Wo Pässe biometrisch werden
Die Schweiz stimmt darüber ab, ob sie biometrische Pässe will – eine Aarauer Firma stellt Chips für solche Ausweise bereits millionenfach her: hinter Gittern, für viele Nationen.
Veröffentlicht am 27. April 2009 - 13:47 Uhr
Hinter Panzerglas die Dame vom Empfang. Sie will die Personalien, einen Ausweis und das Handy – damit niemand auch nur auf die Idee kommt, heimlich Fotos zu schiessen. Dann schiebt sie einen Badge unter der Scheibe durch, weist zum Eingang. Die Drehtür, elektronisch gesichert, lässt immer nur eine Person aufs Mal hinein, unter den wachsamen Blicken einer Kamera. Später, oben im Bürotrakt mit Blick auf die Geleise des Aarauer Bahnhofs, wird Hertor Bauer in fast schon entschuldigendem Ton sagen: «Wir haben hochsensible Daten hier. Sicherheitslecks können wir uns nicht erlauben.»
Hertor Bauer, gross und breitschultrig, ist Verkaufsdirektor der Trüb AG, und die Sicherheitsmassnahmen kann man ihm schlecht verübeln. Hinter vergitterten Fenstern und in Hallen, die nur durch Personenschleusen zugänglich sind, produzieren 350 Angestellte an hochkomplexen Maschinen täglich Tausende von Kreditkarten, Bankkarten und Ausweisdokumenten. Über 100 Millionen amtliche Ausweise für die Bürger von gut 20 Ländern haben sie in den vergangenen Jahren hergestellt: Führerscheine für Grossbritannien und Georgien, Identitätskarten für Polen, Hongkong, die Schweiz und etliche andere Länder.
Und: Das Unternehmen stellt biometrische Pässe her, seit die Tschechische Republik 2006 als erstes Land bei der Trüb AG solche bestellt hat. Millionen biometrische Pässe. Oder genauer: die Datenseite dazu. Jene Seite aus Polycarbonat, die ins Passbuch eingebunden ist und neben persönlichen Daten und einem Bild des Inhabers auch einen Mikrochip enthält. Rund 90 Länder werden Ende Jahr ihre Reisepässe damit ausgestattet haben. Hierzulande jedoch haben Kritiker eine Volksabstimmung erwirkt (siehe nachfolgende Box «Hintergrund»). Was hat es mit diesem Chip eigentlich auf sich?
Urs Fawer, Leiter Product Marketing, streckt die Hand aus. Unspektakulär liegt da ein schimmernder Chip, einen halben Quadratzentimeter gross und 350 Mikrometer dick – etwa so viel wie drei aufeinanderliegende Blätter Schreibpapier. Das kleine Ding ist fähig, jene persönlichen Angaben über einen Passinhaber abzuspeichern, die bereits im Pass stehen, dazu sein Bild, die Abdrücke seiner beiden Zeigefinger und ein Zertifikat, das die Echtheit des Passes bescheinigt. So will es die ICAO, die Internationale Zivile Luftfahrtbehörde, eine Sonderorganisation der Uno, die die Richtlinien für Reisedokumente festlegt.
«Wir laden die Daten nicht selber auf den Chip, das geschieht durch die Behörden», sagt Urs Fawer. Die Trüb AG liefert den jeweiligen Ländern die fertigen Datenseiten für die Pässe mit allen visuellen Sicherheitsmerkmalen – und auch mit dem Chip, der unsichtbar in die Polycarbonat-Seite eingebaut ist. Der Chip ist verschlüsselt. «Die zuständigen Behörden erhalten von uns einen elektronischen Schlüssel, um die noch leeren Chips zu öffnen und mit Daten zu füttern», so Fawer. «Mit einem weiteren Schlüssel schliessen sie ihn dann für immer.» Was einmal auf dem Chip ist, bleibt drauf. Es ist nicht möglich, Daten nachträglich zu verändern oder durch andere zu ersetzen.
Einblick in die verschlüsselten Daten erhält nur, wer über ein entsprechendes Lesegerät verfügt. «Hält ein Zollbeamter einen Pass in ein Gerät, um ihn maschinell zu lesen, reicht das noch nicht», sagt Urs Fawer. «Der Pass gibt den Chip nur frei, wenn das Gerät über den passenden Schlüssel verfügt.» Dieser Schlüssel wird aus den Informationen auf der maschinenlesbaren Zone, ganz am unteren Rand des Datenblatts, errechnet – somit komme man nur bei geöffnetem Pass an den Chip, sagt Fawer.
Und was ist mit den Befürchtungen, wonach Daten beim Vorbeigehen aus dem Pass gestohlen werden können? Fawer winkt ab. «Ist der Pass geschlossen, ist er sicher», sagt er. «Alles andere sind nicht fundierte Behauptungen.» Er räumt zwar ein, dass es grundsätzlich möglich wäre, mit einem eigenen Lesegerät an die Daten auf dem Chip zu kommen, wie es kürzlich einem Forscher der ETH Lausanne gelungen ist. Allerdings habe dieser geschlagene vier Stunden dazu gebraucht. Ein in der Praxis unrealistisches Szenario für einen Datenklau, glaubt Fawer. «Wie wollen Sie vier Stunden lang ein Lesegerät in die Nähe eines fremden Passes bringen? Werfen Sie einen Blick in den Pass, der sie interessiert. Sie sind schneller und wissen am Schluss genau gleich viel, etwa den Namen oder den Heimatort des Inhabers.»
Was bringt es dann, Reisepässe mit Mikrochips zu versehen? «Ein biometrischer Pass ist sicherer als ein herkömmlicher», sagt Hertor Bauer. Letztlich sei ein Chip nichts anderes als ein zusätzliches Sicherheitselement – wie das Passbild, das nicht mehr bloss aufgeklebt sei wie früher, sondern eingelasert, wie all die visuellen Sicherheitsmerkmale, etwa metallische Effekte oder schillernde Bilder, sogenannte Kinegramme.
Tatsächlich sei der heutige Schweizer Pass nicht vor Missbrauch gefeit, erklärt Guido Balmer vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement: «Pässe haben mittlerweile zwar einen so hohen Sicherheitsstandard, dass sie kaum mehr gefälscht werden können. Aber es gibt nach wie vor Möglichkeiten des Betrugs.» Im Februar kamen die Zürcher Behörden einem Betrüger auf die Spur. Er gab an, seinen Pass verloren zu haben, und beantragte einen neuen. Den Behörden fiel auf: Es war die vierte Verlustanzeige innert vier Jahren. Und: Der Betrüger legte bei jedem Antrag ein anderes Passfoto bei. Es zeigte jeweils eine Person, die ihm zwar ähnlich sah – aber jemand anderes war.
Seit 2003 haben die Behörden über 60 Fälle von Passerschleichung aufgedeckt, dank dem damals eingerichteten Informationssystem für Ausweisschriften, sagt Balmer. Er geht aber von einer hohen Dunkelziffer aus – nur schon deshalb, weil jedes Jahr rund 13'000 Schweizer Pässe als verloren oder gestohlen gemeldet werden. «Wir haben heute keine zuverlässige Möglichkeit zu überprüfen, ob ein Pass und sein Besitzer tatsächlich zusammengehören», sagt Balmer. «Dies wird nur möglich, wenn wir auf einem biometrischen Pass die Fingerabdrücke speichern und sie gleichzeitig auf einer zentralen Datenbank ablegen.»
Die Abspeicherung der biometrischen Daten in einer zentralen Datenbank – ein Kritikpunkt der Gegner des neuen Passes. Verkaufsdirektor Bauer will sich dazu nicht äussern. Egal, ob die Stimmbevölkerung Ja oder Nein sagt – die Trüb AG geht ohnehin leer aus. Orell Füssli, die Herstellerin der biometrischen Pässe, die in der Schweiz heute schon fakultativ verwendet werden können, bezieht die Datenseite von einem ausländischen Trüb-Konkurrenten. Hertor Bauer rechnet nicht damit, dass sich dies ändert. «Keine Politik, bitte», sagt er nur, schüttelt den Kopf. Und fügt an: «Wir glauben hier, dass unsere Technologie Zukunft hat, das ist alles.»
Als Unterzeichnerin des Schengen-Abkommens wird der biometrische Pass für die Schweiz eigentlich zur Pflicht. Die Stimmberechtigten entscheiden, ob die Schweiz ihn einführen wird – einen Reisepass mit einem Mikrochip, auf dem sämtliche Passdaten, das Passbild sowie zwei Fingerabdrücke gespeichert sind.
Bei einem Nein des Volkes muss innert 90 Tagen eine Sonderlösung mit den 27 EU-Staaten gefunden werden. Gelingt dies nicht, scheidet die Schweiz aus dem Schengen-Raum aus.
Bei einem Ja stellt die Schweiz ab März 2010 nur noch biometrische Pässe aus.
Die Befürworter der Vorlage finden sich vor allem im bürgerlichen Lager und bei den Wirtschaftsverbänden. Sie argumentieren damit, dass ein biometrischer Pass
sicherer sei und damit den Missbrauch erschwere. Er gewährleiste zudem die Reisefreiheit der Schweizer: Die USA etwa gewähren bald nur noch Inhabern eines biometrischen Passes die visumfreie Einreise.
Die Gegner der Vorlage finden sich auf der ganz linken und der ganz rechten Seite. Sie kritisieren, dass der Bundesrat die Daten auf einer zentralen Datenbank abspeichern will und damit weiter geht, als es das Schengen-Abkommen verlangt. Sie beanstanden auch, dass man den Pass nicht mehr bei der Wohngemeinde beantragen kann, sondern nur noch bei einer kantonalen Stelle.