Wie die Securitas um sich greift
Die Bewachungsfirma Securitas kann sich bei ihren geheimdienstlichen Schnüffeleien auf ein weites Netzwerk stützen. Im Fall Nestlé/Attac führt eine Spur an die Spitze der SBB-Bahnpolizei.
Veröffentlicht am 4. Juli 2008 - 13:49 Uhr
Nach diesem Tag gab es von Sara Meylan kein Lebenszeichen mehr. Am 12. Juni 2004 aber war sie noch dabei, als die Westschweizer Antiglobalisierungsgruppe Attac gerade ihr Buch über den Nahrungsmittelkonzern Nestlé publiziert hatte und dessen Geschäftspraktiken mit einer öffentlichen Veranstaltung anprangerte. In der Nestlé-Zentrale war das neue Buch hingegen kalter Kaffee, der Maulwurf hatte den Inhalt längst geliefert. Sara Meylans Mission war zu Ende.
Als Securitas-Spitzel im Auftrag von Nestlé hatte die junge Frau ein Jahr zuvor in Lausanne eine Autorengruppe der Organisation Attac infiltriert, wie das Westschweizer Fernsehen publik machte. Die Securitas begründet die Aktion mit dem damals am Genfersee durchgeführten Gipfel der wichtigsten Industrienationen (G-8) - die Observation sei im Namen der Sicherheit erfolgt. Doch: Der G-8-Gipfel in Evian war längst vorbei, als die siebenköpfige Gruppe - Sara Meylan inklusive - beschloss, über Nestlé ein kritisches Buch zu schreiben.
Die Adresse der Spionin
Über Sara Meylans wahre Identität wird nach wie vor gerätselt. Sie gab an, in Neuenburg zu wohnen und bei einer Versicherung zu arbeiten. In Neuenburg arbeitete sie zwar nachweislich mindestens ein Mal - an einem Computer eines Internetcafés. Fotos von ihr gibt es keine, ausser jenem auf dem Halbtaxabo, das sie damals benutzte. Auf diesem Bild, das dem Beobachter vorliegt, trägt sie schulterlanges, zum Rossschwanz gebundenes Haar. Das Gesicht kantig, die Augen stark geschminkt, den Mund zu einem Strich gepresst.
Ausgerechnet ihr Halbtaxabo fördert nun aber eine brisante Verbindung zutage, die Fragen aufwirft: Wurde die Aktion sorgfältig von der Securitas geplant, und griff sie dafür auf ihre guten Verbindungen zu den SBB zurück? Denn ein Angehöriger des Topkaders der Bahnpolizei, die zur SBB-Tochter Securitrans gehört, taucht nun plötzlich in indirektem Zusammenhang mit der Bespitzelung auf, wie Recherchen des Beobachters zeigen.
Die Halbtaxkarte von Sara Meylan mit der Nummer RBC 287 wurde von den SBB am 8. September 2003 ausgestellt. Als Adresse der Spionin war im SBB-System Folgendes registriert: «c/o Pascal Delessert, Avenue du Château 58, 1008 Prilly». Bei Pascal Delessert, der tatsächlich an dieser Adresse wohnt, handelt es sich um keinen Geringeren als den damaligen Chef der Westschweizer Bahnpolizei.
Es fragt sich somit, ob Meylan gegenüber den SBB falsche Angaben machte oder ob die Securitas das Halbtax ausgerechnet an den damaligen Westschweizer Bahnpolizei-Chef schicken liess. Denkbar ist auch, dass Meylan das Abonnement gar nicht am Schalter löste, sondern von ihrem Auftraggeber für die Observation persönlich in die Hand gedrückt bekam. Zwei weitere Möglichkeiten bestehen zumindest theoretisch: Die Adressangabe von Meylan hat den Tatsachen entsprochen, womit sie damals beim Bahnpolizei-Chef gewohnt hätte; oder der Bahnpolizei-Chef hat mit der Schnüffelaktion gar nichts zu tun. Klar ist einzig: Die Agentin musste unbedingt über ein Halbtax verfügen. Denn in der Schweiz besitzen über zwei Millionen Personen ein Halbtax, wer keines hat, ist in einer Gruppe wie der Attac, die häufig durch die Schweiz reist, geradezu auffällig.
Securitas und SBB weisen alles von sich
Securitas-Generalsekretär Reto Casutt bestreitet, dass die Bahnpolizei in die Affäre verwickelt sei: «Die Bahnpolizei spielte keine Rolle.» Auf die Frage, wie er es sich erkläre, dass die Agentin bei den SBB an der Wohnadresse des damaligen Westschweizer Bahnpolizei-Chefs registriert war, sagt Casutt: «Diese Verbindung kann ich mir nicht erklären.» Dazu mutmasst er: «Vielleicht war es eine Privataktion des damaligen Westschweizer Bahnpolizei-Chefs.»
Auffälliges ereignete sich allerdings Mitte 2004. Gut einen Monat nachdem die Securitas-Agentin untergetaucht war, gab Delessert seinen Posten ab. Er wurde per 21. Juli 2004 freigestellt. Den Lohn erhielt er allerdings bis Ende Januar 2005. Gerne hätte der Beobachter dazu Pascal Delesserts Sichtweise in Erfahrung gebracht. Doch dieser weilt in den Ferien und war nicht erreichbar.
Bei den SBB will man von diesem brisanten Zusammenhang nichts wissen. SBB-Sprecherin Michèle Bamert: «Von einer Beteiligung eines aktuellen oder ehemaligen Mitarbeiters der Bahnpolizei an der Nestlé/Securitas-Affäre ist uns nichts bekannt. Sollte es tatsächlich eine solche Beteiligung gegeben haben, wäre dies ohne Instruktion und ohne Wissen der Vorgesetzten dieser Person erfolgt.»
Bei den infiltrierten Attac-Autoren hingegen horcht man auf: «Diese Affäre nimmt ein erschreckendes Ausmass an. Ganz offensichtlich nutzt die Securitas ihren riesigen Einflussbereich aus - fern jeglicher Aufsicht», sagt Jean-Michel Dolivo, Anwalt der Attac-Autoren. Er, der für die Gruppe Anzeige gegen unbekannt eingereicht hat, fordert nun eine lückenlose Aufklärung des Falls rund um die Spionagetätigkeit der Securitas.
Tatsächlich muss sich das Familienunternehmen Securitas, bisher Garant für Seriosität und Zuverlässigkeit, unangenehme Fragen gefallen lassen: Securitas-Nachtwächter haben in unzähligen Firmen Zugang zu Räumlichkeiten und könnten - theoretisch - im Auftrag von Konkurrenten Informationen sammeln.
Die Securitas arbeitete nicht nur mit den Spitzen der SBB-Bahnpolizei zusammen, sondern auch mit der Waadtländer Kantonspolizei. Securitas-Generalsekretär Reto Casutt bestätigte bereits im Westschweizer Fernsehen freimütig, dass die Waadtländer Polizei mit Informationen aus der Observation beliefert worden sei. Damit wird klar, dass die Securitas ihr vorzügliches Netzwerk tatsächlich nutzt.
Die investigativen Tätigkeiten haben sich längst zu einem lukrativen Geschäftsfeld entwickelt. Ein ehemaliges Kadermitglied der Securitas erklärt denn auch, dass der Konzern «nichts tut, was keinen Umsatz bringt». Ein anderer Securitas-Kadermann, der jahrelang Zugang zum innersten Zirkel hatte, rechtfertigt das neue Geschäftsfeld mit der ausländischen Konkurrenz, die solche Dienste längst anbiete - auch in der Schweiz. Und dieses lukrative Geschäft mit der verdeckten Überwachung will sich die Nummer eins im Schweizer Sicherheitsmarkt nicht entgehen lassen.
Die Filzteppich-Etage
Die 1907 gegründete Bewachungsfirma Securitas mauserte sich zum internationalen Konzern mit 20 Unternehmen, über 10'000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund 800 Millionen Franken. Als Präsident des Verwaltungsrats leitet Eigentümer Samuel Spreng das Familienunternehmen in dritter Generation. Starker Mann des Unternehmens ist Generaldirektor Hans Winzenried, sekundiert von Generalsekretär Reto Casutt. Winzenried präsidiert neben zahlreichen gruppeninternen Firmen auch die Securitrans (unter anderem Bahnpolizei), die zu 51 respektive 49 Prozent den SBB und der Securitas gehört. Operativer Chef: Martin Graf, ehemaliger Securitas-Kadermann.
Als Kommandant der Bahnpolizei diente der frühere Luzerner Polizeikommandant Jörg Stocker. Unter nebulösen Begründungen wurde er im Februar abgesetzt, dient dem SBB-Unternehmen aber weiterhin für «Spezialaufgaben». Sein neuer Job: Er ist Verwaltungsratspräsident der Crime Investigation Services AG (CIS), die zur Securitas-Gruppe gehört und in deren Verwaltungsrat auch Reto Casutt sitzt. Unter ihrem früheren Namen Sentinelle SA bot die Kleinfirma in den siebziger und achtziger Jahren Sicherheitsdienste an, bis sie Anfang der neunziger Jahre vom Securitas-Konzern übernommen wurde. Bis vor wenigen Monaten war die Firma ein nicht aktiver Aktienmantel. Heute bietet sie «Überwachungen und Nachforschungen sowie Einholung und Vermittlung von Auskünften und Informationen jeglicher Art» an.
Mit der Custodio AG, die vor allem auf dem Flughafen Zürich tätig ist, bietet eine weitere Securitas-Firma Dienste an, die jenen der CIS ähneln: «Ausführung von Überwachungsaufträgen aller Art und Erbringung von Foto- und Scanning-Services». Verwaltungsratspräsident ist Hans Winzenried. Ein wichtiger Bereich des Securitas-Netzwerks ist auch das Militär. Winzenried präsidiert nebenbei die (beratende) Rüstungskommission des VBS von Bundesrat Samuel Schmid und den Verband der Sicherheitsfirmen der Schweiz (VSSU). Dort wiederum dient der Chef der Militärischen Sicherheit, Brigadier Urs Hürlimann, als Vizepräsident von Winzenried. Casutt wiederum ist in der Militärjustiz Stabschef des Oberauditors, der die gesamte Militärjustiz verwaltet und die Tätigkeit der Richter überwacht.