Strukturen des Landes einen schnellen Wiederaufbau verunmöglichen – schliesslich wohne ich seit 30 Jahren in Santiago und habe als Sekretärin für die Schweizer Botschaft gearbeitet. So war mir schnell klar: Hier kann ich konkret etwas für den Wiederaufbau tun.

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Meine Vision: Nachhaltig und vernetzt

Über einen Bekannten traf ich mich mit Vertretern einer lokalen Kleinbauernorganisation. Das schien mir der beste Weg: mich mit Leuten verbinden, die bereits ihre Kontakte haben und die Situation und die Mentalitäten vor Ort kennen. Ich wollte einerseits Geld für Baumaterial beschaffen und anderseits die Betroffenen bei Bau- und Administrationsfragen beraten. Ich bin zwar gelernte Soziologin, doch ich hatte nach dem letzten grossen Erdbeben in Chile 1985 und bei einer Reise mit dem Schweizerischen Katastrophenhilfekorps das eine oder andere zum Thema Wohnungsbau gelernt. Ausserdem las ich Bücher über nachhaltige Architektur.

Mir schwebte vor, die neuen Häuser von Pumanque möglichst umweltgerecht und gleichzeitig günstig zu konstruieren, also beispielsweise mit Recycling-Materialien. Es gibt Methoden, bei denen Holzpaletten als Stützmauern genutzt werden und der Innenraum dazwischen zur Isolation mit leeren Plastikflaschen aufgefüllt wird.

Zudem – und das war meine zweite Vision – sollten sich die Kleinbauern besser vernetzen und einen eigenen kleinen Markt aufbauen. Ich dachte, eine Katastrophe wie dieses Erdbeben birgt auch die Chance, sich in basisdemokratischen Gruppen besser zu organisieren und solidarisch vorzugehen – was es hier auch über 20 Jahre nach der Diktatur kaum gibt. Dadurch könnten die Kleinbauern ihre Tomaten, Oliven oder Pfirsiche irgendwann ohne Zwischenhändler verkaufen und würden einen Gegenpol zu den internationalen Frucht- und Gemüseexporteuren in der Region bilden.

Ziemlich frustrierend und ermüdend

Dass das alles gar nicht so einfach ist, merkte ich allerdings schon bei meinem zweiten Besuch. In den Gesprächen mit den zehn beteiligten Familien stellte ich fest, dass sie die Idee, umweltverträgliche Häuser zu bauen, gar nicht verstanden. Viele wussten nicht einmal, was Recycling überhaupt bedeutet.

Das war ziemlich frustrierend und irgendwann auch ermüdend. Erst später in den Diskussionen realisierte ich dann, dass ich zu sehr als Städterin ans Werk gegangen war. Die Betroffenen stellen sich hier keine Umweltfragen, sondern wollen vor allem eines: so bald als möglich wieder ein eigenes Zuhause, egal wie.

Immerhin wurden die 7500 Franken, die ich inzwischen bei Freunden und Bekannten in der Schweiz gesammelt hatte, für Baumaterialien ausgegeben, also für Holz, Zement, Armierungseisen oder Eternit. Nur: Von einem gemeinsam organisierten Wiederaufbau, wie ich mir das vorgestellt hatte, war nicht viel zu sehen, geschweige denn von einer Vernetzung untereinander. Jene Familien, die Hilfe von Verwandten bekamen, leben heute bereits in ihrem neuen Zuhause. Andere sind erst bei den Abklärungen, wo ihr neues Häuschen zu stehen kommen soll. Sie wohnen nach wie vor in einer der 18 Quadratmeter grossen Notunterkünfte oder dann zu viert in einem noch intakten Zimmer.

Daneben fehlt auch die Zeit. Die Menschen hier müssen die ganze Woche arbeiten, um über die Runden zu kommen sprich: Gesägt, gehämmert und geschaufelt wird nur jeweils samstags und sonntags oder an Feiertagen.

Auch ein Jahr nach der Katastrophe ist in Chile vom Wiederaufbau noch nicht viel zu sehen. Die Regierung zahlt zwar Unterstützungsgelder an die Betroffenen, allerdings müssen diese zuerst ihren Landbesitz regeln. In Dörfern wie Pumanque, in denen teils komplexe Familienverhältnisse herrschen, ist das derart zeitaufwendig, dass die Menschen lieber auf das Geld verzichten und den Wiederaufbau selber in die Hand nehmen.

Das nächste Mal mit mehr Geduld

Ich muss gestehen, dass ich rückblickend einiges anders machen würde. Als Gringa, aufgewachsen in den wohlhabenden Städten Basel und Bern, kann ich nicht einfach kommen und Ideen vorschlagen, die von der ländlichen Bevölkerung nicht verstanden werden. Zudem löste das Erdbeben bei den Leuten einen Schock aus, den ich erst mit der Zeit zu verstehen begann.

Klar, ich werde wie bis anhin alle paar Wochen nach Pumanque fahren, schliesslich sind inzwischen ja auch Freundschaften entstanden. Aber Geld sammle ich nicht mehr. Und falls ich wieder mal ein solches Projekt anreissen sollte, werde ich mit weniger Ehrgeiz und mehr Geduld an die Sache herangehen. Eine gesellschaftliche Veränderung braucht Zeit – das ändert sich auch dann nicht, wenn ein ganzes Dorf am Boden liegt.