Schlechte Noten für die Prüfung
Anfang März debattiert der Ständerat erneut über die Zulassung zum Zivildienst. Die Praxis zeigt klar: Die Gewissensprüfung kostet zu viel und nützt zu wenig.
Veröffentlicht am 18. Februar 2003 - 00:00 Uhr
«Es ist unwürdig, wenn man so ausgequetscht wird!» – Noch heute bebt Marino Keckeis’ Stimme, wenn er über seine Erfahrungen mit der Militärjustiz erzählt.
Vor einem Jahr musste der 25-Jährige aus Reussbühl LU ins Gefängnis. 1997 war sein Gesuch um Zivildienst abgelehnt worden. Nachdem auch zwei Rekurse nichts gebracht hatten, rückte er nicht in die Rekrutenschule ein. 2001 stand das Urteil fest: fünf Monate unbedingt. «Dabei wäre ich bereit gewesen, zwei Jahre Dienst zu leisten», sagt Keckeis. «Auf keinen Fall wollte ich mich vor meiner Pflicht drücken.»
Keckeis scheiterte am Zulassungsverfahren, das seit 1997 in Kraft ist und schon bald im Parlament erneut für Diskussionen sorgen wird. Voraussichtlich am 6. März behandelt der Ständerat die vom Bund geplante Revision des Zivildienstgesetzes. Im Dezember lehnte der Nationalrat die Revision äusserst knapp ab – mit 86 zu 82 Stimmen.
Hauptstreitpunkt ist die Frage, wie der Zugang zum Zivildienst geregelt werden soll. Zwei Varianten stehen sich gegenüber: die Gewissensprüfung und der Tatbeweis. Wer nicht Soldat werden will, muss heute eine Anhörung über sich ergehen lassen und durch einen anderthalbfach so langen Ersatzdienst beweisen, dass sein Gewissenskonflikt echt ist.
Die Armeereform XXI sieht vor, den Zivildienst auf das 1,3fache zu verkürzen. Umstritten ist jedoch die Abschaffung der Gewissensprüfung. Obwohl von Experten und teils auch von Militärs gefordert, konnte sich das Parlament bisher nicht dazu durchringen. Dabei steht längst fest: Die Kosten des Verfahrens sind immens, der Nutzen ist bescheiden.
Die rund 2000 Gesuche pro Jahr kosten den Bund sechs Millionen Franken. Ein Teil der Anträge wird zurückgezogen oder aus formalen Gründen abgelehnt. Von den verbleibenden Gesuchen werden knapp 90 Prozent zugelassen. Die Abgewiesenen können rekurrieren, was bei jedem Fünften zum Erfolg führt. Ernüchterndes Fazit der millionenteuren Auslese: Die Gewissensprüfung hält jährlich nur etwa 60 junge Männer davon ab, Zivildienst zu leisten – ein Teil davon landet wie Keckeis im Gefängnis. Zum Vergleich: Den Entscheid, ob jemand diensttauglich ist oder nicht, lässt sich die Armee im Rahmen der dreitägigen Aushebung knapp 2000 Franken pro Kopf kosten – Kost und Logis inbegriffen.
Auch der Sinn der Gewissensprüfung wird zunehmend hinterfragt. «Das Gewissen kann man gar nicht testen», sagt Nationalrat Heiner Studer (EVP, Aargau), der die Thematik seit Jahren verfolgt. Wer sich entschieden habe zu verweigern, stecke nicht mehr in einem Konflikt, sondern habe für sich Gewissheit erlangt. Auch sonst weise die Prüfung Ungerechtigkeiten auf, kritisiert Nationalrat Boris Banga (SP, Solothurn): «Wenn jemand zum Beispiel beweisen kann, dass er Zeuge Jehovas ist, wird er problemlos zugelassen.»
Ungerecht ist die Zulassungspraxis auch im Hinblick auf die allgemeine Wehrpflicht. Die strenge Auswahl trägt dazu bei, dass viele über den «blauen Weg» ausscheiden – also über ein medizinisches Zeugnis. Hinzu kommen immer mehr Dienstabbrecher. «Gut die Hälfte aller Pflichtigen drückt sich heute vor dem Militärdienst», bilanziert Samuel Werenfels, Leiter der Zivildienststelle des Bundes. Dies sei ungerecht jenen gegenüber, die die Gewissensprüfung absolvierten. «Längerfristig müssen wir eine allgemeine Dienstpflicht für alle einführen», ist Werenfels überzeugt. «Denn die allgemeine Wehrpflicht ist längst ein überholter Mythos.»